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Exklusion aus Angst

Immer mehr Sportverbände schließen trans Frauen aus. Dabei fehlt es an wissenschaftlichen Untersuchungen

Lia Thomas schwamm bei den US-College-Meisterschaften zum ersten Titel einer trans Frau. Gegen ihre Teilnahme gab es Proteste. Dabei war sie keineswegs unschlagbar.
Lia Thomas schwamm bei den US-College-Meisterschaften zum ersten Titel einer trans Frau. Gegen ihre Teilnahme gab es Proteste. Dabei war sie keineswegs unschlagbar.

Ein paar Monate lang war es ruhig, doch es war klar, dass es so nicht bleibt. Die Debatte um eine Teilnahme von trans Menschen, besonders im Frauensport, ist politisch zu aufgeheizt und zu wenig von wissenschaftlichen Erkenntnissen geprägt, als dass sie länger vergessen werden könnte. Nun kochte das Thema wieder hoch, weil mehrere Sportverbände ihre Regularien verschärften und damit zumeist trans Frauen von einer Teilnahme an Wettkämpfen ausschließen.

Den Anfang machte der Weltschwimmverband Fina, der trans Schwimmerinnen nur an Wettkämpfen für Frauen teilnehmen lassen will, wenn sie eine Geschlechtsanpassung noch vor dem zwölften Lebensjahr, also vor der Pubertät, vornehmen ließen. Obwohl so gut wie kein Kind einen derart tiefgreifenden medizinischen Eingriff in so jungen Jahren wagt, stimmten am Sonntag 71 Prozent der Delegierten beim Fina-Kongress in Budapest für das neue Regelwerk.

Dass es überhaupt dazu kam, hat viel mit Lia Thomas zu tun. Im März gewann sie über die 500 Yards Freistil als erste offene trans Athletin einen College-Titel in den USA. Der Aufschrei war groß: Trans Athletinnen machten den Frauensport kaputt, hieß es vor allem von konservativen Politikern. Dabei war Thomas keineswegs übermächtig: Über 200 Yards wurde sie Fünfte, über 100 Yards erreichte sie nicht mal den Endlauf. Nationale Rekorde stellte sie auch nicht auf. Vielmehr lag ihre Siegzeit mehr als neun Sekunden über der Bestzeit der Olympiasiegerin Katie Ledecky. Thomas hatte bereits im Dezember 2021 für Aufsehen gesorgt, als sie ein 1500-Meter-Rennen mit 38 Sekunden Vorsprung gewonnen hatte. Auch damals war über unfaire Vorteile geschimpft worden, obwohl Ledeckys Weltrekord noch einmal 39 Sekunden unter den von Thomas geschwommenen 15:59,71 Minuten liegt.

Dennoch hat die Fina nun Thomas ausgeschlossen und dabei die neuesten Richtlinien des Internationalen Olympischen Komitees missachtet. Das IOC hatte im November 2021 den Verbänden empfohlen, Transgender starten zu lassen, es sei denn, es werde nach einer Einzelfallprüfung nachgewiesen, dass sie einen unfairen Wettbewerbsvorteil hätten oder eine Gefahr für Konkurrentinnen darstellten. Die Fina aber folgte lieber der International Federation of Sports Medicine (IFSM), die postuliert hatte, dass die IOC-Richtlinien wissenschaftliche Erkenntnisse zu wenig beachteten. Diese vermeintlichen Erkenntnisse sind aber mindestens löchrig, wenn nicht sogar nichtexistent.

Unbestritten haben viele Studien längst nachgewiesen, dass das männliche Sexualhormon Testosteron vor allem in der Zeit der Pubertät hauptverantwortlich dafür ist, dass cis Männer als Erwachsene im Schnitt größer und stärker als cis Frauen werden. Auch bei Ausdauerfähigkeiten haben sie Vorteile. Schon viel weniger Studien gingen der Frage nach, inwieweit sich eine geschlechtsangleichende Hormontherapie auf die Muskelmasse oder den Sauerstofftransport im Blut auswirkt, jenen Eigenschaften also, die für Kraft und Ausdauerfähigkeit besonders wichtig sind. Einige Untersuchungen belegen, dass die Leistungsfähigkeit bei einer Hormontherapie zurückgeht. Zumeist bleibt sie jedoch vor allem nach nur einem Jahr noch über dem Normalniveau von cis Frauen.

Solche Studien sind allerdings nicht nur rar, sie untersuchten auch noch nie Leistungssportlerinnen. Welche Auswirkungen das Senken des Testosteronspiegels auf deren Athletikwerte haben, ist noch völlig unerforscht. Trotzdem beschloss die Fina nun, trans Frauen von Frauenwettbewerben auszuschließen. Dabei ist schon an Lia Thomas zu erkennen, wie schwerwiegend der Einfluss der Behandlungen ist: Ihre Bestzeit über 1650 Yards Freistil stieg in den zwei Jahren ihrer Hormontherapie um eine ganze Minute an.

Fina-Präsident Husain Al-Musallam verteidigte dennoch die Beschlüsse und schlug für trans Athletinnen eine neue Kategorie vor. »Bei uns ist jede Athletin willkommen. Ich werde eine Arbeitsgruppe einsetzen, um eine offene Kategorie einzurichten«, so Al-Musallam. »Wir werden der erste Verband sein, der das macht.«

Natürlich ist die Fina nicht der erste Verband mit offenen Kategorien. Im Rennrodeln oder Golf gibt es diese bereits. Allerdings starten Frauen lieber in ihrer eigenen Wertung, um eine Siegchance zu haben. So bleiben in der offenen Wertung nur Männer übrig. Höchstwahrscheinlich wird die Fina vielmehr der erste Verband sein, der eine offene Kategorie als dritte Option anbietet, in der dann niemand startet. Trans Frauen wollen als Frauen behandelt werden, weil sie sich als solche sehen. Warum sollten sie in offenen Klassen gegen Männer antreten, die keine Hormontherapie durchlaufen haben und damit in jedem Fall körperliche Vorteile genießen?

Dennoch gab es Beifall für die Fina, etwa von der früheren britischen Schwimmerin Sharron Davies: »Ich bin so stolz auf die Fina-Führung. Schwimmen wird immer offen für alle sein, aber Fairness ist nun mal der Grundpfeiler des Sports.« Aber nicht allen Athletinnen gefällt diese Entwicklung. Die olympische Silbermedaillengewinnerin Erica Sullivan schrieb schon im März in einem Beitrag für »Newsweek«: »Wie jede andere hat Lia hart trainiert und alle Regeln befolgt. Wir haben alle unterschiedliche Eigenschaften. Was uns unterscheidet, ist oft entscheidend für Erfolge im Becken. Doch niemand hinterfragt die Gültigkeit dieser Eigenschaften bei cis Athletinnen. Lia Thomas hingegen wird genau deswegen aufs Korn genommen.«

Neben den Schwimmern hat auch der Radsport-Weltverband UCI seine Regeln verschärft. So wird die Zeit, in der eine trans Fahrerin nicht an Wettkämpfen teilnehmen darf, auf 24 Monate nach Beginn der Therapie verdoppelt. Dabei schreibt selbst der medizinische Direktor der UCI, Xavier Bigard: »Leistungsunterschiede zwischen trans Frauen und cis Frauen sind unklar, vor allem wegen des Fehlens von Daten. Bis heute gibt es keine Studien zu Leistungsveränderungen bei trans Leistungssportlerinnen nach hormoneller Behandlung.«

Stattdessen wurden Studien an Nichtsportlern zur Begründung herangezogen. Demnach entwickle sich die Muskelmasse nicht auf das Normalniveau von Frauen zurück. Dass es beim Sauerstofftransport im Blut sogar zu Nachteilen gegenüber cis Frauen durch die Behandlung kommt, hatte auf die Neuregelung keine Auswirkung.

Stattdessen halbierte die UCI auch noch den zulässigen Testosteronspiegel für trans Athletinnen auf 2,5 Nanomol pro Liter Blut. Bei Blutuntersuchungen von cis Frauen wird dagegen der Testosteronwert nur gemessen, wenn es einen konkreten Dopingverdacht gibt, wie Detlef Thieme, Institutsleiter des Dopingkontrolllabors in Kreischa, gegenüber »nd« bestätigte. Auch gebe es für diese Athletinnen keine Grenzwerte. Vielmehr werde nur nach Schwankungen gesucht, was auf eine verbotene Einnahme von Testosteron schließen lasse. Hätte eine cis Frau aber einen natürlich höheren Spiegel als 2,5 Nanomol pro Liter. würde sie im Gegensatz zur trans Frau nicht ausgeschlossen werden.

So wie Emily Bridges. Schon Ende März verbot ihr die UCI einen Start bei den britischen Meisterschaften. Der nationale Verband wollte ihr damals den Start noch erlauben, nahm die eigene liberale Regel aber im April auch zurück. Nicht nur die UCI hatte Druck ausgeübt, sondern auch die hohe Politik. Premierminister Boris Johnson hatte gesagt, dass trans Frauen nicht an Frauenwettbewerben teilnehmen sollten.

Nach dem Ausschluss folgte für Bridges damit noch ein öffentlicher Spießrutenlauf: »Es ist merkwürdig zu hören, wie der vermutlich bekannteste Mann des Landes plötzlich über einen redet und eine Meinung zu etwas äußert, von dem er überhaupt keine Ahnung hat«, sagte Bridges Wochen später. In dieser Zeit hatte sie online »Drohungen physischer Gewalt von Fremden« erhalten. »Ich hatte große Angst nach diesen Kommentaren, dass mich jemand auf der Straße erkennt«, so Bridges.

Der britische Radverband hatte zwar angekündigt, seine Regularien überprüfen zu wollen, doch Bridges wartet seither vergeblich auf eine Nachricht: »Sie haben gesagt, sie würden mit mir über eine Prozedur reden, wie sie zu neuen Regeln kommen. Aber ich habe nichts von ihnen gehört.« Dabei steht Bridges für Forscher zur Verfügung. Sie will der Welt zeigen, dass sie auch physiologisch kein Mann mehr ist: »Meine Leistungen sind massiv eingebrochen seit der Behandlung. Ich habe mehr verloren, als der Unterschied zwischen Männern und Frauen normalerweise ist«, behauptet Bridges. Nachprüfen ließe sich das nur mit wissenschaftlichen Studien.

Daran aber scheint kein Verband wirklich interessiert zu sein. Stattdessen belegte auch der Welt-Rugbyverband trans Frauen mit einem Bann. Zu gefährlich sei in diesem Vollkontaktsport das Aufeinandertreffen von cis Frauen mit jenen, die durch die männliche Pubertät gegangen und dadurch stärker und größer seien. Auch hier steht jedoch in der Begründung: »Bis jetzt gibt es keine Studien über trans Frauen im Rugby.« Auch von ernsten Verletzungen durch trans Frauen ist nichts bekannt. Allein die verständliche Angst um die physische Gesundheit aller Spielerinnen treibt den Verband. Die Gefahr einer Verbannung für die mentale Gesundheit von trans Frauen wird jedoch nicht berücksichtigt.

Lediglich der Deutsche Fußballbund (DFB) schlug diese Woche mit seiner Neuregelung zum Spielrecht trans*, inter* und nicht-binärer Personen eine andere Richtung ein. Demnach können Spielerinnen mit dem Personenstandseintrag »divers« oder »ohne Angabe« sowie jene, die ihr Geschlecht angleichen lassen, künftig selbst entscheiden, ob ihnen die Spielberechtigung für ein Frauen- oder Männerteam erteilt werden soll. »Die Verhinderung von Diskriminierung, unter anderem aufgrund des Geschlechts, ist explizit als Zweck des DFB in seiner Satzung verankert«, begründete der Verband den Schritt.

Im Berliner Fußballverband gilt diese Regel bereits seit 2020. Offenbar gab es keine schweren Vorfälle von Verletzungen oder Wettbewerbsverzerrungen. Also zog der DFB nun nach. Man könnte sagen, er hat aus einer Feldstudie gelernt. Andere Verbände wählen derzeit eher einen anderen Weg.

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