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Lasst uns in Frieden (39): Mit umgekehrtem Düsenantrieb
Früher waren die Grünen kitschig, heute sind sie gefährlich
Jetzt sind wieder Ostermärsche. Werden sie größer sein als sonst? Vor 40 Jahren waren sie groß und die Friedensbewegung war riesig, als es gegen die Pershing- und SS-20-Raketen ging. Zu dieser Massenmobilisierung gehörten auch Kitsch und krudes Zeug wie zum Beispiel das Lied »Entrüstung« der Gruppe Bots: »Nach dem zehnfachen Overkill / liegt alles strahlend da und still. / Solang noch Zeit ein Mensch zu sein / wollen wir es laut und lauter schreien: / Das ist Entrüstung - das ist Entrüstung / Wir haben die Schnauze voll / weil kein Krieg mehr kommen soll /Das ist Entrüstung - das ist Entrüstung / weil wir ohne Waffen Frieden schaffen wollen«.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Das fanden meine Freunde und ich albern, und die Grünen, die ähnlich tickten, gleich mit. Wir waren junge Salonbolschewisten und fühlten uns dem Punk verwandt. Wer den Text irgendwie okay finden mag, der höre sich das Lied an oder betrachte einfach nur das Cover des Albums: Einen Panzer mit Peace-Zeichen und zwei phallischen E-Gitarren als Kanonen.
Eine schlimme Ästhetik, gewiss, aber die ist nichts gegen die schlimme Politik der Grünen. Vor 40 Jahren wollten sie »ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei« sein. Heute scheinen sie nur noch zu sagen: Krieg ist dafür da, dass man ihn führt. Und eine Regierung ist dafür da, dass man ihr angehört, egal mit wem und wofür. Man stelle sich einmal vor, dass die Grünen in der Ampelkoalition so vehement die Abkehr vom Auto oder den Kohleausstieg fordern würden wie sie jetzt nach schweren Waffen für die Ukraine rufen.
Für Petra Kelly waren die Grünen einmal die »Anti-Parteien-Partei«. Sie war ihre erste Spitzenkandidatin, eine bürgerliche Fundamentalistin, für die Menschenrechte und Antimilitarismus heilig waren. 1992 wurde sie umgebracht von ihrem Parteifreund und Lebensgefährten Gert Bastian, einem Ex-General der Bundeswehr. Sehr symbolisch. Es soll ein »Doppelselbstmord« gewesen sein.
Verglichen mit ihren alten pazifistischen Zielen sind die Grünen eine Partei mit umgekehrtem Düsenantrieb: Moralisten ohne Moral, Realisten ohne Realitätsbezug. Was haben wir uns über diese Tee trinkenden Hippies mit den Hennahaaren und den Drehtabakkrümeln im Rauschebart lustig gemacht. Zu uncool und kitschig. Die heutigen Grünen würden da locker mitlachen - das ist das Problem. Rein politisch, nicht ästhetisch.
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