Warnschuss vor den Bug

In Hennigsdorf steigen Elektrometaller in den Warnstreik für mehr Tariflohn ein

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.
Kollegen der Hennigsdorfer Elektrostahlwerke (HES) am Mittwoch im Warnstreik
Kollegen der Hennigsdorfer Elektrostahlwerke (HES) am Mittwoch im Warnstreik

Bockwurst und Kaffee um acht Uhr morgens: Wenn Metallarbeiter streiken, geht es bodenständig zu. Am Mittwoch sind es die Mitarbeiter*innen der Hennigsdorfer Elektrostahlwerke (HES), von denen sich 200 vor den Werkstoren versammelt haben. Der Soundtrack zum ersten Warnstreik beim HES kommt vom Deutschrocker Klaus Lage mit seinem 80er-Jahre-Song »Monopoli«, in dem es heißt: »Wir sind nur die Randfiguren in einem schlechten Spiel, die an der Schloßallee verdienen viel zu viel.«

Aber »Randfiguren« wollen die Beschäftigten ganz sicher nicht sein, daran lassen sie keinen Zweifel. »Die Kollegen sind sauer«, sagt Steffen Lange zu »nd«. Lange ist Leiter der insgesamt 25 Vertrauensleute im Betrieb und bei der IG Metall gewerkschaftlich aktiv. »Alles ist teurer geworden, wir brauchen einfach eine tabellenwirksame Erhöhung des Tariflohns«, erklärt Lange, warum es mit einer Einmalzahlung – bisher einziges Angebot der Arbeitgeber – nicht getan sein kann. »Wir sagen es ganz bewusst provokant: Eine Einmalzahlung ist für den Arsch. Die Kollegen fordern nur ihren gerechten Teil. Die Unternehmen können angesichts des Krieges zwischen Russland und der Ukraine und den damit verbundenen Lieferausfällen teilweise den doppelten Preis fordern. Das wird alles auf die Kunden umgelegt«, führt Lange aus.

800 000 Tonnen Stahl fertigen die Beschäftigten im Jahr und beliefern damit namhafte Industriezweige. Weil der Strom so teuer ist, laufen die Elektroöfen, in denen der Stahl anders als im Hochofen nicht gekocht, sondern erschmolzen wird, ausschließlich nachts.

Die 200 Mitarbeiter*innen des HES sind nicht die einzigen Streikenden in der ostdeutschen Stahlindustrie in dieser Woche. 350 Kolleg*innen der Brandenburger Elektrostahlwerke hatten ebenfalls für zwei Stunden die Arbeit niedergelegt. Und in Zeithain beteiligten sich rund 100 Stahlarbeiter*innen beim Mannesmannröhren-Werk an einem vierstündigen Warnstreik in den frühen Morgenstunden. Auch für Donnerstag sind fast 1000 Beschäftigte zu solchen Ausständen aufgerufen, erklärt die IG Metall am Mittwoch. Damit will die Gewerkschaft ihrer Forderung nach einer deutlichen und dauerhaften Lohnerhöhung Nachdruck verleihen. Die Warnstreiks in der ostdeutschen Stahlindustrie gehen damit in die zweite Woche.

In Hennigsdorf bleiben die Werkstore an diesem Morgen offen, der Schwerlastverkehr rollt unbehelligt von den Warnstreikenden rein und raus. »Wir wollen erst mal nur zeigen, dass wir da sind«, sagt Lange. Dementsprechend sei auch nur ein Teil der Belegschaft auf der Straße. Wenn es nötig sei, würden es deutlich mehr sein, berichtet der Gewerkschafter vom großen Rückhalt unter den Beschäftigten. »Die Kollegen haben noch mit den Nachwehen der Corona-Pandemie zu kämpfen, viele haben Familie«, sagt Gewerkschafter Lange. »Sie halten zusammen. Dass sie hier trotz hohen Krankenstands und Schichtsprüngen zuverlässig am Start sind, das machen sie nicht für die Arbeitgeber, sondern für sich als Kollegen.«

So wirkt auch die Stimmung an diesem Morgen. Christoph Hahn von der IG-Metall-Bezirksleitung ist ebenfalls begeistert, als er kurz vorbeischaut. »Tolle Aktion«, ruft er den Beschäftigten zu. »Der Stahlindustrie geht’s gut, die machen Gewinne – und die stehen euch auch zu. Das kämpfen wir mit euch durch«, verspricht er den Arbeiter*innen.

»Zwei Verhandlungsrunden und kein strukturelles Angebot für eine monatliche Erhöhung der Löhne – das können die Stahlarbeiter*innen nicht verstehen und nicht akzeptieren«, sagt Birgit Dietze, IG-Metall-Bezirksleiterin Berlin-Brandenburg-Sachsen und Verhandlungsführerin für Stahl Ost. »Die Arbeitgeber sollten keinen Zweifel an unserer Entschlossenheit haben, diesen Arbeitskampf fortzusetzen und wenn nötig spürbar auszuweiten. Eine Einmalzahlung reicht in dieser Lage mit hohen Gewinnen, vollen Auftragsbüchern und stark steigenden Preisen ganz und gar nicht. Wenn die Arbeitgeber weiter auf ihrer Position beharren, kann es keinen Abschluss geben. Es ist schon beinah absurd, in Zeiten hoher Inflation und hoher Gewinne nur eine einmalige Zahlung verordnen zu wollen.«

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