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Frösche und Stabmenschen
Gegen die Verlogenheit: George Grosz hat nun endlich ein Museum in seiner Geburtsstadt Berlin
George Grosz war einer der radikalsten Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und einen coolen Namen hatte er auch. Wie auch sein Freund John Heartfield, hatte er ihn sich im Ersten Weltkrieg gegeben, weil er mit dem imperialistischen Deutschland nichts mehr zu tun haben wollte. Bis heute sind hierzulande »Anglizismen« bei Konservativen Teufelszeug. Es ist immer noch so einfach, sie zu ärgern. Im Ersten Weltkrieg gab es den Schlachtruf »Gott strafe England«, der auch als Grußformel existierte. Man begrüßte jemanden damit und bekam zur Antwort: »Er strafe es.« Das war einfach zu behämmert.
Heartfield hieß eigentlich Helmut Herzfeld und Grosz Georg Ehrenfried Groß. Zusammen mit Helmuts jüngeren Bruder Wieland Herzfeld (der seinen Namen behielt) gründeten sie 1917 in Berlin Halensee den linken, antimilitaristischen Malik Verlag, Grosz machte die Cover und veröffentlichte Mappen mit Drucken seiner Zeichungen in so hoher Auflage, das sie heute nicht so viel wert sind, anders als die Schutzumschläge der Bücher, denn die gingen meist verloren.
Schon vor dem Krieg hatte der vielfältig talentierte Grosz vorgehabt, ein dreibändiges Buch über die »Hässlichkeit der Deutschen« herauszubringen. »Die höchste Kunst wird diejenige sein, die in ihren Bewußtseinsinhalten die tausendfachen Probleme der Zeit präsentiert, der man anmerkt, dass sie sich von den Explosionen der letzten Woche werfen ließ, die ihre Glieder immer wieder unter dem Stoß des letzten Tages zusammensucht« hatte es im April 1918 im Manifest der Dadaisten geheißen, das Richard Huelsenbeck formuliert hatte und das Grosz mitunterzeichnete. Der Maler Jean Arp hat es einmal als »Aufstand der Ungläubigen gegen die Irrgläubigen« bezeichnet.
Und so ähnlich muss man sich auch die Kunst des George Grosz vorstellen: Zwischen Expressionismus und Realismus künstlerisch eigenständig entwickelte Angriffe auf die Gewalttätigkeit und die Verlogenheit der bürgerlichen Gesellschaft, von der man damals vor 100 Jahren meinte, sie würde in Trümmern liegen, dabei besteht sie bis heute fort. Was es aber bislang nicht gab: Ein George Grosz Museum in seiner Geburtsstadt Berlin. Das hat sich nun geändert. Am vergangenen Wochenende eröffnete »Das kleine Grosz Museum« in Berlin-Schöneberg. Es ist komplett privat finanziert und eingerichtet in einer umgebauten alten Tankstelle aus den 50er-Jahren – zur Miete für die nächsten fünf Jahre. Es gibt keine öffentliche Förderung, aber als Träger den gemeinnützigen Förderverein »George Grosz in Berlin«, der 2015 gegründet wurde.
Das neue Museum sei »erst mal ein Angebot«, sagt sein zweiter Vorsitzender Ralf Kemper. »Die Idee ist wichtig«, ergänzt der erste Vorsitzende, der Kunstwissenschaftler und Kurator Ralph Jentsch, der in Absprache mit den Grosz-Erben das Grosz-Archiv mit der Sammlung und dem Nachlass in Berlin-Tempelhof betreut. Mit 30 000 Objekten bildet es den Kern des neuen Museums, ergänzt um private Leihgaben, das gehe auch schneller, als wenn man sich etwas aus einem staatlichen Museum leiht, das sei immer sehr viel Aufwand, meint Jentsch.
Interessant ist, dass in Berlin ansonsten nur vier Bilder von Grosz ausgestellt sind, zwei in der Nationalgalerie und zwei in der Berlinischen Galerie. In der Nationalgalerie hängt »Die Stützen der Gesellschaft«, sein berühmtes Gemälde von 1926, auf dem er Vertreter von Kirche, Kapital, Medien und Militär mit Waffen und Bier in der Hand und Kot im Kopf porträtiert hat. Westberlin kaufte es 1958 für 12 000 DM, ein wahres Schnäppchen. Ein Jahr später kehrte Grosz aus seinem Exil in den USA heim und starb wenige Wochen später im Alter von 66 Jahren, vermutlich, weil er nach einer durchzechten Nacht die Treppe runterstürzte. Westdeutschland hatte damals an ihm kein besonderes Interesse, Ostdeutschland fand ihn auch nicht würdigenswert, er war schon 1923 aus der KPD ausgetreten und in die DDR wollte er nicht ziehen.
Für den Förderverein ist er der »vielleicht wichtigste Künstler, den diese Stadt hervorgebracht hat«, heißt es in einer Vorstellung des Projekts, das auch »ein Aufruf an alle öffentlichen Institutionen« in Berlin sein soll, »die dauerhafte Sichtbarmachung dieses Künstlers in und für die Stadt zu unterstützen«. Der Ort ist sehr gut gewählt: Die alte Tankstelle befindet sich mit einem Anbau in einem kleinen Garten mit Kiefern und Bambus in der Bülowstraße. Es gibt sogar einen kleinen Teich mit Karpfen drin. Und so sitzt man dort, wo früher Autos betankt wurden, auf formschönen Stühlen und sieht die vorbeifahrende Hochbahn sich im großen Schaufenster der Tankstelle spiegeln, während man den Teich plätschern hört. Einen Vogelkäfig gibt es auch noch. Sehr urban und romantisch zugleich, man könnte auch sagen: es leben die gesellschaftlichen Widersprüche, wie im Werk von Grosz.
Bis 2000 war die Tankstelle ein Gebrauchtwagenhandel, dann kaufte sie der Schweizer Galerist und Sammler Juerg Judin und machte daraus ein schickes Wohn- und Atelierhaus. Ursprünglich kommt er aus der Züricher Jugendbewegung von Anfang der 80er (»Züri brännt«). Im »Kleinen Museum« sorgte er nun für den internationalen Museumsstandard mit der passenden Beleuchtung und Belüftung. Im Erdgeschoss des Anbaus gibt es eine ständige Ausstellung mit ein paar Highlights aus dem Werk und obendrüber wechselnde Austellungen. Zur Eröffnung ist dort »Grosz before Grosz« zu sehen: Das Frühwerk, angefangen mit Aquarellen, die er als Kind gemalt hatte. Das älteste stammt von 1904, da war er 11 Jahre alt und malte Frösche, die von einem Steg in einen See springen – beaufsichtigt von einem dicken, strengen Oberfrosch mit Rute. Aus dem selben Jahr gibt es fast comicartige Studien und Skizzen von Matrosen und Römern, die er auf die Rückseite seines Schulheftes gemalt hat. Merke: Grosz hat immer alles signiert und datiert.
Mit 16 flog er vom Gymnasium, weil er die Ohrfeige eines Referendars ebenfalls mit einer Ohrfeige beantwortet hatte. Mit Hilfe seines Zeichenlehrers gelangte er auf die Kunstgewerbeschule in Dresden, wo er sich aber langweilte. 1912 wechselte er auf die Kunstgewerbeschule in Berlin, wo er zunächst am Stadtrand wohnte. Man kann in der Ausstellung nachvollziehen, wie er sich langsam, aber sicher den Aufregungen der Innenstadt näherte – in nur einem Jahr: 1912 zeichnet er zuerst leere Straßen der Berliner Peripherie, die dann von Arbeitern belebt werden, die nicht gerade sehr zufrieden aussehen. Und dann zeichnet er Überfälle, Schlägereien, Vergewaltigung, Mord – das volle Programm.
Bemerkenswerterweise wurde dieses Frühwerk schon 1929 und 1930 von Grosz selbst präsentiert, als biographische Rückschau in den Zeitschriften »Kunstblatt« und »Kunst und Künstler«. Es war der Rückblick eines großen Stars, auch der Linken, dessen Popularität durch verschiedene Prozesse gesteigert wurde, da sich die Rechten von seiner Kunst beleidigt fühlten. Wäre er nicht 1933 sofort nach dem Reichtstagsbrand in die USA geflohen, hätten ihn die Nazis wahrscheinlich totgeschlagen. Er stand ganz oben auf der Liste. Kaum an der Macht, stürmten SA-Leute sein Atelier und seine Wohnung, doch er war schon weg. In New York lief es dann nicht ganz so gut für ihn, er war zwar anerkannt, musste aber konstant als Zeichenlehrer arbeiten, was er hasste, seine Frau Eva als Hutmacherin und sein alter Freund Wieland Herzfeld als Briefmarkenhändler.
Sein US-Werk ist nicht so bekannt geworden. Kennen Sie die »Stickmen«, die Stabmenschen? Das sind Menschen, die zwar einen Kopf haben, deren Körper aber nur aus Strichen besteht. Grosz malte sie ab 1946, in Reaktion auf die Atombombe. Postnukleare Wesen ohne Seele. Sie waren das Vorbild für Steven Spielbergs Wesen nach dem Weltuntergang in seinem Film »A.I. – Künstliche Intelligenz« von 2001, den eigentlich noch Stanley Kubrick machen wollte. Er hatte Grosz 1948 als Fotograf kennengelernt und machte für die Zeitschrift »Look« ein Bild von ihm, wie er auf einem Stuhl auf dem Bürgersteig der Fifth Avenue sitzt und den Betrachter anschaut. Neben ihm steht ein »Hier nicht parken«-Schild. Grosz parkte sozusagen mit einem Stuhl ein, das war seine Form von Humor. Und jetzt parkt in Berlin ein Museum für ihn.
Das kleine Grosz Museum, Bülowstr. 18, Berlin. Mo, Do, Sa, So 11-18 Uhr, Fr 11-20 Uhr
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