Die Inflation ist ein Problem für die ganze Eurozone

Energiepreise treiben die Inflation in der Währungsunion auf 8,1 Prozent nach oben

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn diesen Mittwoch der Tankrabatt in Kraft tritt, werden die Menschen an den Tankstellen vermutlich noch nicht viel davon spüren. Zum einen wird dies daran liegen, dass die Tankstellen noch Kraftstoff vorrätig haben, den sie selbst mit dem höheren Steuersatz eingekauft haben. Zum anderen ist fraglich, ob die Konzerne die Senkung der Mineralölsteuer um 29,55 Cent je Liter bei Benzin und um 14,04 Cent bei Diesel überhaupt weitergeben werden.

»Damit der Tankrabatt auch auf der Tankquittung ankommt, darf das Bundeskartellamt nicht länger nur von der Seitenlinie zusehen, sondern muss endlich in das Profit-Spiel der Mineralölriesen eingreifen«, fordert deshalb der finanzpolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Christian Görke. Neben Italien und Griechenland hätten auch Großbritannien und Ungarn eine Übergewinnsteuer eingeführt, mit der die Extraprofite der Konzerne wegen der gestiegenen Energiepreise in Folge des Ukraine-Krieges besteuert werden sollen.

Denn nicht nur in Deutschland steigt die Inflationsrate auf historische Höchststände. Im Euroraum stiegen die Preise im Mai im Vergleich zum Vorjahresmonat um voraussichtlich 8,1 Prozent, wie das EU-Statistikamt Eurostat am Dienstag bekanntgab. Wie in Deutschland ist auch in der gesamten Eurozone Energie der Preistreiber Nummer eins. Gas, Sprit und Co. verteuerten sich in den 19 Mitgliedsstaaten der Eurozone im Schnitt um 39,2 Prozent. Rechnet man die Energiepreise heraus, beläuft sich die Inflation auf 4,6 Prozent. Auch Lebensmittel wurden deutlich teurer. Unverarbeitete Lebensmittel wie Milch, frisches Obst und Gemüse verteuerten sich auf 9,1 Prozent. Bei Lebensmitteln einschließlich Alkohol und Tabak belief sich die Inflationsrate auf 7,5 Prozent.

Allerdings weichen die Zahlen von Eurostat von denen des Statistischen Bundesamtes ab. Die EU-Behörde schätzt die Inflationsrate in Deutschland deutlich höher ein als die hiesigen Statistiker. Taxierten diese die Inflationsrate für Deutschland im Mai am Montag auf voraussichtlich 7,9 Prozent, so geht die EU-Behörde von 8,7 Prozent aus. Die höhere Eurostat-Zahl erklärt sich mit einer harmonisierten Berechnungsmethode für die 19 Länder der Währungsunion.

Nichtsdestotrotz zeigen die Eurostat-Zahlen, dass einige Euro-Länder unter einer noch deutlich höheren Inflationsrate leiden als Deutschland. In den Niederlanden liegt sie etwa bei 10,2, in Griechenland bei 10,7 Prozent. Spitzenreiter sind die baltischen Staaten mit 16,4 Prozent in Lettland, 18,5 Prozent in Litauen und 20,1 Prozent in Estland. Am niedrigsten ist sie noch in in Malta und Frankreich mit 5,6 beziehungsweise 5,8 Prozent. Noch deutlich unterschiedlicher als die allgemeinen Inflationsraten sind die Teuerungsraten bei Energie. Sie variierten im April zwischen 16,5 Prozent in Slowenien im Vorjahresmonatsvergleich und 83,1 Prozent in den Niederlanden. Deutschland liegt diesbezüglich mit 34,5 Prozent ziemlich in der Mitte und relativ nah am Eurozonen-Durchschnitt.

Doch auch hierzulande wird die Inflation, die derzeit so hoch wie seit 50 Jahren nicht mehr ist, für immer mehr Menschen zu einem Problem. »Wir erleben eine höchst unsoziale Inflation, da gerade Menschen mit geringen Einkommen besonders stark durch höhere Preise für Energie und Lebensmittel belastet werden«, warnte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, am Montag. Die Politik müsse deutlich mehr tun, um die sozialen Härten der Inflation abzufedern.

Es wird immer wahrscheinlicher, dass die Bundesregierung auch noch mal nachlegt. Nachdem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) jüngst ein soziales Klimageld als Ausgleich für die Preissteigerung forderte, meldete sich nun auch Kanzler Olaf Scholz zu Wort. »Die Probleme sind real und spürbar«, sagte der SPD-Politiker. Vieles werde teurer, vom Benzin über die Ausgaben für das tägliche Leben. »Wenn es die Lage erfordert, werden wir weitere Entscheidungen zur ganz konkreten Entlastung treffen«, versprach Scholz.

Dabei kommen die bisherigen Maßnahmen bei Ökonom Fratzscher nicht gut an: »Das Entlastungspaket der Bundesregierung war bisher nicht zielgenau genug und teilweise sogar kontraproduktiv.« Viele bedürftige Menschen, allen voran Rentnerinnen und Rentner, erhielten kaum Unterstützung. Und den Tankrabatt hält Fratzscher für eine »Umverteilung von Arm zu Reich«, die den Klimaschutz konterkariere.

Dabei ist er nicht der einzige Ökonom, der den Tankrabatt kritisiert. Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hält nichts davon: »Ein Tankrabatt ist weder verteilungspolitisch effektiv, da er unabhängig von der Bedürftigkeit entlastet, noch ist er unternehmens- beziehungsweise branchenpolitisch treffsicher«, kritisierte IW-Chef Michael Hüther gegenüber der »Augsburger Allgemeinen« vom Dienstag. Hüther moniert allerdings auch allgemein, dass ein Eingriff in die Kräfte des Marktes wie der Tankrabatt ein ordnungspolitischer Fehler sei.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -