»Wir sind schon wieder in Vergessenheit geraten«

17 000 Menschen feiern in Frankfurt am Main das kurdische Neujahrsfest Newroz

Samstagmittag am Rebstockpark im Frankfurter Westen. Eine kleine Gruppe junger Kurden schlendert vom Parkplatz auf das Gelände des Newroz-Festes zu. Am Eingang des Festgeländes staut es sich ein bisschen, jeder, der zum Fest möchte, wird vorher abgetastet. Einer der jungen Männer hat eine Flagge der in Deutschland seit 1993 verbotenen PKK lässig um die Schulter gelegt. Ein Grüppchen Polizisten, dass sich gegenüber des Eingangs aufgestellt hat, zeigt auf den Mann. Zwei Beamte lösen sich aus der Gruppe, sprechen den jungen Mann an. Wegen der Fahne würden sie gerne seine Personalien aufnehmen. Es bildet sich eine kleine Menschentraube um den jungen Kurden und die beiden Polizisten. Ein älterer Kurde tritt von hinten an den jungen Mann heran, zupft ihm die Fahne von der Schulter und lässt sie in seiner Jackentasche verschwinden. Dann spricht er die Polizisten an, die Fahne sei ja jetzt weg und damit gäbe es doch kein Problem mehr. Die beiden Polizisten schauen ernst, stimmen aber zu. Sie gehen zurück zu ihren Kollegen, die jungen Kurden gehen aufs Festgelände. Ein paar Meter hinter dem Eingang bekommt der junge Mann eine Ansage, wie er so blöd sein könne, mit der Fahne vor den Polizisten rumzurennen. Er gibt sich unwissend, es sei ihm nicht klar gewesen, dass die Fahne verboten ist. Ob man ihm das glauben kann? Wahrscheinlich eher nicht, er wirkte doch sehr cool mit seinem Fähnchen.

Diese kleine Szene zeigt zwei Dinge: Wenn die Polizei auf Deeskalation setzt und auch auf deeskalierende Gegenüber trifft, dann kann auch eine kurdische Feier mit nach Polizeiangaben 17 000 Teilnehmern ohne größere Probleme über die Bühne gehen. Das war in der Vergangenheit nicht immer so. Ein paar Fahnen der PKK und die entsprechenden Parolen sorgten oftmals für große Polizeieinsätze und heftige Zusammenstöße. Darauf hat in Frankfurt niemand Lust. Die Polizei filmt zwar an mehreren Stellen die Demo, schreibt auch im Nachgang, sie habe vereinzelte Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und Straftaten festgestellt, aber sie handelt mit Augenmaß.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Das wird dem Charakter des Festes auch gerecht. Auf der Bühne wird in Liedern und Reden die kurdische Guerilla gefeiert. Immer wieder wird die Freiheit von Abdullah Öcalan gefordert. Für viele Menschen scheint es aber vor allem darum zu gehen, Freunde und Verwandte zu treffen. Etwas abseits von Bühnen und Ständen sitzt Layla mit ihrer Mutter auf einer Decke. Die Mutter ist ganz traditionell angezogen, glitzert überall in den kurdischen Nationalfarben. Layla trägt nur einen kleinen Anhänger in Grün-Gelb-Rot. »Meine Mutter hat drei Tage in der Küche gestanden und eine halbe Lkw-Ladung gekocht«, erzählt die Frau lachend. Die Familie kommt aus dem Rhein-Main-Gebiet. Laylas Tochter steht am Parkplatz, wartet auf Verwandte aus Berlin. Das Gespräch mit Layla kommt schnell auf den Ukraine-Krieg. Sie ärgert sich: »Erdogan ist genauso schlimm wie Putin, aber weil er in der Nato ist, gibt es keine Sanktionen.« Und überhaupt, weil die Ukraine ein Staat sei, würde sie gehört, auf die Kurden würde niemand hören, weil sie keinen Staat haben. Laylas Tochter, die gerade mit den Verwandten ankommt, mischt sich ins Gespräch ein, sie hat offenbar genug Öcalan gelesen und weist darauf hin, dass Nationen »keine Probleme« lösen. Sie erklärt, dass es um Selbstverwaltung und Selbstorganisation gehe. »Mehr Staaten führen doch nur zu mehr Ärger«, erklärt sie. Dann ist sie, so schnell, wie sie gekommen ist, wieder weg. Zur Bühne, tanzen gehen. Laylas Verwandtschaft packt derweil eine zweite Picknick-Decke aus. Alle freuen sich auf einen schönen sonnigen Tag.

Auf eine Sache, die sie traurig mache, hat Layla noch hingewiesen. »Hier sind keine Deutschen, wir sind schon wieder in Vergessenheit geraten«, sagt sie mit einiger Bitterkeit in der Stimme und spricht noch über 2014 und 2015, als ganz viele Deutsche die Kurden unterstützt hätten und bei Demos und Feiern dabei gewesen seien. Eine nicht ganz verkehrte Beobachtung. Auf dem Festgelände sind nur ganz vereinzelt deutsche Linke mit Antifa-Symbolen zu sehen. Und bei den vielen Ständen, bei denen es Infomaterial, Bücher, kurdischen Schmuck und Kleidung gibt, ist auch nur der Stand einer deutschen Organisation zu sehen. Die MLPD hat ein Zelt aufgeschlagen. Vertreibt ihre Bücher und Zeitungen. Immerhin auf der Bühne zeigen einige Deutsche Präsenz. Gerhard Trabert, kürzlich noch Bundespräsidentenkandidat der Linken, hält eine Rede. Auch ein Vertreter des Frankfurter DGB spricht. Per Video zugeschaltet wird die Vorsitzende der Linken Janine Wissler. In ihrem kurzen Grußwort spricht sie darüber, dass »der Frieden auf dieser Welt bedroht« sei. Wissler erklärt, es dürfe nicht mit »zweierlei Maß« gemessen werden und kritisiert die Verbrechen der Türkei im kurdischen Afrin. Auch die Kriminalisierung von Kurden in Deutschland spricht Wissler an. Die Linke sei solidarisch mit den Kurden, die immer wieder unter Vereinsverboten zu leiden hätten. »Das muss dringend beendet werden!« fordert die Linke-Chefin.

Wie intensiv die Repression gegen Kurden in Deutschland ist, dafür gibt es sehr aktuelle Beispiele. Anfang Februar konnte die Abschiebung von Heybet Sener, den in der Türkei eine mehrjährige Haftstrafe erwartet, verhindert werden. Doch die bayerische Polizei gibt keine Ruhe. Am vergangenen Freitag wurde die Wohnung von Seners Bruder sowie die Wohnung von Azad Yusuf Bingöl vom Münchner Migrationsrat durchsucht. Das Ziel war es, Sener in Abschiebehaft nehmen. Bei Bingöl schlug die Polizei auf, weil er eine Petition für das Bleiberecht Seners initiiert hat. Sener ist inzwischen untergetaucht und versucht sich so einer Abschiebung zu entziehen. Ganz so freundlich wie in Frankfurt sind deutsche Sicherheitsbehörden also nicht immer zu politisch aktiven Kurden. Eine Kontinuität im 29. Jahr des PKK-Verbots.

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