Italien bellt

Einen ganzen Monat war der englische Autor Tim Parks unterwegs auf Garibaldis Spuren - zu Fuß und von Rom bis Ravenna

  • Ralf Höller
  • Lesedauer: 5 Min.

Geschichtsbücher über Garibaldi gibt es viele, Wanderbücher über Italien noch mehr. Auf die Idee, beides zu kombinieren, ist jetzt ein Brite gekommen, der seit vier Jahrzehnten in Mailand lebt. Tim Parks, manchen noch in bester Erinnerung mit seiner beobachtenden Feldstudie über italienische Fußball-Hooligans (»Meine Saison mit Verona«), verwebt in »Der Weg des Helden« zwei erzählerische Stränge: die Flucht der 1849er Revolutionäre aus dem Kirchenstaat nach der Niederschlagung der kurzlebigen Römischen Republik und die eigene Wanderung auf Garibaldis Spuren 170 Jahre später.

Es ist ein sehr privates Buch geworden. Zum einen erfährt die Leserschaft viel über die Person Guiseppe Garibaldi, zum anderen gewährt der Verfasser einen recht intimen Blick ins eigene Leben. Ein ehrliches Buch also: Diesen obersten Anspruch an sein Werk vermag Parks durchgehend zu erfüllen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Vor allem ist der Autor klug genug, nicht die x-te Garibaldi-Biografie abzuliefern. Lieber lässt er andere erzählen: Garibaldis Mitstreiter Egidio Ruggeri und seinen in Bayern aufgewachsenen Adjutanten Gustav von Hoffstetter als Zeitzeugen und Tagebuchschreiber, dazu den Historiker George Macaulay Trevelyan, Verfasser einer als Klassiker geltenden, mit einem halben Jahrhundert Abstand geschriebenen Garibaldi-Trilogie, und schließlich den Freiheitskämpfer selbst in dessen autobiografischem Roman »Clelia«.

Der Kniff funktioniert. Zwar bleibt am Ende die wenig überraschende Erkenntnis, dass der Held seine Ideale wirklich gelebt hat. Doch kommen auch die Enttäuschungen zum Tragen, die er seinen Anhängern immer wieder zugemutet hat. Anders als im Annus mirabilis 1861, das Italien die langersehnte Einheit bescherte, sahen sich 1849 längst nicht alle, die Garibaldi folgten, mit der Geschichte versöhnt. Bis dahin war sie ja alles andere als gut ausgegangen und Italien, mit Rom als Hauptstadt des Kirchenstaats, noch ein gutes weiteres Jahrzehnt in den Klauen von Papst und Kardinälen, französischen und österreichischen Besatzern sowie selbstsüchtigen Provinzfürsten.

Und dennoch: »Garibaldi war so wichtig«, schreibt Parks, »weil er besser als alle anderen Patriotenführer verstand, dass sie gerade nach diesem langen, enttäuschenden Rückzug nicht mehr über die soziale Revolution und den Republikanismus reden durften. Sie mussten sich gemeinsam auf das eine Ziel der italienischen Einigung konzentrieren.«

Ein weiteres Anliegen, auch das wird im Buch immer wieder deutlich, ist Parks die Verteidigung seines Helden gegen die Anschuldigung eines »derzeit populären Revisionismus, der den ›Mythos‹ des Risorgimento [der Epoche des italienischen Einigungsprozesses, Anm. d. Red.] als Unsinn abtun möchte«.

Den Vorwurf, beim Einigungs- habe es sich in Wahrheit um einen Eroberungskrieg gehandelt, aus dem die bis heute bestehende Nord-Süd-Spaltung Italiens resultiere, weist Parks zumindest in Bezug auf Garibaldis Bewegung zurück - und nebenbei auch Populisten wie Matteo Salvini, den Ex-Innenminister, in die Schranken: »Selbst die einst separatistische Lega Nord ist mittlerweile nur noch die Lega und kämpft wie jede andere nationalistische Partei auch um Stimmen aus dem Süden.« Die Herabwürdiger von Garibaldis Kampf steuert laut Parks »der Gedanke, dass es Heldentum oder Idealismus auf der Welt nie gegeben hat, denn diese Überzeugung befreit sie von der Last der Nachahmung«.

Wie aber sieht man auf der Straße Garibaldi heute? Parks, unterwegs mit seiner aus Apulien stammenden Freundin Eleonora, hört meist nur Gutes, wenn auch nicht immer unbedingt Fundiertes über seinen und den italienischen Helden schlechthin, dem im Land die meisten Straßen und Plätze samt der darauf errichteten Denkmäler gewidmet sind. Ist Garibaldi vielleicht zum bloßen Mythos verkommen, sind die Loblieder auf ihn Verklärung, die gerne verwendeten Zitate Attitüde? Manchmal scheint es so, etwa wenn Garibaldis Freiheitsdrang gerühmt und im selben Atemzug über die Migranten hergezogen wird, die Parks auf seiner gesamten Wegstrecke lediglich niedere Tätigkeiten verrichten sieht.

Ein weiterer Eindruck von Parks’ Wanderung - laut Untertitel führt sie ihn »von Rom nach Ravenna« - ist dem demografischen Wandel geschuldet, der Italiens zentrale Regionen Umbrien und Marken wie ein gigantisches Altenheim erscheinen lässt, wenn auch mit prachtvoller Kulisse. Parks, mittlerweile im Rentenalter, begegnen selten jüngere Menschen. Die wenigen, auf die er trifft, arbeiten in der Tourismusbranche, betreiben Cafés oder vermieten Unterkünfte. Alle klagen, dass die Geschäfte schlecht laufen.

Auf den Straßen sind fast ausschließlich Autos unterwegs, Fußgänger so gut wie keine: »Wir haben den ganzen Tag keine Menschenseele getroffen«, ist eine typische Beobachtung. Sie stimmt resignativ: »Es ist traurig. Ein Volk, das einst fest mit dem Land verbunden war«, beklagt sich Parks, »wurde befreit, um jetzt in klimatisierten Räumen zu sitzen und Ereignisse im Fernsehen oder auf dem Computerbildschirm zu verfolgen.« Für Parks ist die Verschiebung von der unmittelbaren zur sekundären Kommunikation, vom Miteinander zum Aneinandervorbei, ein Grundproblem der Gesellschaft: »Die einst unerschütterliche Verbindung - Ort/Identität -, die den liberalen Nationalismus des 19. Jahrhunderts hervorgebracht und gerechtfertigt hat, löst sich mit wachsender Geschwindigkeit auf.«

Geht Italien vor die Hunde? Parks, dem auf seiner Tour mehr Vier- als Zweibeiner vor die Füße laufen, legt diesen Schluss nahe: »Je weniger Wandersleute, desto mehr Hunde«, verzweifelt er. »Und sie bellen immer weiter, durch die Jahrhunderte hindurch. Deutsche Schäferhunde, Doggen, Dobermänner, Rottweiler, Beschützer der bangen Besitzer protziger provinzieller Anwesen« bis hin zu Jagd- und Hüte-, Mode- und Kuschelhunden: »Alle ohne Ausnahme bellend, japsend, schnappend, knurrend, zähnefletschend. Jeden Tag, bei jedem Haus, an dem wir vorbeikommen.«

Es »gibt Augenblicke«, konstatiert Parks, »in denen die komplette italienische Landschaft zu bellen scheint«. Was bleibt von der Wanderung? Das Schönste an jeder der 30 Etappen war für Parks und Eleonora der Moment am Morgen, als sie ihre Wanderschuhe schnürten und endlich losstapften. Am zweitschönsten dann das Finale des jeweiligen Tages, als sie erschöpft, aber zufrieden, mit einem letzten Blick auf die hinter sich gelassene grandiose Landschaft die Schuhe von den müden Beinen streiften.

Tim Parks: Der Weg des Helden. Auf Garibaldis Spuren von Rom nach Ravenna. Aus dem Englischen vonm Ulrike Becker. Verlag Antje Kunstmann, 432 S., geb., 28 €.

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