Ein zweifelhafter Kompromiss

An der Habersaathstraße in Mitte wird der Weg für einen neuen Luxusbau freigeräumt

  • Patrick Volknant
  • Lesedauer: 3 Min.

»Das ist an Zynismus kaum zu überbieten«, sagt Sven Diedrich zu »nd«. Der stadtentwicklungspolitische Sprecher der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte ist schockiert. Nicht nur darüber, dass der seit Ende des vergangenen Jahres von ehemals obdachlosen Menschen bewohnte Block an der Habersaathstraße nun wohl doch abgerissen werden soll, sondern auch über die Kommunikation: »Der Bezirksbürgermeister weiß genau, in welcher Situation sich die Bewohnerinnen und Bewohner dort befinden und setzt dann so einen Brief auf.«

In einem offiziellen Schreiben hat Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) jüngst die Bewohner des Komplexes über den aktuellen Verhandlungsstand und den voraussichtlichen Abriss informiert. Man sei sich der ungewissen Wohnsituation vor Ort bewusst: »Es freut uns deshalb, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass sich nun ein Kompromiss mit dem Eigentümer abzeichnet.«

Mit der sich abzeichnenden Übereinkunft solle eine dauerhafte Lösung für alle Beteiligten herbeigeführt werden. »Auf Grundlage eines genehmigungsfähigen Bauantrags soll die Errichtung von wesentlich mehr Wohnraum auf dem Grundstück ermöglicht und so verhindert werden, dass das Gebäude ohne Auflagen abgerissen werden kann«, heißt es. Angeboten wird den Mietern die Wahl zwischen zwei Optionen: entweder der Umzug in eine »neue und gleichartige Wohnung« in der Straße für zehn Jahre ohne Mieterhöhung oder eine Abfindung in Höhe von 1000 Euro pro Quadratmeter. Für alle Menschen, die im Haus wohnen, gilt das Angebot allerdings nicht.

Viele Jahre hatten die Häuser an der Habersaathstraße weitgehend leer gestanden. Vor gut vier Monaten hatten Aktivisten zusammen mit Obdachlosen das Haus besetzt. Mittes Bürgermeister kündigte daraufhin an, dass die beteiligten Wohnungslosen vorübergehend im Gebäude wohnen können. Grundlage sei eine »Vereinbarung« mit dem Vermieter. Inzwischen leben 60 ehemalige Wohnungslose in dem Gebäude. Bis jetzt.

»Die Einigung betrachten wir als skandalöses Vorgehen des Bezirks«, sagt Valentina Hauser, Mitglied der Initiative Leerstand Hab-ich-saath, die sich für den Erhalt des Gebäudes einsetzt. Das Angebot an die Mieter sei »ein Witz« und könne ohne Probleme vom Eigentümer ausgehebelt werden, sobald dieser es als nicht wirtschaftlich deklariere. »Am Ende verlieren die Mieterinnen und Mieter und bezahlbarer Wohnraum wird vernichtet.«

Linke-Politiker Sven Diedrich sagt: »Das Haus ist zu einem Symbol geworden für den wohnungspolitischen Kampf - nicht nur in Berlin, sondern bundesweit.« Spätestens jetzt zeige sich jedoch, dass es nur darum gegangen sei, dem Eigentümer »einen sozialen Anstrich« zu verpassen. Die Arcadia Estate GmbH, der die Immobilie gehört, plant hier einen Luxusbau. Und »das Bezirksamt Mitte hat nichts Besseres zu tun, als das Spiel der Spekulanten mitzuspielen«, so Diedrich. Wie er die Mieter vor Ort jedoch kenne, seien diese nicht dazu bereit, sich durch ein solches Angebot »kaufen« zu lassen.

Tatsächlich gibt Daniel Dieckmann vom Mieterrat der Habersaathstraße zu erkennen, dass es in diese Richtung gehen dürfte: »Es ist bemerkenswert, wie hier von Seiten des Bezirksamts versucht wird, etwas Gesetzeswidriges durchzudrücken.« Die Mieter seien entschlossen, zivilrechtlich dagegen vorzugehen. »Unser Kampf geht jetzt seit 15 Jahren«, sagt Dieckmann. »Es geht ums Prinzip.«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.