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Südfrankreich war das gelobte Land
Ein bewegendes Leseerlebnis: »Rot und Weiß« vereint zwei alte Texte von Joseph Roth über jüdisches Leben und seine Bedrohungen
Der Schriftsteller Joseph Roth gehörte zur Generation jener jungen Europäer*innen, über die der Erste Weltkrieg jäh hereinbrach. Er hat für die Art, wie dieser Krieg sich einbrannte in das Seelenleben Worte von einer Dichte und Eindrücklichkeit gefunden, die derjenigen eines Walter Benjamin in nichts nachstehen. »Wir waren fürs Leben gerüstet«, schreibt Roth, »und schon begrüßte uns der Tod. Noch standen wir verwundert vor einem Leichenzug und schon lagen wir in einem Massengrab.«
Roth kam 1894 in dem in Österreich-Ungarn gelegenen, heute zur Ukraine gehörenden Ort Brody zur Welt. Nachdem er den Ersten Weltkrieg überlebt hatte, zog er nach Wien, wo er das journalistische Schreiben begann, mit dem er sich rasch einen Namen machte. Im Jahre 1925 beauftragte ihn die angesehene »Frankfurter Zeitung« mit einer Artikelserie über eine Frankreich-Reise. Diese Exkursion kam einem Erweckungserlebnis gleich, das seinen Niederschlag auch in dem Text »Die Weißen Städte« fand, der nun in der Anderen Bibliothek unter dem Titel »Rot und Weiß« veröffentlicht wurde, zusammen mit dem 1927 verfassten Essay »Juden auf Wanderschaft«.
Was Joseph Roth in Frankreich zutiefst anrührte, war der Grad an Zivilisiertheit, auf den er dort allerorten stieß; so etwa die ausgeprägte Gastfreundschaft bei breiten Bevölkerungsschichten, die alles übertraf, was Roth diesbezüglich aus Österreich und Deutschland gewohnt war. Doch »Die Weißen Städte« blieb in der Schublade, da Roths Berliner Hausverlag »Die Schmiede« gerade in Konkurs gegangen war; ein anderer Verlag lehnte ab. Spätere Herausgeber wiederum kürzten und entstellten den Text. Und so liegt er nun geschlagene 100 Jahre nach der Niederschrift zum ersten Mal endlich in der von seinem Autor erdachten und geschriebenen Form vor.
Das Weiß im Titel von »Die Weißen Städte« meint nicht allein die helle Farbgebung vieler Häuser in Frankreichs Süden. Vor allem betont Roth damit die afrikanisch-arabisch-orientalischen Einflüsse, dass die Kulturen sich also im Midi aufs Schönste mischen. Über die alte Hafenstadt Marseille schreibt Roth: »Das ist nicht mehr Frankreich. Das ist Europa, Asien, Amerika. Jeder trägt seine Heimat an der Sohle und führt an seinem Fuß die Heimat nach Marseille.« Und über Avignon heißt es: »Ist das eine mittelalterliche, ist das eine römische Stadt? Ist sie orientalisch oder europäisch? Sie ist nichts von alledem und alles zusammen. Es ist die kosmopolitische, organische Verschmelzung aller Traditionen und Stile.«
Als Roth dies formulierte, galt Frankreich in Deutschland weiterhin als »Erbfeind«, selbst liberalere Intellektuelle verteufelten dessen Kultur. Gegen diesen deutschen Ungeist lehnte Roth sich auf, er sang eine Hymne auf die Kultur des Gegners.
»Die Weißen Städte« war als Fortsetzung der ebenfalls in »Rot und Weiß« enthaltenen Schrift »Juden auf Wanderschaft« geplant, in der Roth von den Lebensbedingungen und Leiden der Juden in Europas Osten berichtet hatte. Sie ist eine Verbeugung vor jenen, die trotz der Furcht vor der stetigen Gewalt ihrer christlichen Nachbarn die tradierten Glaubensformen bewahrten. Westeuropas Jüdinnen und Juden hingegen, die bereits weitgehend assimiliert lebten - sich also, was ihre Tradition betraf, abstinent zeigten -, wurden von Roth gewissermaßen gewarnt. Jede noch so äußerliche Assimilation, schreibt er, sei eine Flucht oder der Versuch einer Flucht aus der traurigen Gemeinschaft der Verfolgten; ein Versuch, Gegensätze auszugleichen, die trotzdem vorhanden sind.
Mit »Juden auf Wanderschaft« bekannte Roth sich zu seiner jüdischen Herkunft. Und er erkundete die Bedingungen für jüdisches Leben in Berlin, Wien, Paris, den USA und der Sowjetunion. Überall schien ihm das jüdische Leben hochgradig gefährdet zu sein, außer eben in Frankreich. Antriebszentrum ist auch hier Roths Sorge um das weitere Schicksal der Gemeinschaft der Verfolgten, verpackt in der Form eines Frankreich-Reisebuchs. In dem Südfrankreich der »Weißen Städte« sieht Roth etwas aufschimmern, das den damals überall in Europa aufstrebenden Faschisten ein Gräuel war und ist: dass die Vermischung verschiedener Kulturen gelingt, dass sie Heimatqualitäten entwickelt.
Man hat Joseph Roth zuweilen nachgesagt, er hätte Frankreichs Realität verwechselt mit seinem Traum von diesem Land. Dass es Roth mit seiner Literatur um etwas anderes als Schönfärberei ging, betont Volker Breidecker, der Herausgeber von »Rot und Weiß«, dadurch, dass er Roths Geschichte »Der Korallenhändler« an den Anfang des Buches stellt.
Darin wird von einem Nissen Piczenik erzählt, der in dem osteuropäischen Städtchen Progrody Korallen feilbietet. Wobei der Ton von Roths Sprache manchmal dem eines Märchenerzählers gleichkommt. Beispielsweise wenn er über die von den tiefen, dunklen Gründen der Meere an die Oberfläche geholten Korallen äußert, dass diese erst in dem Moment, wenn sie von den Frauen des Ortes getragen werden, Glanz und Schönheit gewännen und die ihnen angeborene Zauberkraft ausübten. Das Geschäft des Korallenhändlers ist es somit, Schönheit und Glanz dorthin zu tragen, wo es beides nicht oder nicht mehr gibt.
Damit ist wohl auch gesagt, dass Joseph Roth in der Geschichte vom Korallenhändler insgeheim von sich und seinem Handwerk des Schreibens erzählt. Wahrlich, der Schriftsteller Roth hat seinen Leser*innen nie etwas vorgemacht. Bereits Mitte der 20er Jahre wies er darauf hin, dass sich für die Juden der Horizont in Europa immer weiter verdüstert. Wir Heutigen, die wir wissen, wie die Geschichte weiterging, können ermessen, wie zutreffend Roths desillusionierte Beurteilung der Lage war.
Dann aber scheint da im selben Atemzug auch Roths immer noch zu Herzen gehendes Bild von Frankreichs Süden auf. Von einer Welt der Gastfreundschaft, der friedlichen Koexistenz, der Humanität. Literatur heißt in Joseph Roths Fall, auch Sorge dafür zu tragen, dass es noch anderes in der Welt gibt als die weitgehende Trostlosigkeit unserer Geschichte.
Joseph Roth: Rot und Weiß, hg. v. Volker Breidecker. Die Andere Bibliothek, 334 S., geb., 44 €.
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