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Leben mit dem Nichts
Für aus Deutschland nach Serbien abgeschobene Roma ist es schwer, in der fremden Heimat anzukommen
Sie kamen nachts um halb drei. Das laute Hämmern an der Tür riss die Familie aus dem Schlaf. Den Eltern und den älteren Kindern war sofort klar, dass der Tag der Abschiebung gekommen war. Unter den Blicken der Polizisten blieb kaum Zeit, die wichtigsten Sachen zu verstauen.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Den Ramadanis hat sich dieser Tag im August 2020 tief ins Gedächtnis gebrannt. Auch Georg von Schmettau, der wie seine Frau und seine inzwischen erwachsenen Kinder über viele Jahre ein enges Verhältnis zu der aus dem Kosovo stammenden Roma-Familie aufgebaut hatte: »Als Erdita mitten in der Nacht anrief, wusste ich, was los ist.« Er musste zusehen, wie die Familie mit ihren drei Kindern in einen Bus gesetzt und zum Flughafen gebracht wurde. »Mir war klar, dass in Belgrad niemand auf sie wartet«, sagt der Erfurter.
1999 waren die Ramadanis von Albanern aus dem Kosovo vertrieben worden. »Wir hatten fünf Minuten, um die Sachen zu packen, dann mussten wir unser Haus verlassen«, erinnert sich Mutter Nazmije. Bis 2011 lebte die Familie mit den Kindern auf der Straße, in Häusern aus Kartons, kampierte unter Brücken, auf dem Feld - an unterschiedlichen Orten in Serbien und in Montenegro, erzählt Vater Arsim. Über Schweden und Norwegen kam die Familie dann 2013 nach Deutschland.
Acht gute Jahre in Erfurt
»Hier wurden wir gut empfangen, haben in Erfurt zwei große Zimmer im Heim bekommen«, berichtet Arsim Ramadani, und seine Augen leuchten bei der Erinnerung, ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Doch das Asylersuchen wurde wie schon in Schweden abgelehnt, und auch die Härtefallkommission entschied gegen ein Aufenthaltsrecht. Trotzdem blieben die Ramadanis, hofften, dass sie trotzdem bleiben dürfen. Nach ihrer Abschiebung aus Deutschland verbrachte die Familie die ersten Nächte auf einem serbischen Bahnhof.
Ein Problem, das viele Rückkehrende haben, weiß Jelena Micovic. Sie koordiniert die Beratungsstelle der Caritas für Rückkehrende in der serbischen Hauptstadt. Täglich erlebt sie Diskriminierung der Roma in der Balkanrepublik. Erschwerend sei, dass es in Serbien nur zwei Hautfarben gebe: weiß und »Roma«. »Es ist fast aussichtslos, für sie eine bezahlbare Wohnung zu finden«, beklagt sie. »Sobald die Vermieter erfahren, dass die Anfrage von Roma kommt, heben sie den Mietpreis an.«
Zwei Drittel der Zurückgekehrten gaben bei einer Befragung durch die Beratungsstelle an, dass sie Probleme haben, eine Wohnung zu finden. Das größte Problem aber ist die Existenzsicherung: Neun von zehn Befragten schaffen es nicht ohne Hilfe. Nur 14 Prozent gaben an, dass sie sich ohne Unterstützung in die serbische Gesellschaft integrieren können. Einige Jahre zuvor hatte der Anteil noch bei über 50 Prozent gelegen. Die Corona-Pandemie schafft zusätzliche Hürden.
Jelena Micovic berichtet auch, dass immer mehr Menschen mit ernsthaften gesundheitlichen Problemen aus Deutschland zurückkehren. Darunter viele mit mentalen Problemen, was ihre Reintegration erschwert. Eine Weiterbehandlung scheitert oft an einer fehlenden Impfung. Um einen Termin beim Facharzt zu bekommen, muss ein negativer PCR-Test vorgelegt werden. »Die Kosten für einen Test übersteigen aber den Satz der monatlichen Sozialhilfe«, beklagt Micovic, die sich unermüdlich für Roma und andere Rückkehrende einsetzt.
Für die Familie Tatari hat sie einen Kofferraum voller getragener Kleidung und Lebensmittel eingepackt. Die Familie lebt in Debeljaca, einem Dorf in der Vojvodina. Für sie ist es schwer, den Ort zu verlassen. Die Eltern Ramadan und Vjoljz sind mit ihren neun Kindern zwischen anderthalb und 21 Jahren im November 2021 aus Suhl abgeschoben worden. In Debeljaca vor den Trümmern ihres Hauses - und ihrer Existenz. Sie hatten sich in Deutschland eine bessere Zukunft erhofft und Serbien verlassen, als es ihnen nicht mehr gelang, den Lebensunterhalt zu verdienen. Auch sie stammen ursprünglich aus dem Kosovo, wo Roma besonders unter Diskriminierung und Gewalt leiden.
Während ihrer Abwesenheit zerstörten Vandalen ihr Haus in Debeljaca. Es ist faktisch unbewohnbar: Das Dach kaputt, die Wände gerissen, innen alles verwüstet, zeigt uns Ramadan Tatari. Wer es war? Tatari zuckt mit den Schultern. Die Familie fand im gleichen Ort eine mit 50 Euro Miete vergleichsweise preiswerte Unterkunft. Als wir sie besuchen, sind die beiden älteren Söhne bei der Arbeit. Hin und wieder können sie mit Gelegenheitsjobs den Unterhalt der Familie verdienen. Ihre Schwestern sind noch zu Hause. Momentan bemüht sich die Familie mit Jelena Micovics Hilfe, dass die jüngeren Kinder wieder zur Schule gehen können.
Auch das ist ein großes Problem. Einerseits fehlt es vielen Rückkehrenden an Geld für Schulbücher. Wenn von den Schulen im Gastland keine Jahreszeugnisse, sondern nur Bescheinigungen mitgegeben werden, erschwert das den Übergang ins serbische Schulsystem zusätzlich. Am häufigsten geben die Roma an, dass die Kinder helfen müssen, den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen. Vielen bleibt der Zugang zu Sozial- und Schulsystem sowie zum Arbeitsmarkt versperrt, weil sie ohne Papiere aus Deutschland zurückkommen. Neue Papiere zu besorgen, ist ebenfalls eine große Hürde.
Hohe Hürden für die Reintegration
Die Tatari-Mädchen haben auf dem Boden Platz genommen, während uns die Eltern ihre Geschichte erzählen. »Wir dachten, in Deutschland ist ein besseres Leben«, sagt uns der Vater, der noch immer nicht verstehen kann, warum die Familie das Land ihrer Träume wieder verlassen musste: »Wir machen doch keine Probleme!«
Dies sei ein Satz, den man immer wieder höre, stöhnt Jelena Micovic. Er sage viel aus. Dieser Familie hofft die Sozialarbeiterin mit relativ wenigen Mitteln helfen zu können. Die älteste Tochter will Krankenschwester werden, die zweitälteste einen Schneiderkurs machen. Die Beratungsstelle will sie bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz unterstützen. Für die Mutter und die jüngeren Schwestern stellt sich Jelena Micovic einen Kräutergarten vor. Die Kräuter könnten sie auf dem Markt in Pancevo verkaufen. »Für die 27 Kilometer dorthin bräuchten wir ein Auto, und dann müssten wir noch ein Gewächshaus bauen«, zählt sie auf. 2500 bis 3000 Euro sollten als Startkapital reichen. 700 Euro sind schon zusammen. »Hier wird es deutlich einfacher als bei der Familie Ramadani«, glaubt Micovic.
Die beiden Familien sind Fälle, wie sie der Beraterin täglich begegnen. Seit 2016 gibt es die Beratungsstelle in Belgrad, die auf eine Idee von Monika Schwenke von der Caritas in Sachsen-Anhalt zurückgeht. Sie leitet die Härtefallkommission in dem Bundesland und hat immer wieder mit Menschen zu tun, die in Deutschland kein Bleiberecht haben. »Ich habe das Thema Rückkehr jahrelang mit mir herumgetragen«, erzählt Monika Schwenke. »Wir waren immer ohnmächtig, wenn das Thema anstand und unsere Möglichkeiten ausgeschöpft waren.« Bei einer Reise nach Serbien kam sie mit der dortigen Caritas ins Gespräch, erzählte den Kolleginnen von ihrer Idee. Caritas International stellte Geld für ein Modellprojekt bereit, aus dem 2017 eine feste Einrichtung wurde. Inzwischen beteiligt sich auch das Land Niedersachsen an deren Finanzierung.
»Mit der Beratungsstelle versuchen wir, eine Brücke zu bauen für Menschen, die zurückgeführt werden«, sagt Monika Schwenke. Inzwischen haben 900 Menschen die Hilfe der Einrichtung in Belgrad in Anspruch genommen. Einige wurden abgeschoben, andere sind mehr oder weniger freiwillig zurückgekehrt. »Ich nenne es akzeptierte Rückkehr«, formuliert Monika Schwenke. »Dieser Begriff ist zutreffender als freiwillig.«
Anfangs sei es schwer gewesen, mit den Menschen Kontakt zu kommen, erinnert sich Jelena Micovic, die neben Sozialer Arbeit auch Deutsch und Englisch studiert hat und als Übersetzerin arbeitet. Es gab viel Skepsis, großes Misstrauen. »Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die Beratungsstelle sie unterstützt«, freut sie sich. »Viele kommen von allein zu uns, weil sie im Bekanntenkreis von uns gehört haben.«
Auch für die Ramadanis geht es in kleinen Schritten vorwärts. Die Wohnung, die sie nach den Nächten auf dem Bahnhof in Surcin zwischen Belgrad und dem Flughafen fanden, ist für dortige Verhältnisse völlig überteuert. 250 Euro zahlt die Familie für zwei Zimmer. 250 bis 300 Euro entsprechen in Serbien einem durchschnittlichen Monatslohn. Nur, dass niemand aus der Familie eine feste Arbeit hat. Einzig Vater Arsim verdient gelegentlich ein paar Dinar als Tagelöhner. »Als wir eingezogen sind, war kein Dach auf dem Haus, und wir haben zwölf Tonnen Müll herausgeholt«, erzählt Arsim Ramadani. Mit seinen Kindern baute er die Wohnung aus - unbezahlt.
Nach wie vor unterstützen die Schmettaus aus Erfurt die Familie finanziell, kümmern sich auch um Tochter Armina, die eine Ausbildung in einem Thüringer Altenpflegeheim macht. Für Arsim Ramadani haben die Schmettaus den Führerschein bezahlt. Stolz hält er uns das Dokument entgegen. »Der Führerschein wird ihm hoffentlich den Weg in den Arbeitsmarkt ebnen«, sagt Jelena Micovic. Mutter Nazmije, die in Erfurt als Freiwillige in einem Altersheim geholfen hat, braucht zunächst eine Therapie. Nach Gewalterfahrungen im Kosovo hält sie es kaum in größeren Menschengruppen aus.
Hilfe oft nur Tropfen auf den heißen Stein
Der Weg für die Ramadanis in die serbische Gesellschaft ist noch weit. Auch wegen der hohen Miete, mit der sie im Rückstand sind. Findet der Vermieter andere Interessenten, steht die Familie über kurz oder lang wieder vor der Tür. Das Geld, das Arsim Ramadani als Tagelöhner verdient, und das, was die Schmettaus und die drei älteren Kinder, die in Deutschland bleiben konnten, schicken, reicht kaum für Wohnung und Lebensunterhalt. Hinzu kommt die Sehnsucht nach den erwachsenen Kindern.
»Der Krieg hat es nicht vermocht, unsere Familie zu trennen. Aber Deutschland hat das geschafft«, beklagt Arsim Ramadani. Auch seine zweitälteste Tochter will wieder zurück nach Thüringen. Sie spricht Deutsch wie eine Muttersprache. Wenn sie mit ihrer großen Schwester in Erfurt telefoniert, sprechen die Mädchen Deutsch. Wenn sie ihre Wunschausbildung als Altenpflegerin machen kann, stehen ihre Chancen für eine Rückkehr nicht schlecht.
Jelena Micovic wird die Ramadanis weiter auf ihrem Weg begleiten. Sie konnte vielen Familien helfen, eine neue Existenz aufzubauen, weiß aber auch, dass ihre Arbeit oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein und der Hilfebedarf weit größer ist. »Eigentlich müsste es solche Beratungsstellen in allen größeren Städten geben«, weiß auch Monika Schwenke. Immerhin soll nun in Nordmazedonien eine Einrichtung nach Belgrader Vorbild aufgebaut werden.
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