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Der Zuschauer sitzt im Dunkeln und freut sich
Von der Liebe zum Kino geleitet: In dem Buch »Hollywood Blackout« leuchtet Christian Keßler den Film Noir aus
Schon allein quantitativ ist das schriftstellerische Werk Christian Keßlers beeindruckend. In unregelmäßigen, aber kurzen Abständen haut der Bremer Filmhistoriker Band für Band raus und leuchtet die vergessenen oder abseitigen Ecken der Kinogeschichte mit einer Gründlichkeit aus, die man im hiesigen akademischen filmwissenschaftlichen Diskurs beispielsweise schlicht nicht findet. Allein in den letzten zehn Jahren sind von Keßler Bücher zum US-amerikanischen Hardcore-Porno der 70er und 80er Jahre, zwei zum sogenannten Trashfilm, eins zum italienischen Thriller und ein erschöpfender Durchgang durch das Horrorgenre erschienen.
Nun sind Bücher zum Genrekino mitunter schnell geschrieben, wenn man die Ansprüche runterschraubt und sich das, was man nicht aus eigener Anschauung kennt, eben schnell zusammengoogelt. Christian Keßlers Herangehensweise ist eine andere, und wie der Mann das rein zeitökonomisch anstellt, bleibt ein Rätsel. Für das neue Buch »Hollywood Blackout« wurden insgesamt rund 700 amerikanische Film-Noir-Filme aus den Jahren 1941 bis 1961 gesichtet und beschrieben, innerhalb eines Jahres. Etwa 300 haben es in den Band geschafft, der damit weit mehr als eine Einführung ins Genre geworden ist. Weitere 400 Filmtexte sollen online auf der Seite urlaubimschrank.wordpress.com erscheinen.
Wenn man die 360 Seiten gelesen und die Filme, die einem besonders ins Auge gesprungen sind, auch gesehen hat, sagen wir 20, 30 Stück, dann hat man ein profundes Genrewissen über einen heute eher sprichwörtlich präsenten, aber nur noch selten wirklich gesehenen Filmkorpus zusammengesammelt. »›Noir‹ wurde in den letzen Jahren ein ähnliches Laberwort wie ›Kultfilm‹, eine nervende Ohrmade«, schreibt Keßler im Vorwort, um dann die geläufigen Merkmale aufzuzählen: eher dunkel in der Ausleuchtung, harte Kontraste, zackige Schatten und damals ungewöhnliche Kameraperspektiven. Vor allem aber, schreibt Keßler, ginge es ihm um das »Bekenntnis zu Protagonisten, denen jegliche Heldenhaftigkeit in ihrer klassischen Ausprägung abgeht«. Und da wird man dann im Noir schnell fündig. Am bekanntesten nach wie vor Humphrey Bogarts abgewrackte Privatdetektivrollen in »Die Spur des Falken« und »Tote schlafen fest«. Hier lässt sich sehr schön sehen, wie die im klassischen Hollywood gängige pfeilgrade Klärung des Verbrechens und die Entfernung des Verbrechens aus der Welt einem eher unstrukturierten Umherermitteln Platz machen, wodurch andere Dinge ins Zentrum rücken: einzelne Dialoge, die Atmosphäre, die Schatten, die Beziehungen der Figuren untereinander. Christian Keßler lässt sich bei seinen Filmbeschreibungen nicht von filmhistorischen oder -theoretischen Prämissen leiten, sondern von der eigenen Begeisterung. Im Falle von »Tote schlafen fest«: »Wirklich ein Wahnsinn, überall Killer und sonstige Finstermänner, als gelte es, Fort Knox zu berauben, dabei geht es nur um eine mickrige Erpressung! Aber egal, in der Welt dieses Films haben alle Elemente ihren Platz, sie geleiten von einem glanzvollen ›Set Piece‹ zum nächsten, und der Zuschauer sitzt im Dunkeln und freut sich.«
Die Gebrochenheit der Heldenfiguren findet sich auch in vielen Film Noirs, in denen die Suche nach dem Mörder an sich eher konventionellen Bahnen folgt, etwa in Otto Premingers »Laura« von 1944. Hier setzt der ermittelnde Lieutenant McPherson (Dana Andrews) das Puzzle Stück für Stück zusammen, verdächtigt mal diesen und mal jenen und löst das Rätsel am Ende. Auf dem Weg dahin verliebt er sich allerdings in das - vorgebliche - Mordopfer, also in eine Leiche. Der Film sei »Hollywoods große Ode an die Nekrophilie«, schreibt Keßler. Mit seiner Objektwahl »steht McPherson in der Tradition von unzähligen Gesetzeshütern der Literatur und des Kinos, denen die Beschäftigung mit der Kriminalistik die Beziehungsfähigkeit zerbombte, zumindest in Hinblick auf reale, atmende Frauen«.
Weiter treibt es da eigentlich nur der Film »D.O.A.« (im deutschsprachigen Raum mit dem schönen Titel »Opfer der Unterwelt« versehen), in dem der Held, der Notar Frank Bigelow (Edmond O’Brien), nach einer Vergiftung nur noch wenige Tage zu leben hat und nach der Diagnose durch San Francisco hetzt, um in der knappen Zeit, die ihm noch bleibt, seinen Mörder zu finden. »Wir werden also dazu aufgefordert, mit einer Leiche mitzufiebern, einer Leiche die Daumen zu drücken«, schreibt Keßler, und viel grundlegender kann ein Film das Bild des souveränen Helden wohl nicht zerhauen.
Was kann man heute mit einem Genre anstellen, für das sich außer ein paar Filmhistoriker*innen und Cinemenschen kaum noch jemand interessiert? Das Schöne an »Hollywood Blackout« ist, wie sich ein Autor allein von seiner Liebe zum Kino leiten lässt. Würde die Tradition des mongolischen Dokumentarfilms von Christian Keßler zum Gegenstand seiner Zuneigung auserkoren werden, er würde auch hier 700 Filme schauen und unaufgeregt aufschreiben, was er da gesehen hat. Dass diese Leidenschaft nicht wie sonst oft zur begriffslosen Schwärmerei führt, sondern die Grundlage einer intakten Urteilskraft bildet, trägt zum Gelingen der Unternehmung von »Hollywood Blackout« wesentlich bei.
Diese Liebe zum Kino überträgt sich idealerweise auf Leserin und Leser, aber man liest diese Texte auch gerne, wenn man die Filme dann doch nicht zu sehen bekommen hat. Keßlers Schreiben ist von einer ruhigen Heiterkeit getragen, dazu kommt eine Vorliebe für verblichene Wörter, die seinen Texten auch noch in der Witzelei etwas angenehm Würdiges verleiht. Wie die allermeisten Bücher über Filme wird auch »Hollywood Blackout« wahrscheinlich nur von wenigen gelesen werden. Das ist schade. Man könnte im Film Noir, in seiner Negativität, aber auch in seiner Lust am Dunkeln und Kaputten, viel finden, was alles andere als antiquiert ist. Zum Beispiel ein Bild der Welt - oder auch: der Gesellschaft -, das vom Zwang zum Positiven befreit ist.
Christian Keßler: Hollywood Blackout. Sternstunden des amerikanischen Noir-Kinos. Martin Schmitz Verlag. 1941-1961, 376 S., geb., 35 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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