Für unsere Freiheit

Was kommt als Nächstes? Die deutsche Friedensbewegung dient sich nationalen Interessen an - und nicht erst seit heute

  • Gerhard Schweppenhäuser
  • Lesedauer: 3 Min.

Manch eine*r reibt sich in diesen Tagen verwundert die Augen: Die Grünen, einst parlamentarischer Arm der bundesdeutschen Friedensbewegung, mögen in der Stunde der nationalen Einheit nicht zurückstehen. In staatsmännischer und -weiblicher Haltung bekennen sie sich zur Aufrüstung - in einer Dimension, die sich das Militär in kühnsten Träumen kaum üppiger wünschen konnte. Verantwortungsethik ist die Haltung der Stunde, wenn es gilt, »unsere westlichen Werte« zu verteidigen.

Nun, ganz unvorhersehbar war das nicht. Man erinnert sich, wie der grüne Vizekanzler Fischer 1999 zum Angriffskrieg gegen Serbien-Montenegro blies (mit dem in diesem Kontext irrwitzigen Argument, Auschwitz dürfe sich nicht wiederholen). Ohne UN-Mandat; man stellte ja die Menschenrechte über das Völkerecht. Schon bald erwies sich bekanntlich, dass Fischer und Kriegsminister Scharping Falschmeldungen und Propaganda aufgesessen waren. Humanitären Nutzen brachte die Nato-Intervention nicht, wie unlängst auch eine Studie des Bundeswehr-Militärhistorikers Hans-Peter Kriemann belegt hat.

Heute liegen die Dinge anders. Nach 30 Jahren dereguliertem Weltmarktchaos nimmt die Konfiguration der antagonistischen Weltherrschaft in zwei neue Machtblöcke Fahrt auf. Die USA brauchen im Kampf gegen den Rivalen China große Kapazitäten im südpazifischen Raum, wenn sie Hegemonialmacht Nummer eins bleiben wollen. Gegen Chinas künftiges Anhängsel Russland muss sich also Nato-Europa kraftvoll aufstellen. In Windeseile sortiert Deutschland sich neu. Energieabhängigkeit von den USA ist nun im nationalen Interesse. Mit Landes- und Bündnisverteidigung soll endlich wieder ernst gemacht werden. Es läge ganz auf dieser Linie, wenn Deutschland sich zum Ziel setzen würde, neben Frankreich und Großbritannien selbst zur europäischen Atommacht zu werden. Im Sinne »unserer Freiheit«, versteht sich.

Damit könnte sich herausstellen, dass an dem anstößigsten Vorwurf, den Wolfgang Pohrt vor über 40 Jahren der bundesdeutschen Friedensbewegung gemacht hat, womöglich etwas dran war. Hinter dem Protest gegen den Nato-Doppelbeschluss vermutete Pohrt eine Kränkung der nationalen Eigenliebe. Die USA wollten auf deutschem Boden Atomraketen stationieren, ohne den Deutschen ein Mitspracherecht zu geben, geschweige denn einen Zweitschlüssel für die Kommandozentrale der Pershing-II-Raketen. »Man hat eine Friedensbewegung machen wollen, und es wurde eine deutschnationale Erweckungsbewegung daraus«, schrieb Pohrt im Jahr 1981.

National ist die Erweckung aus dem vermeintlichen Dornröschenschlaf der Verhandlungspolitik in der Ära Merkel nicht (einer Ära, in der »unsere Streitkräfte« kaputtgespart worden seien, wie jetzt die Spatzen von den Rundfunk- und Pressedächern pfeifen). Wenn an Pohrts Kritik etwas dran war (seinerzeit schien sie mir nicht abwegig), dann wurden die Proteste der deutschen Friedensbewegung vor 40 Jahren zum Teil vom Unmut darüber gespeist, dass die BRD kein souveräner Staat war. Falls es am Ende darauf hinausläuft, dass das souveräne Deutschland auf der Nato-Seite des neuen Eisernen Vorhangs über eigene Atomwaffen verfügt, wenn »der Westen« seine industriell-militärischen Komplexe für eine neue Ära des Wettrüstens mobil macht, dann sollten wir uns nicht wieder verwundert die Augen reiben.

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