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Das Herz schlägt um sich
Neue Gedichte von Albert Ostermaier: Anmutig wie »Teer«
Teer? Das ist der Feind der Sohlen. Entweder zu hart oder zu weich. Teer stinkt, er weckt die Sehnsucht nach klinischer, steriler Sauberkeit. Also: eine der bösesten (deutschen) Süchte. Und so überfällt dich just dieser Vers mit einer Wahrhaftigkeit, die sprachlos macht: »himmlisch ist die hölle/ hat solche fliesen schwarz/ und weiss als würden wir/ nicht wissen dass sie alle/ mit blut gebrannt sind«. Teer! Futter für Walzen. Er klebt. Ist ein Verwandter der Ölpest. Aber er erzählt uns. Jeder Straßenbelag ist uns näher als die Erdhaut. Wir dichten erstickend ab, planieren den Planeten. Die Autobahn ist unsere Kometenbahn? Immer schon hat der Dichter Albert Ostermaier Chemie und Mythos, beängstigende Coolness und hitzige Kreatürlichkeit zusammengebracht. Auch diese Gedichte sind wieder so räudige wie romantische Imagination, erlebt in Trancezuständen. So wie Erfahrung nichts mehr ist, das man macht - man loggt sich ein in sie.
Man hört Herzen gleichsam bis in die Augen schlagen, die in klarsten Augenblicken von welterkennender Blindheit träumen. Als sei Teiresias ein Gott gewesen. Feeling-Fetzen in einer durchamerikanisierten Wirklichkeit, in deren Kaltfronten jedermann zu Hause ist und doch gleichzeitig evakuiert bleibt. Das poetische Abirren in die Suche nach Wärme erfolgt nicht als Verweigerung von Welt, sondern als deren berauschte, lippenzitternde Inbesitznahme.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Die Anlässe? Highways, das Auto wie ein Mustang, Haut und Neopren, Schwingtüren, der »grosse habermas« im Solebad. Eine Musikalität teilt sich mit, die an den Lustschrei einer Elektrogitarre erinnert. In Ostermaiers heißer Hand die Heiner-Müller-Kaltnadel (»ich schulde der welt/ einen toten totgeglaubt«). Oder als habe Edward Hopper dem Dichter zugewunken. Leere tut so weh wie Fülle. Aber dennoch lebt diese Lyrik von Momenten, in denen es noch dem müdesten Selbst nicht gelingt, sich selbst zu hintergehen. Poesie tritt auf und zerreißt den Einberufungsbefehl zum funktionalen Verhalten. Harmonie? Steht im Lügendienst. »wie schön alles war als es hässlich war«.Wo andere ihr Empfinden gern mit politikbetrieblichen Definitionen bestempeln, um möglichst wissend dazustehen, da stolpert er, mit Leid-Lust auf Unfassbarkeiten, im Freien (»hoffnung dünn wie ein flaschenhals«). Denken ist ihm kopferhobene Verlorenheit. Hölderlin steht im »wind als wäre er gejagt von den göttern«. Thomas Mann sehen wir im Jahrhundertfrost, unter Mühen in nobler Fassung (»gestärkt das weisse hemd/ gegen den braunen dreck«).
Schneidend scharf der Ton, dann wieder traumwandlerisch schön, schwebend. Manchmal freilich ein »drahtverhau über der stimmung«. Gesammelt sind Oden auf Trinkbude, Brieftauben und DJ Hell. Oder Gedichte zu einer Fotoserie vom Maya Mercer. Brecht steht mit Schimanskis Schmuddeljacke auf der A40. Die Vernunft setzt irre Masken auf, das Absurde kalauert: »susi fährt/ jetzt quattro und kommt auch nicht/ voran im stop and go«. Zitternd und fiebernd bewegt sich diese Poesie durch den Eiswald der Sachverhalte. Teer, das ist der Untergrund, der den Boden nicht abhält zu schwanken. Teer belegt die schnurgerade Schneise; aus Rodung wird Road. Auf Tour: ein Gulliver der besonderen Art, der durch Nervenbahnen zu ziehen scheint, um im nächsten Moment aus fernster Galaxis auf den Menschen herabzuschauen. Du liest das wie unter einem Regen, der dich reinwäscht vom Klebstoff des Geläufigen.
Nähe, also jene Sehnsucht, die Menschen zueinandertreibt - sie bleibt für Ostermaier ein großer, untilgbarer Widerspruch. Nähe ist das eigentliche Tor zur Fremdheit, denn einen anderen Menschen zu erkunden, ihn erfahren zu wollen - das ist der Eintritt in Untiefen. Je mehr man einander vertraut, je vertrauter man sich ineinander verknäult, desto unergründlicher gerät doch alles. Liebe? »nach dem ersten sonnenstich ein/ loch im herzen und über der lunge/ ein schatten für dich«. Von Liebe kann man vieles erwarten, aber ein besseres Leben erpressen kann man von ihr nicht. Auch intensivste Liebe bleibt eine nie abgeschlossene Unterhaltung Einsamer. »das herz schlägt/ um sich gegen wände aus/ wäre und würde und wird«.
Nähe - zu welchem Menschen, zu welcher Idee auch immer - ist nicht wirklich möglich, ohne dass auch Verletzung die Szene betritt und uns Wundstellen zuweist. Wir betrügen andere Menschen nicht mit anderen Menschen, sondern immer ausschließlich mit uns selber. Am Winterabend »traurigkeit in der du alleine bist ohne/ du selbst sein zu müssen einsam ohne/ verlassen zu sein«.
Standort des Dichters ist bei den Rissen, durch die man hineinsehen kann in den Abgrund von Entfernung und Ewigkeit. »wo warst du als die tür/ sich schloss«. Trost? Ja, denn es gibt mehr Betörendes als Erklärliches auf der Welt. Die Schleier werden nicht weniger, sie zerreißen nicht, die meisten fallen auf uns herab wie leichte Matten von Schnee; unter den Schleiern begraben, verstummt das Gescheite. Also: Erstick in dir das obligate Diskurswort, es kommt nicht wirklich aus dir selbst!, so rät dieser Dichter. In der Grelle der Ratio schwärzt er heiter ein. Er ist dunkelsüchtig, weil erst alles Finstere die Leuchtkräfte erotisiert. Und so schreibt er, als wandere er durch Unterführungen, durch Höhlungen unter dem Lärm, in Tunneln zwischen den Zeiten. Trifft dort Theseus und Idomeneo. Und die schlaflose Phädra besingt er. »Du das Tier, die Nacht, diese Schwärze wir/ Sind das Verbotene, die Dunkelheit«.
Diese Poesie wendet sich gegen Leute alljeder Institution, die starr in ein vermeintliches Zentrum blicken und ständig im vergänglichsten Stoff wühlen, den das Allgemeine aufbieten kann. Es ist doch aber Öde, in tagespolitischer Enge in ein Denken verwickelt zu werden, dass unter Utopie und Emanzipation nur immer das versteht, was man schon zigmal geistlos verklärt hat. Und das man ständig militant aufpoliert. »solange wir behaupten die/ besseren menschen zu sein die/ höhere moral zu haben statt die tiefere einsicht/ dass wir profiteure/ des elends sind das immer das/ bessere drama ist«.
Dieser Poet ist ein Theatermann. Wenn er Hamlet und Co. aufruft, die Gestalten von Sturm und Zwang, dann geht dir Gegenwart auf: Woyzeck holt die Erbsen, die er fressen soll, bei Lidl, Kohlhaas schmachtet in Guantanamo. »macbeth an der fleischtheke/ hinterlässt einen dolch/ in einem zufälligen rücken als/ er die wälder zu wandern wähnt«. Und überhaupt gibt es viele Unfaked News von allen Bösen: »shakespeare selbst gibt eine pressekonferenz/ alle seien entlassen in die wirklichkeit«.
Was zu Kleists Zeiten aus dem Alleinsein mit Gott zu lernen war, das wird heute nur noch übertragen aufs großstädtische Alleinsein mit einem möblierten Nichts - wo man bei Mineralwasser und Ecstasy die Augen in einem permanenten Bilderkarneval spazieren führt. Natur, das sind nur noch »die knorrigen äste/ die dem himmel das blau aus den augen/ kratzen bis sie blind sind die scheiben/ vom hauchen der toten an allerseelen«.
Ostermaiers poetische Kraft kommt aus dem Selbstverständlichen einer simultan ausgerichteten Empfindungsfähigkeit: nüchterner Befund und schmerzendes Pathos. Wir sind »eingesperrt in die angst/ ausgang ungewiss der/ schlüssel hat einen bart«.
Albert Ostermaier: Teer. Gedichte. Suhrkamp, 127 S., geb., 18 €.
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