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»Sehr viel war unsensibel, relativierend, unsolidarisch«

Wie müsste sich die Linkspartei aufstellen, um ihrem feministischen Anspruch gerecht zu werden?

  • Kirsten Achtelik
  • Lesedauer: 4 Min.
Rote Fahne oder "red flag"? Bei manchen Genoss*innen sind Zweifel angebracht
Rote Fahne oder "red flag"? Bei manchen Genoss*innen sind Zweifel angebracht

Sie haben am Montag auf Twitter Tipps zum Vorgehen bei Vorwürfen sexualisierter Übergriffe gegeben. Was läuft falsch bei der Linken?

Ich befürchte,
Annica Peter
Annica Peter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Berliner Abgeordnetenbüro von Anne Helm (Linke); sie twittert unter dem Pseudonym Madita Pankonin. Bis Anfang dieses Jahres hat sie im Koordinationsbüro für Frauenförderung und Gleichstellung an der TU Berlin gearbeitet.
die Enthüllungen im »Spiegel« sind nur die Spitze des Eisbergs. In jeder Organisation, die von Hierarchien geprägt ist, gibt es ein Potenzial für Machtmissbrauch, Diskriminierung und Übergriffe. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass so etwas nicht passiert, weil sich Organisationen auf die Fahne geschrieben haben, feministisch, antirassistisch und inklusiv zu sein. Aber für eine feministische Partei sollte der Grundsatz gelten: Als erstes wird den Opfern geglaubt.

Was mich bei den Enthüllungen in der Linkspartei so entsetzt hat, waren gar nicht so sehr die Grenzüberschreitungen selbst - so schlimm sie sind -, sondern die öffentlichen Reaktionen aus den eigenen Reihen: Sehr viel war unsensibel, relativierend, unsolidarisch. Wenn man bedenkt, dass es sicher Menschen gibt, die gerade darüber nachdenken, ihre eigene Geschichte jemandem anzuvertrauen, ist das ein verheerendes Signal. Ich wollte einen konstruktiven Impuls setzen, sich dem Problem zu stellen, statt in Abwehr oder Schockstarre zu gehen.

Sie fordern unabhängige Menschen, die als Antidiskriminierungsbeauftragte arbeiten und das auch bezahlt tun. Warum ist das so wichtig?

Solche Aufgaben können nicht ehrenamtlich, also nebenbei gemacht werden. Am besten sollten diese Ämter von Menschen ohne Parteibuch ausgeübt werden, um tatsächlich frei und unabhängig von den Parteistrukturen agieren zu können. Um eine vertrauensvolle Beratung zu ermöglichen, muss sicher sein, dass alles, was gesagt wird, im Raum bleibt. Daneben ist es natürlich sinnvoll, wenn es Menschen vor Ort gibt, die das ehrenamtlich machen und ansprechbar sind.

Warum ist die im Oktober letzten Jahres eingesetzte Vertrauensgruppe im Bundesvorstand der Partei kein geeignetes Instrument?

Diese Gruppe ist nur über eine anonyme Email-Adresse erreichbar, man weiß nicht einmal, wer diese Mail dann möglicherweise liest. So eine Vertrauensgruppe klingt erst mal hilfreich, es ist aber ein Scheininstrument. Der Schritt, mich einer anderen Person nach einem Übergriff zu öffnen, ist nicht einfach. An eine anonyme Mailadresse zu schreiben, ist eine kaum zu überwindende Hürde.

Bei der Beratung ist das persönliche Gespräch die erste und wichtigste Hilfe: dass man gespiegelt bekommt, dass man nicht verrückt ist in der Wahrnehmung einer Grenzüberschreitung. Viele Betroffene haben Angst, dass sie und nicht die Täter die schlimmsten Konsequenzen tragen müssen, wenn sie Übergriffe öffentlich machen. Darum versuchen die meisten, die Probleme so geräuschlos wie möglich anzugehen. Dabei spielt das Vertrauensverhältnis zwischen Beratenden und Betroffenen eine große Rolle, das funktioniert nicht anonym.

Der Bundesvorstand hat am Mittwochabend getagt und ein längeres Papier zu den Vorwürfen mit Vorschlägen für ein weiteres Vorgehen veröffentlicht. Was halten Sie davon?

Es liest sich erst mal gut. Die Partei will gewährleisten, dass es klare Ansprechpersonen gibt und der Inhalt solcher Gespräche geheim bleibt. Darüber hinaus soll es eine »unabhängige Beratungsstruktur aus erfahrenen Frauen aus feministischer Anti-Gewaltarbeit und Betroffenenunterstützung sowie erfahrenen Anwältinnen« geben. Das ist sinnvoll, ich hoffe nur, dass das eine bezahlte Struktur sein wird, da sind die Formulierungen leider unklar.

Eine große Herausforderung wird es sein, die Lücke zwischen privaten Ermahnungen und einem Parteiausschluss zu füllen, da gibt es nämlich bisher nichts. Bei Übergriffen braucht es einen abgestuften Maßnahmenkatalog. Es gibt durchaus Fälle, bei denen eine offizielle Verwarnung schon viel bewirken kann, dass die Täter merken: Die Partei duldet nicht, wie du dich verhältst. Außerdem braucht es Schulungen zur Sensibilisierung, welche Auswirkungen Machtgefälle zum Beispiel durch große Altersunterschiede auf Beziehungen und Konsens haben. Es wird spannend, ob es gelingt, die Satzung auf dem nächsten Parteitag im Juni dahingehend zu ändern.

Was ist aus feministischer Perspektive von dem Passus zu halten, dass »strafrechtlich schwerwiegende Verdachtsfälle immer Gegenstand von offiziellen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren werden« müssen?

Wenn bei mir in der Beratung eine war, die von strafrechtlich relevanten Übergriffen berichtet hat, haben wir der Betroffenen oft geraten, das anzuzeigen. Ob sie das dann macht, war aber immer ihre Entscheidung, und das muss auch so sein. Alles andere widerspricht der Schweigepflicht, von der weiter oben die Rede ist, und wird hoffentlich noch nachgebessert.
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