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Kein Ende der Kürzungen
Sanktionsmoratorium der Ampel-Koalition bei Hartz IV entpuppt sich als falsches Versprechen
SPD, Grüne und FDP hatten in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, Hartz IV durch ein Bürgergeld ersetzen zu wollen. Zu grundlegenden Reformen gehöre, die Sanktionen, also die Kürzung der Grundsicherung, in einer Übergangsphase ein Jahr lang bis Ende 2022 auszusetzen.
Dieses »Sanktionsmoratorium« soll nun allerdings nur in einer abgespeckten Version umgesetzt werden. Zwar billigte das Bundeskabinett vergangenen Mittwoch einen Gesetzentwurf, nach dem die Sanktionen wegen Pflichtverletzungen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende bis Ende 2022 ausgesetzt werden. Wenn etwa Nachweise von Bewerbungen auf Arbeitsstellen fehlen oder eine »zumutbare Arbeit« nicht aufgenommen wird, sollen keine Sanktionen mehr fällig werden. Der Entwurf aus dem Bundesarbeitsministerium sieht jedoch eine entscheidende Ausnahme vor: Wer ohne triftigen Grund nicht zu vereinbarten Terminen im Jobcenter erscheint, muss weiterhin mit einer Kürzung des Existenzminimums rechnen. Gerade diese Art der Pflichtverletzung macht allerdings etwa vier Fünftel der Sanktionen aus. »Indem die Sanktionsregelungen bei Meldeversäumnissen bestehen bleiben, bekennt sich die Bundesregierung zur Fortführung der Mehrzahl der Sanktionen«, kritisiert der Paritätische Gesamtverband. Er fordert den Bundestag auf, die vorgeschlagenen Verschärfungen zurückzuweisen und ein Sanktionsmoratorium zu verabschieden, das »seinen Namen verdient«.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Auch wann die Regelung in Kraft tritt, ist noch unklar, der Bundestag muss noch zustimmen. Der Gesetzentwurf soll aber, wie es in dem Dokument heißt, als »besonders eilbedürftig« behandelt werden. Angestrebt wird demnach, dass die Regelung bis Juli wirksam wird. Der Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles kritisierte die halbjährige Verkürzung des ursprünglich von der Regierung angekündigten Sanktionsmoratoriums als »massiven Vertrauensbruch«.
Die Kürzung von Hartz IV, das sowieso bereits unterhalb der offiziellen Armutsgrenze liegt, wird schon seit langem unter anderem von Sozialverbänden und Gewerkschaften, aber auch von Grünen und Linken kritisiert. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits im November 2019 klargestellt, dass nicht alle Sanktionsregelungen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende verhältnismäßig seien und es bis zu einer gesetzlichen Neuregelung einer Übergangslösung bedürfe. Die Bundesregierung wird diese Neuregelung in Form des Bürgergeldes »spätestens bis Ende 2022 gesetzlich neu ordnen«, heißt es aus dem Bundesarbeitsministerium.
Von einer Erhöhung der Grundsicherung ist im Koalitionsvertrag jedoch nichts zu lesen. Für die Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze werden die Einkünfte der unteren 15 Prozent der Bevölkerung als statistische Grundlage genutzt. Davon wird allerdings noch einiges abgezogen. »Diese Streichungen führen zu einem Ergebnis, das völlig an der Realität vorbeigeht«, stellte die Verteilungsforscherin Irene Becker am Freitag während eines Fachgespräches der Diakonie Deutschland zum Existenzminimum fest. »Wenn man dann noch bedenkt, dass teilweise sanktioniert wird, dann kann man sich nicht mehr vorstellen, inwieweit damit Teilhabe möglich sein soll«, so Becker, die Gutachten zum Thema sowohl für die Diakonie als auch für die Grünen-Fraktion des Bundestages erstellt hat.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2014 in einem Urteil vorgegeben, dass auf extreme Preissteigerung zeitnah folgend der Regelsatz angepasst werden muss. »Das ist zum Beispiel jetzt der Fall. Die steigenden Energiepreise sind eine solche Situation«, sagte der Soziologe Peter Bartelheimer auf der Veranstaltung. Dem stimmte auch Andreas Audretsch von den Grünen zu. Der Sozialpolitiker erklärte am Freitag, es brauche auf Grund der Inflation jetzt eine Anpassung der Regelsätze. »Wir können nicht warten, bis wieder die nächste Runde kommt«, so Audretsch.
Am Mittwoch hatte das Bundeskabinett eine Corona-Einmalzahlung von 100 Euro für Erwachsene beschlossen, die Hartz IV, Grundsicherung oder Sozialhilfe beziehen. »Das war in der Koalition gar nicht so einfach«, erklärte die SPD-Politikerin Annika Klose. »Ich hoffe, dass darauf noch mal aufgesattelt wird. Das wäre sehr nötig.« Vor dem Hintergrund der Sanktionen könne die Diakonie sich schwer vorstellen, dass aus Hartz IV tatsächlich ein Bürgergeld wird, das seinen Namen verdient, stellte hingegen Petra Zwickert, Referatsleitung Soziales bei dem konfessionellen Wohlfahrtsverband, fest.
Zumindest was das Sanktionsmoratorium angeht, machte Grünen-Politiker Audretsch Hoffnung auf Nachbesserungen. Er kritisierte, dass der vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf eine Ausnahmeregelung bei den Sanktionen vorsieht und diese bis zu einer Neuregelung nicht vollständig aussetzt. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa sagte er: »An dieser Stelle werden wir im parlamentarischen Verfahren nacharbeiten.«
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