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Kampftag für das Recht auf Leben
In Algerien waren in diesem Jahr keine Versammlungen zum 8. März möglich. Frauenorganisationen kritisieren Verharmlosung von Femiziden und Schutz der Täter
Lautstarke Proteste und Demonstrationen für Frauenrechte haben in Algerien eigentlich eine lange Tradition. In diesem Jahr allerdings waren die Stimmen der Algerierinnen nicht auf den Straßen des nordafrikanischen Landes zu hören, da Versammlungen auf öffentlichen Plätzen von den Behörden unterbunden werden. Mehr als 300 Menschen sind wegen ihrer oppositionellen Haltung derzeit im Gefängnis, darunter auch mehrere Frauen.
Aber die feministische Bewegung hat andere Formen gefunden, um auf ihre Situation und ihre Forderungen aufmerksam zu machen. In Oran, der zweitgrößten Stadt Algeriens, haben mehrere Frauenrechtsorganisationen den gesamten März zum »Monat der Gleichstellung« erklärt. Bei Konferenzen, Podiumsdiskussionen und Workshops geht es unter anderem um das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Frauenbild in der traditionellen und modernen Kunst sowie Frauen in der Literatur. In der Kinemathek der Küstenstadt beginnt am Mittwoch das erste Festival, das den weiblichen Filmschaffenden Orans gewidmet sein wird. In Algier präsentierte am Dienstag ein Autorinnenkollektiv die erste feministische Zeitschrift des Landes. »Laplaca« (Der Platz) soll Aktivistinnen eine Stimme geben und über den politischen Kampf um soziale, ökonomische und gesellschaftliche Gleichstellung informieren. Eine Rubrik beschäftigt sich mit Femiziden.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Wie ernst dieses Thema in Algerien ist, hatte zuletzt der Mord an Kelthoum Rekhila gezeigt. Die 33-Jährige wurde vor drei Wochen in der Küstenstadt Boumerdes von ihrem Ex-Mann vor den Augen ihrer Kinder zu Tode geprügelt und erstochen. Es war ein Mord mit Ansage. Jahrelang hatte der Drogendealer sie geschlagen, schon einmal versucht, sie umzubringen und sie immer wieder bedroht. Nach der Scheidung hatte Rekhila sich und ihre Kinder allein durchgebracht, von der Familie und den Behörden zurückgewiesen. Allein das feministische Netzwerk »Wassila«, das seit Jahrzehnten gegen Gewalt an Mädchen und Frauen in Algerien kämpft, hatte sie unterstützt.
»Sie wurde nicht nur durch ihren Ex-Mann getötet, sondern auch von einer Gesellschaft, die Augen und Ohren vor dem Schicksal der Schwächsten verschließt. Unsere Gesellschaft geht sehr nachsichtig mit Tätern um, vor allem, wenn deren Opfer Frauen sind. Die Justiz nimmt Drohungen gegen Frauen nicht ernst«, sagt Dalila Iamaren vom Netzwerk Wassila.
Seit Jahren schlagen Frauenorganisationen in Algerien angesichts der anhaltend hohen Zahl von Femiziden Alarm. Im vergangenen Jahr wurden 55 Algerierinnen ermordet. Seit Beginn dieses Jahres waren es sieben. Das sind nur die Fälle, die bekannt geworden sind. Die Dunkelziffer liegt nach Einschätzung von Expert*innen weitaus höher. Die Opfer kommen aus allen sozialen Schichten und gehören allen Altersgruppen an. So war in den vergangenen drei Jahren das jüngste Opfer ein fünf Jahre altes Mädchen, das älteste eine 85-jährige Frau. Die Täter gehören meist dem häuslichen Umfeld an. Oft sind es der Ehemann oder der Geschiedene, aber auch der Vater oder Bruder, die die Taten im eigenen Heim begehen. Besonders erschreckend ist die Brutalität, mit der die Mädchen und Frauen getötet werden: zu Tode geprügelt, erschlagen, erstochen.
Während die meisten Fälle, wenn überhaupt, von der Öffentlichkeit lediglich zur Kenntnis genommen werden, lösten in den vergangenen Jahren drei Morde große Bestürzung und heftige Reaktionen in den sozialen Netzwerken aus. Zwei 19-Jährige und eine 32-Jährige waren entführt, gefoltert und ihre Leichname verbrannt worden. Forderungen feministischer Organisationen nach besseren staatlichen Schutzmechanismen für Frauen in Gefahrensituationen blieben bisher ungehört. Es fehlt an Nottelefonen und Frauenhäusern mit Ärzt*innen und Psycholog*innen. Darüber hinaus verlangen sie von Polizei und Justiz, bei Gewalttaten gegen Frauen schneller einzugreifen und gründlicher zu ermitteln.
Ihr Vorwurf richtet sich aber auch gegen ein gesellschaftliches Klima, in dem die Schuld den Frauen gegeben, die Täter gedeckt, Femizide verharmlost und in den Medien lediglich am Rande, in der Rubrik »Was sonst noch passierte«, erwähnt werden. Selbst im Angesicht des Todes gibt es kein Mitgefühl, schildert Dalila Iamaren. Der zehnjährigen Tochter Rekhilas schleuderte im Leichenschauhaus eine Krankenhausangestellte entgegen: »Eine Frau, die ihren Mann verrät, verdient es, erstochen zu werden.« Die entsetzte Soziologin Iamaren schlussfolgert: »Der 8. März muss hier ein Kampftag für das Recht auf Leben sein!«
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