- Politik
- Türkei und Saudi-Arabien
Erdoğan denkt an Wahlen
Cyrus Salimi-Asl über die türkisch-saudische Wiederannäherung
Am Ende brauchte es nicht viel, um das zerrüttete Verhältnis zwischen der Türkei und Saudi-Arabien wieder zu kitten. Ein Bruderkuss zwischen Recep Tayyip Erdoğan und Prinz Mohammad Bin Salman langte, und schon waren alle Differenzen aus dem Weg geräumt. Wer wollte sich da noch an den regierungskritischen saudischen Journalisten Jamal Khaschoggi erinnern: ermordet im Oktober 2018 in Istanbul, mutmaßlich von saudischen Geheimdienstleuten auf Anweisung von ganz oben. Damals machte der türkische Präsident Erdoğan Saudi-Arabien noch direkte Vorwürfe, die Regierung in Riad habe die Ermordung bereits Tage im Voraus geplant. »Dieser Mord war nicht eine spontane, sondern eine geplante Tat«, betonte Erdoğan seinerzeit, sprach sogar von einem »politischen Mord«. Türkische Gerichte ermittelten gegen die mutmaßlichen Täter, klagten in Abwesenheit 26 Angeklagte an, darunter einen Ex-Berater des Prinzen und den ehemaligen Vizegeheimdienstchef.
Diesem Ermittlungsschwung wurden die Flügel gestutzt. Die türkische Justiz gab die Untersuchungen Anfang April ab, ausgerechnet an ihre saudischen Kolleg*innen. Normalisierung der Beziehungen lautet jetzt die Parole, denn die beiden Länder können sich die Eiszeit nicht mehr erlauben: Saudi-Arabien will sich das Etikett eines diktatorisches Regimes abreißen und die Causa Khaschoggi selbst steuern. Und die Türkei erhofft sich im Gegenzug dringend benötigte Geldspritzen aus Saudi-Arabien, um die am Boden liegende Wirtschaft wieder aufzurichten und die Inflation von über 60 Prozent einzudämmen. Erdoğan blickt dabei auf die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Juni 2023: Er muss um seine Wiederwahl fürchten, sollte das tägliche Leben der Türk*innen sich nicht zum Besseren wenden. Außenpolitisch segelt die Türkei im Mittleren Osten weiter auf Hegemoniekurs, und da will man sich keine unnötigen Gefechte liefern mit einflussreichen arabischen Staaten.
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