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Es ertragen, ein Vater zu sein
Queere Elternschaft zu dritt diskutieren und praktizieren: Torrey Peters Roman »Detransition, Baby«
Es ist heikel, in Zeiten, da sich eine der bekanntesten Schriftstellerinnen der Welt regelmäßig mit extrem transfeindlichen Äußerungen zu Wort meldet und es generell einen großen transfeindlichen Backlash gibt, einen Roman zu publizieren, in dem eine der Hauptfiguren ihre Transition rückgängig macht, also detransitioniert. Tatsache ist aber: Zur Vielfalt des trans Lebens gehören ebenfalls Geschichten von Detransitionen, denn auch diese existieren. Und wer könnte sie besser erzählen als eine trans Autorin?
»Detransition, Baby« lautet der Titel des Romans von Torrey Peters, der sich dieses Themas annimmt. Peters, die bisher drei Novellen im Selfpublishing publiziert hat, bevor sie vergangenes Jahr mit diesem Roman bei Random House in den USA einen großen Erfolg landete, erzählt darin von zwei trans Personen und einer cis Frau. Ames war zu Zeiten, als er noch als trans Frau unter dem Namen Amy lebte, mit Reese, ebenfalls eine trans Frau, zusammen. Die Handlung setzt mehrere Jahre nach ihrer Trennung ein – Ames hat, im Glauben an seine Unfruchtbarkeit, aus Versehen seine Chefin Katrina, mit der er eine Art Affäre/Beziehung hat, geschwängert.
Katrina selbst geht auf die 40 zu und steht dem Gedanken, Mutter zu werden, eher skeptisch gegenüber. Vor allem als sie von Ames’ Vergangenheit erfährt, die er bis dato vor ihr geheim gehalten hatte. Ames selbst ist offener für den Gedanken, ein Kind zu bekommen, auch weil er Katrina nicht verlieren will. Er hadert aber mit seiner eigenen Rolle: Soll er wirklich ein »Vater« sein? Entspricht dieses Konzept der Vorstellung seines Genders? Er hat eine Idee: Warum nicht Reese, die seit Jahren dringend Mutter werden möchte, mit ins Boot holen und eine queere Elternschaft zu dritt eingehen? Reese lehnt zunächst ab. Ihr Wunsch aber, endlich ein Kind zu haben, ist zu stark, um den Versuch nicht doch zu wagen. Peters’ Roman hat also zwei Themen, die eng miteinander verknüpft sind: »Detransition, Baby« erzählt sowohl von der Auseinandersetzung, wie (potenzielle) nicht-heteronormative Elternschaft aussehen kann, als auch von der Fluidität von Gender.
Nun wäre es simpel und zugleich banal, Katrina, die zunächst wenig Verständnis für Ames’ Vergangenheit zeigt, zur Bösewichtin des Romans zu machen. In diese Falle tappt Torrey Peters aber nicht. Katrina ist weniger entsetzt über Ames’ Transition beziehungsweise Detransition als über den Vertrauensbruch, weil er ihr so eine wichtige Komponente seines Lebens verschwiegen hat. Doch schnell ist sie dem Gedanken einer Möglichkeit einer Elternschaft zu dritt gegenüber sehr aufgeschlossen. Ein Grund mag ihre Scheidung sein und ihr Unwillen, in einer konventionellen Beziehung zu leben.
Nicht umsonst widmet die Autorin ihren Roman auch allen »geschiedenen cis Frauen«. Denn wie Reese Katrina an einer Stelle erklärt: »Eine Scheidung ist eine Transitionsgeschichte«, zumindest für jene Frauen, »die ihre Scheidung als Scheitern erleben oder als totale Umgestaltung ihres Lebens«. Ein gewagter Vergleich von Peters’ Protagonistin, aber vielleicht einer, der cis Frauen das Thema Transition näherbringt.
Genauso wenig, wie sie aus Katrina die »Böse« machen will, ist Torrey Peters daran interessiert, ihre queeren Figuren zu Held*innen zu stilisieren. Reese und Ames sind vielschichtig, haben auch viele Fehler und Abgründe. Zum Beispiel, wenn Reese ihre Weiblichkeit dadurch auslebt, indem sie sich freiwillig in hierarchische Beziehungen mit cis Männern begibt, die sie schlagen, weil sie darin ihre Bestätigung als Frau sieht, »als zartes, hilfloses, verrückt machend attraktives Wesen«.
Auch wenn Reese in der Handlung, die aus der Sicht von Reese und Ames geschildert ist, stärker im Fokus steht, ist Ames’ kontinuierliche Verhandlung des eigenen Genders der noch interessantere Aspekt. Wie komplex das ist und wie wenig statisch Gender ist, wird in seiner Figur immer wieder deutlich. So lautet etwa die Erkenntnis von Ames zum Ende des Romans, dass er vielleicht eines Tages wieder als Frau leben möchte. Denn wieso sollte man gezwungen sein, sich auf alle Zeit festzulegen? »Ich hatte genug davon, trans zu leben«, erläutert er Katrina, warum er sich zur Detransition entschloss. »Ich war an einem Punkt, an dem ich dachte, ich muss es nicht mehr mit der ganzen Genderscheiße aufnehmen, um mit mir selbst im Reinen zu sein. Ich bin trans, aber ich muss nicht trans leben.«
Gerade Ames zeigt, dass eine Detransition nicht automatisch bedeutet, dass man sich wieder ins volle cis Leben wirft. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum er die Elternschaft mit seiner Ex-Freundin Reese eingehen möchte: Sie wird ihn immer als Frau wahrnehmen, und so kann er vielleicht »ertragen, Vater zu sein, wenn ihre ständige Anwesenheit ihm versicherte, dass er eigentlich keiner war«.
»Detransition, Baby« ist ein Roman, der abwechselnd von den Wochen direkt nach der Zeugung erzählt, von der kontinuierlichen Aushandlung einer queeren Elternkonstellation und rückblickend von der Beziehung von Reese und Amy einige Jahre zuvor. Immerhin war es Reese, schon lange zuvor transitioniert, die Amy einführt in das Leben als trans Frau. Entsprechend waren sie »nicht nur zwei verliebte Frauen, sie waren Mutter und Tochter«. Zwischenmenschliche Verhältnisse, das wird in dem Buch klar, sind selten eindeutig.
Gekonnt auf Deutsch übertragen wurde der facettenreiche Roman (der hie und da vielleicht eine Spur zu ausführlich geraten ist) von Nicole Seifert und Frank Sievers, während Linus Giese, Autor des Memoirs »Ich bin Linus – Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war«, die Übersetzung gegenlas, also »Sensitivity Reading« machte, wie es in der Fachsprache heißt. Vergangenes Jahr war Torrey Peters damit für den Women’s Prize for Fiction nominiert, eine Nominierung, die zu transfeindlichem Gegenwind führte (obwohl auf der Longlist 15 weitere cis Autorinnen standen). Dem Erfolg des Romans tat das keinen Abbruch. Und er wird sich fortsetzen: Eine Fernsehadaption von »Detransition, Baby« ist bereits in Arbeit.
Torrey Peters: Detransition, Baby. A. d. amerik. Engl. v. Nicole Seifert und Frank Sievers. Ullstein Verlag, 464 Seiten, geb., 24 €
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