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Immer wieder Deutschland
Der »Tannhäuser Kreis« propagiert mit dem Schuldigen Realismus eine neue Kunstströmung. Eine Ausstellung sorgt nun für Furore. Doch was verbirgt sich dahinter?
Es ging los mit einem Profil auf der Plattform, auf der sich bevorzugt die Kunstwelt tummelt: Instagram. Hier teilt man die schickeren Katzenbildchen und eigenen künstlerischen Versuche. Wer Glück hat, wird dabei von den Etablierteren entdeckt und darf sich Hoffnung auf einen Auftritt in der analogen Welt machen. Selbstvermarktung nach den Regeln eines sozial und meinungsmäßig eher in sich geschlossenen Betriebs ist gefragt. Die moralischen Codes der neuen Mittelklasse wollen befolgt werden, das gilt es auch permanent zu signalisieren - mehr Solidarität als ein Landesfahnen-Emoji darf man heute wohl kaum noch erwarten. Da irritierte der »Tannhäuser Kreis« allein schon mit der wie aus der Zeit gefallen wirkenden Frakturschrift, selbst wenn die trotz antimodernen Kolorits seit Bert Neumanns Entwürfen für die Berliner Volksbühne als in Künstlerkreisen rehabilitiert gelten dürfte. »Art but make it STAHLHART« kündete der »Tannhäuser Kreis« an, die veröffentlichten Bilder und Fotos ließen eine obsessive Beziehung zum Deutschen erkennen. »Nazi-Memes als kritische Kunst?«, fragte ein Text aus dem vergangenen Jahr.
Doch was zeigen eigentlich die vermeintlichen »Nazi-Memes«? Caspar David Friedrichs »Der Wanderer über dem Nebelmeer« mit Böhse-Onkelz-Schriftzug, einen Jenga-Turm aus Spargelstangen, eine passgenau um einen Hund errichtete Holzhütte. Hier lässt sich schwerlich sagen, dass etwas vermeintlich Urdeutsches verherrlicht wird, im Gegenteil wird das Obsessive als Grundzug deutscher Mentalitätsgeschichte offenbart.
Den »Tannhäuser Kreis« gibt es nun nicht mehr nur im Internet, in der Galerie Anton Janizewski in Berlin-Charlottenburg ist noch bis Ende April die Ausstellung »Schuldiger Realismus« zu sehen. Der Kurator Julian Volz hat dafür 16 Einzelkünstler ausgewählt, die für ihn dieser Strömung zugerechnet werden können, wie er im Gespräch mit »nd« erzählt. Ein Werk zeigt penibel zu einem Muster arrangierte Biermarken, bei dem man frei nach Martin Kippenberger beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen kann; ein anderes entführt in die Abgründe von Tiktok, wo es einem Eiserne Kreuze in LSD-Optik auf die Netzhaut brennt und »Saufi, saufi, ich bin ein Saufautomat« entgegenschallt. Die heiter-bedrohliche deutsche Bierzeltstimmung war Thema bereits von Herbert Achternbuschs »Bierkampf« bis zu Gerhard Polt, in den frühen 70er gingen beim Kölner Karneval die »Hipp, hipp, hurra!«-Rufe noch anstandslos und gewohnheitsmäßig in »Sieg Heil!« über.
Andere Objekte in der Ausstellung gehen subtiler vor, zeigen Leni Riefenstahls Aufnahmen von den Olympischen Spielen 1972 für die britische »Sunday Times«, ästhetisch nicht zu unterscheiden von denen für Hitler 1936, oder einen Polyesteranzug mit aufgedrucktem Schriftzug des Filzfanatikers Joseph Beuys. Dann eine durch geschickte Spiegelung an der Rückwand unendlich wirkende Aufreihung von Schleich-Plastiktieren, wieder so etwas Obsessives, worin noch Hitlers »Feldmaus zu Feldmaus und Hausmaus zu Hausmaus« nachklingt. Ein Klangspiel aus Alubaseballschlägern verweist auf die »Baseballschlagerjahre«, die rechte Gewalt in den 90ern. Nicholas Warburg lässt mit »Unsere Ehre heißt Reue« vom Wahlspruch der Waffen-SS nur einen Buchstaben weg und damit an den »wieder gut gewordenen Aufarbeitungsweltmeister« denken, der »historische Verantwortung« inzwischen als Waffe zu führen weiß und umgekehrt moralisch einwandfreies Mordwerkzeug in aller Welt verkaufen kann. Die Gründung des »Tannhäuser Kreises« geht zurück auf die Diskussion von Volz mit Warburg, bekannt als Mitbegründer der spektakelaffinen »Frankfurter Hauptschule«. Die eher irritierenden Anklänge an die romantische Wagner-Oper oder den George-Kreis seien dabei durchaus beabsichtigt.
»Der Tannhäuser Kreis ist die Avantgarde des Schuldigen Realismus«, heißt es in dem thesenhaften und manifestartigen Text zur Ausstellung von Volz. Der beginnt bei den Realismusdiskussionen in den 30er Jahren mit Bertolt Brecht und Georg Lukács, geht über den historisch begrabenen kapitalistischen Realismus über Christoph Schlingensief bis zur Gegenwart. Nun brauche es einen neuen Realismus; es reiche nicht aus, »eine am linksliberalen Konsens orientierte Wohlfühlkunst zu machen«, schreibt Volz. Man müsse wieder Risiken eingehen, mit der Ambivalenz spielen, sich schuldig machen. Dafür gibt es neben Schlingensief noch andere Vorbilder - Volz nennt im Gespräch unter anderen Kippenberger, Anne Imhof, Jonathan Meese und die durch ihre unheimlichen Interieurs bekannt gewordene, 1984 in Zwickau geborene Henrike Naumann. Wobei weder bei den Genannten noch den Ausgestellten auszumachen wäre, inwieweit man auch formal über das Kunstobjekt als Bekenntnisträger hinausgeht. Eher ließe sich das wohl als Aufbrechen eines inneren Widerspruchs beschreiben, der sich politisch wie ästhetisch manifestiert.
Man habe eine neue künstlerische Strömung bündeln wollen, so Volz. Das ist eher ungewöhnlich, ebenso die in dem Text vorgenommene Selbsthistorisierung und auch -theoretisierung. Dass man sich von dem kunstinternen Privilegiendiskurs und von der linksliberalen Bekenntniskunst abgrenzen will, wie Volz sagt, wurde ebenso zur Kenntnis genommen. Prompt kamen Vorwürfe auf, die Künstler der Ausstellung würden eine rechte Ästhetik reproduzieren oder als weiße Deutsche mit Nazi-Ästhetik spielen. Die Präsenz auf Instagram wurde inzwischen gesperrt. Weitergehen soll es nach Volz trotzdem. Der Schuldige Realismus wendet sich gegen die Wirklichkeitsblindheit des heutigen Kunstdiskurses, überwunden hat er sie noch nicht, das wäre wohl auch zu viel verlangt. Inwieweit das ein Aufbruch zu einem neuen Realismus in der bildenden Kunst sein kann oder ob es doch nur eine schnell verpuffte Intervention bleibt, wird sich aber noch zeigen müssen.
»Schuldiger Realismus«, bis zum 30. April in der Galerie Anton Janizewski, Goethestraße 66, Berlin.
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