Rechter Richter zwingt Parlament ins Unbekannte

Gutachten im Auftrag der Grünen hält Richteranklage des sächsischen Landtags gegen AfD-Mann Jens Maier für angebracht

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Sachsens Landtag sollte sich für eine Expedition ins Ungewisse wappnen. Dazu rät der Berliner Verfassungsrechtler Christoph Möllers. Er hat für die Fraktion der Grünen ein Gutachten zu einer möglichen Richteranklage gegen den Rechtsextremisten Jens Maier erarbeitet, der bis 2021 für die AfD im Bundestag saß und seit dem 14. März wieder als Richter in Sachsen tätig ist. Mit der Klage würde eine Art Terra incognita betreten. Das in Artikel 98 Grundgesetz verankerte Instrument ist laut Möllers bisher nie angewendet worden; es gebe daher »keinerlei Erfahrungswerte« und einen »besonderen Grad an Ungewissheit«. Gleichwohl solle es im Fall Maier genutzt werden. Es gehe um die »Reputation« der Justiz sowie den Schutz »vulnerabler Gruppen« wie Migranten, denen gegenüber Maier als Richter befangen sei.

Jens Maier, der vor Einzug in den Bundestag 2017 rund 20 Jahre am Landgericht Dresden tätig war, vertritt nach Einschätzung von Möllers offen und offensiv eine Gesinnung, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung »relativ eindeutig« nicht vereinbar sei. Insbesondere zeige sich das in einem ethnischen Volksbegriff. So warnte er vor der Herstellung von »Mischvölkern«. Dem norwegischen Rechtsterroristen Anders Brejvik attestierte er, aus »Verzweiflung« gehandelt zu haben. Die NPD lobte er als »einzige Partei, die immer zu Deutschland gestanden« habe. Sachsens Landesamt für Verfassungsschutz stuft Maier als rechtsextrem ein.

Seit dessen Ausscheiden aus dem Bundestag mühen sich Politik und Justiz zu verhindern, dass Maier im Freistaat wieder Recht spricht. Das Justizministerium beantragte bei einem Richterdienstgericht, ihn in den Ruhestand zu versetzen und ihm die Führung der Dienstgeschäfte zu untersagen. Die Hoffnung auf eine Entscheidung vor Maiers Amtsantritt erfüllte sich nicht, weil eine Stellungnahme von dessen Anwalt aussteht. Am 14. März leitete das Landgericht Dresden zudem ein Disziplinarverfahren gegen Maier ein.

Mit der Richteranklage, die im Landtag mit Zweidrittelmehrheit beschlossen und am Bundesverfassungsgericht erhoben werden müsste, sollte nun auch das dritte Instrument vorbereitet, aber noch nicht gezogen werden, rät Möllers. Grund: Es habe Vorrang vor den anderen Disziplinarmaßnahmen, die deshalb ruhen müssten. Er empfiehlt daher, zumindest die beantragten Eilentscheidungen in den anderen Verfahren abzuwarten. Es bestehe ansonsten die Gefahr, dass eine vom Dienstgericht verfügte Versetzung in den einstweiligen Ruhestand durch die Richteranklage wieder aufgehoben würde.

Gleichwohl darf das Parlament nicht untätig bleiben. Grund sind Fristenregelungen, die bei einer Richteranklage greifen. Fehlverhalten im Amt hätte innerhalb von sechs Monaten geahndet werden müssen, bei Verfehlungen außerhalb des Amts gilt eine Frist von zwei Jahren. Angesichts der Tatsache, dass Maier sich im Sommer 2020 zum völkisch-nationalen »Flügel« in der AfD und im Herbst 2021 zur islamfeindlichen Bewegung Pegida bekannte, wäre diese Vorgabe nach Ansicht von Möllers einzuhalten. Allerdings ist der Zeitrahmen eng. Der Landtag solle die Anklage daher umgehend vorbereiten, »um nicht an dieser Hürde zu scheitern«, resümiert Möllers in dem 38-seitigen Gutachten.

Die Grünen sehen sich durch das Papier bestärkt in der Absicht, Maier anzuklagen. Sein Fall sei »prädestiniert für dieses Instrument«, sagt Valentin Lippmann, Innenexperte der Fraktion. Neben Justiz und Ministerium solle auch der Landtag aktiv werden: Es seien »alle Institutionen in der Pflicht, den unhaltbaren Zustand zu beenden, dass ein Rechtsextremer in Sachsen Recht spricht«. Er fügte hinzu, man dürfe »keine weitere Zeit verlieren«. Die Zweijahresfrist sei mit der Einreichung der Klage in Karlsruhe verknüpft. Zuvor muss das parlamentarische Verfahren beendet werden, das ebenfalls Zeit braucht.

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Offen ist, ob die nötige Mehrheit zustande kommt. Um gegen die Abgeordneten der AfD eine Zweidrittelmehrheit zu erreichen, sind rund 80 Stimmen nötig. Die Koalition aus CDU, Grünen und SPD bringt es auf 67 Sitze. Die oppositionelle Linke mit 14 Abgeordneten will den Vorstoß mittragen. Allerdings war die CDU bisher skeptisch. Martin Modschiedler, ihr rechtspolitischer Sprecher, gab disziplinarrechtlichen Schritten den Vorzug und verwies auf »enorm hohe Hürden« für die Richteranklage, die zudem »an nicht klar abgesteckte Voraussetzungen geknüpft« sei.

Lippmann hofft nun, dass diese Unklarheiten mit dem Gutachten ausgeräumt seien und sich die Koalition auf eine Anklage einigen könne: »Es lohnt sich nicht, sich hinter offenen Fragen und der Angst des ›Das haben wir noch nie gemacht‹ zu verstecken.«

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