Ran an die Kronjuwelen

Frontmann Toni Krahl von City über musikalische Erfolge, Sehnsüchte, Hoffnungen und die Veränderbarkeit der Welt

  • Olaf Neumann
  • Lesedauer: 8 Min.
Toni Krahl, Georgi Gogow, Klaus Selmke, Fritz Puppel in jungen Jahren, zu DDR-Zeiten (v.l.n.r.)
Toni Krahl, Georgi Gogow, Klaus Selmke, Fritz Puppel in jungen Jahren, zu DDR-Zeiten (v.l.n.r.)

Am Fenster», «Casablanca», «Der King vom Prenzlauer Berg» oder «Flieg ich durch die Welt» – mit Liedern wie diesen hat die Berliner Band City nicht nur in der DDR Rockgeschichte geschrieben. Die Musiker um Sänger Toni Krahl und Gitarrist Fritz Puppel können auf ihre Glaubwürdigkeit und erstklassige Rock-’n’-Roll-Platten verweisen. In ihren Songs geht es oftmals um große Themen, verpackt in kleine Geschichten. In diesem Jahr feiern City ihren 50. Geburtstag mit einem letzten Studioalbum, einer Band-Biografie und einer Tour. Mit Frontmann Toni Krahl (72), sprach Olaf Neumann über die Anfänge, Aufbegehren und Abschiednehmen.

Herr Krahl, haben Sie Ihrem 2020 verstorbenen Schlagzeuger Klaus Selmke versprochen, anlässlich des 50. Band-Geburtstags die «letzte Runde» einzuleiten?

Wir wollten eigentlich gemeinsam mit Klaus die Zielmarke 50 erreichen. Dieses Versprechen war für ihn als Kranken eine Art von Therapiestimulation. Wenige Tage vor seinem Tod strahlte er noch die Überzeugung aus, dass er es auch schaffen wird. Als wir ihn dann tatsächlich verabschieden mussten, haben wir uns gesagt, dass wir diese Zielmarke überschreiten und danach kein neues Kapitel aufschlagen werden.

Mit welchen Gefühlen sind Sie ins Studio gegangen?

Es war keine Wehmut. Unser Gedanke war: Was wir jetzt als Band nicht machen, machen wir nie mehr. So ist es dann zu dem üppigen Opus «Die letzte Runde» gekommen.

«Ist noch lange hin, um auszuruhen» und «Es gibt noch einen Plan, er hat sich nicht erledigt», singen Sie auf dem Album. Die Rocker-Rente wartet also noch nicht auf Sie?

Momentan nicht. Es ist noch so viel zu tun, und es kostet viel Energie, dass ich keine Gedanken an das Später verschwende. Aber ich bleibe Musiker. Rosenzüchten wird nicht die Alternative sein. Im gleichen Song kommt übrigens noch die Zeile «Hab den Nachruflieferanten abbestellt».

Das Album beginnt mit «Die Hymne» (Come Together)«. Kann Musik unabhängig von Nationalität, Glauben und Überzeugungen Menschen zusammenbringen – was Politik oftmals nicht schafft?

Wir stammen aus der Ära der Message-Musik. Das, wovon wir singen, ist unser Traum von der Welt. Die Hymne »Come Together« enthält bewusst ein Beatles-Zitat. Wir sind geprägt von den Beatles, John Lennon, Bruce Springsteen oder Bob Dylan und haben immer noch den hehren Wunsch, mit Musik die Welt zu verändern. Obwohl wir wissen, dass es nicht klappt, versuchen wir es gerade in dieser Zeit immer wieder.

Wie war es, bei der Neuaufnahme Ihres größten Hits »Am Fenster« mit den Berliner Symphonikern zusammenzuarbeiten?

Großartig. Die Idee ist an uns herangetragen worden. Daraus ist eine kleine Tour entstanden. Als Erstes sind wir mit dem Arrangeur die Kronjuwelen angegangen, haben »Am Fenster« mit dem Orchester eingespielt. Damit hat der Song auch für uns etwas Neues, ein bisschen Sternenstaub gewonnen.

»Am Fenster« wurde bis heute mehr als zehn Millionen Mal verkauft. Welchen Anteil hat das verrätselte Gedicht der Lyrikerin Hildegard Maria Rauchfuß an diesem Erfolg?

Als Gedicht war »Am Fenster« relativ unbekannt, vielleicht kannte man es nur in Lyrikerkreisen. Der musikalische Schwerpunkt liegt auf der Wiederholung der letzten Zeile: »Flieg ich durch die Welt«, was so nicht im Gedicht stand. Das befeuerte Sehnsucht, bei vielen in der DDR wurden auch Fluchtgedanken geweckt.

Hat die Zensur sich nicht daran gestoßen?

Nein. Die Zensoren haben meist nur die Texte gelesen. Für sie war »Am Fenster« schlicht ein schönes Liebesgedicht, mit ein bisschen Schmerz dabei.

Wurden die Bücher von Frau Rauchfuß in der DDR viel gelesen?

Sie war keine sehr berühmte Autorin, hatte aber ihr Auskommen. Erst recht natürlich, als ihr Gedicht plötzlich vertont war. Sie war zuerst nicht sehr glücklich, dass eine Rockband ihr Gedicht vertont, wusste nicht recht, ob das zusammengeht. Das war noch zu Zeiten, als wir Langhaarige alle als Gammler galten.

Bei »Klarer Fall (Born in the GDR)« berichten Sie – im Duett mit Dieter »Maschine« Birr von den Puhdys und Dirk Michaelis von Karussel –, wie Sie den Rock’n’Roll in den Osten gebracht haben. Hat er es geschafft, die DDR zu verändern?

Der Anspruch, sich Freiheiten rauszunehmen durch Äußerlichkeiten oder Lebenseinstellungen, hat bewirkt, dass die Toleranzschwelle immer höher geschraubt wurde. Das erlebt man auch heute. Irgendjemand schlägt über die Stränge, dann mehrere – und plötzlich ist es Mainstream. Die Punks fingen damit an, sich Sicherheitsnadeln in die Ohren zu stecken und Irokesenschnitte zuzulegen, und zum Schluss tat das auch jede Verkäuferin bei Rossmann. Junge Menschen suchen sich immer neue Provokationsfelder. So lange es solch harmlose Sachen sind, ist es ja auch okay.

Sie singen: »Gegenwind hält uns in der Spur«. Wie stark war der Gegenwind für City einst?

Es war ein starker Gegenwind, nicht ohne Folgen, speziell auch für mich. Aber wir hatten immer eine unglaubliche Aufmerksamkeit in der DDR, nicht nur seitens unseres Publikums und unserer Fans. Tatsächlich hat sich das Politbüro mit uns befasst und ernsthaft darüber diskutiert, ob das nicht alles zu weit geht. Wir glaubten jedoch: Die trauen sich nicht, uns zu verbieten. Durch unsere Popularität waren wir ein bisschen geschützt. Was uns gerade beim Album »Casablanca« zugutekam, auf dem ein paar politische Unverschämtheiten zur Sprache kamen.

Und damit sind Sie durch die Zensur gekommen?

Der Cheflektor der Plattenfirma Amiga hatte uns im Vorfeld gewarnt, dass wir ein, zwei Zeilen ändern müssten. Die waren aber nicht werkbestimmend. Auf unserem neuen Album ist eine von Silly gespielte Version von »Susann« drauf, darin enthalten ist die Originaltextzeile »Da ging im Jahre 68 der Frühling bis in den August«. Die hat man uns damals gestrichen, sodass es am Ende hieß: »Da ging die erste große Liebe vom Frühling bis in den August« – ohne die Jahreszahl. 1968 ist der »Prager Frühling« zerschlagen worden. Die uns oktroyierte neue Zeile war vermeintlich unpolitisch, aber nicht für das Publikum in der DDR. Bei »August« dachten die Leute an einen versteckten Hinweis auf den Mauerbau im August 1961. Der war für DDR-Bürger noch viel einschneidender als der »Prager Frühling«, gegen dessen Exekution nur ein paar Intellektuelle um Wolf Biermann protestiert hatten.

Darunter Sie. Sie kamen Ende 1968 ins Gefängnis, weil Sie mit anderen vor der sowjetischen Botschaft in Ost-Berlin schweigend gegen den Einmarsch in die ČSSR protestiert hatten.

Ich war 19 und bin zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Ich kam nach 100 Tagen und Nächten auf Bewährung frei. Überraschend nicht nur für mich, sondern für alle jungen Straftäter unter 26, die im Zusammenhang mit dem »Prager Frühling« verurteilt worden sind. Die Haftstrafe wurde auf Politbürobeschluss für alle in eine Bewährungsstrafe umgewandelt. Vielleicht wollten die sich kein Heer von Dissidenten an den Hals züchten. Man wollte uns wohl ermahnen.

Danach wurden Ihnen keine Steine auf Ihren weiteren Karriereweg gelegt?

Damit haben alle in unserer Band gerechnet, aber es ist nicht passiert. Ich hatte wegen Hetze gesessen, und unser Schlagzeuger hatte eine Auseinandersetzung wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt, die in einer Geldstrafe mündete. Wir durften reisen, obwohl unser Gitarrist, Fritz Puppel, Sohn einer angesehenen Industriellenfamilie ist, die in der DDR enteignet worden war. Die Devisennot in der DDR war wohl ausschlaggebend, dass sie uns haben fahren lassen. Wir haben sehr viel Westgeld eingespielt. In unserem Vertrag stand, dass wir den größten Teil davon 1:1 in DDR-Mark umtauschen müssen.

1967 gründeten Sie mit Rainer Köchling, Frank Pfeifer und Peter Gross Ihre erste Band: Wurzel minus 4. Wie war es zu der Zeit um die Subkultur in der DDR bestellt?

Der Kontrollzwang und Kontrolldrang der Funktionäre war unermesslich. Aber es gab immer wieder irgendwo Freiräume, die sie noch nicht unter Kontrolle hatten. Anfangs wussten sie nicht, wie sie sich zur Beatmusik verhalten sollten. Sie haben sie nicht ernst genommen und plötzlich gemerkt, dass da in der Provinz oder am Rande von Berlin gewisse Dinge los sind, die in ihren Augen nichts mit sozialistischem Leben zu tun hatten. Da haben wir Spielverbot bekommen – wegen langer Haare.

»Wir bauen keine Mauern mehr, die hatten wir, ist lange her« heißt es in »Die Hymne«. Putins Krieg gegen die Ukraine lässt leider befürchten, dass sich der Eiserne Vorhang wieder dauerhaft zwischen dem Westen und Osten senken könnte. Welche Gefühle löst das in Ihnen aus?

Der Kalte Krieg ist direkt in einen heißen übergegangen. Wir können nur hoffen, dass sich Vernunft, Anmut, Mühe und Verstand durchsetzen, wie es in unserer Hymne heißt. Ich hoffe, dass irgendwie eine Form von Frieden gefunden wird. Ich habe als Jugendlicher zwei Jahre in Moskau gelebt, bin dort zur Schule gegangen. Ich konnte mal richtig gut Russisch und war auch jüngst ein paar Mal in Moskau. Die Russen sind großartige Menschen. Aber wenn da einer durchdreht …

Album »City. Die letzte Runde« (Electrola/Universal); »City – das Buch. Einmal Wissen, dieses bleibt für immer« (Rotbuch, 240S., geb. 19,99€).

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