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Wettrennen zum Mars
In der Serie «For All Mankind» fechten die USA und die Sowjetunion ihren Konkurrenzkampf im All noch in den 1990er Jahren aus
Wäre die Sowjetunion nicht untergegangen und hätten die Frauen bei der US-Raumfahrtbehörde Nasa das Sagen gehabt, wären schon Mitte der 1990er Jahre Menschen auf dem Mars gelandet. So passiert es zumindest in der Apple-TV-Serie «For All Mankind», deren dritte Staffel von der ambitionierten Landung auf dem roten Planeten erzählt. Dem seit 2019 ausgestrahlten Weltraumepos liegt die Vorstellung einer alternativen Zeitgeschichte zugrunde. So landen in der Serie die Sowjets 1969 als Erste auf dem Mond. Ab Mitte der 1970er Jahre richten die USA und die UdSSR Mondstationen ein, um das Isotop Helium-3 zur Energiegewinnung abzubauen. Frauen spielen – im Gegensatz zu unserer realen Geschichte – schon früh eine bedeutende Rolle in der Raumfahrt. Die Systemkonkurrenz der beiden Supermächte findet im All statt. Manchmal kommt die alternative Geschichtserzählung auch nur in Details zum Ausdruck. So kommt in «For All Mankind» Anfang der 80er zwar der Papst bei einem Attentat ums Leben, nicht aber John Lennon, der im Fernsehen fleißig Kommentare zum Weltfrieden abgibt. Auch endet der Vietnamkrieg früher als in der Realität, und Ronald Reagan wird schon 1977 statt 1981 Präsident der USA. Bald darauf findet in Panama eine sozialistische Revolution statt, bei der die US-Botschaft von Studenten besetzt wird.
In der dritten Staffel gesellt sich zur Nasa und dem sowjetischen Raumfahrtprogramm ein privates US-Unternehmen namens Helios Aerospace, das ein eigenes Raumschiff baut, um zum Mars zu fliegen. Das setzt die Supermächte gehörig unter Druck. Helios Aerospace wird vom charismatischen Dev Ayesa (Edi Gathegi) geleitet. Der Konzern hat mit seinen flachen Hierarchien vermeintlich eine kollektive und basisdemokratische Struktur, unterliegt aber in Wirklichkeit knallharten autoritären Businessregeln. Damit ähnelt er stark den realen Raumfahrtunternehmen SpaceX des Tesla-Chefs Elon Musk und Blue Origin des Amazon-Chefs Jeff Bezos.
Im Lauf der Zeit heuern immer mehr Nasa-Urgesteine bei der deutlich besser zahlenden privatwirtschaftlichen Konkurrenz an, unter anderem der gefeierte Astronaut Edward Baldwin (Joel Kinnaman) und seine Frau Karen (Shantel VanSanten). Die Nasa-Mission wird von der Schwarzen Danielle Poole (Krys Marshall) geleitet, während die Nasa-Chefin Margo Madison (Wrenn Schmidt) weiter ihre enge Freundschaft zu Sergei Nikulov (Piotr Adamczyk), dem Leiter des sowjetischen Programms, pflegt. Ellen Wilson (Jodi Balfour), früher Kommandantin der US-Mondstation, tritt in den Vorwahlen der Demokratischen Partei gegen Bill Clinton an, um die erste US-Präsidentin zu werden.
Geschickt verwebt «For All Mankind» die komplexen privaten Dramen der Menschen, die in den Weltraum fliegen oder für die Raumfahrtindustrie arbeiten, mit der besagten fiktiven Zeitgeschichte. Die Nasa ist in der Serie ein profitables Unternehmen, weil sie alternative Energieressourcen nutzt – das ist zurzeit durchaus noch utopisch. Auch sind Frauen und People of Color vor allem in die Raumfahrt mehr eingebunden als sie es in unserer Geschichte waren, was aber nicht bedeutet, dass es in dieser fiktiven Welt keinen Rassismus oder Sexismus gäbe. So führt etwa das Coming-out eines schwulen Astronauten auf dem Mars zu einer gesellschaftspolitischen Debatte, die auch reaktionären Kräften Aufwind gibt. Gleichzeitig ist die Technologie viel weiter entwickelt als in unserer Wirklichkeit. Das reicht vom Elektroauto in den 80ern bis zu einer Art Smartphone, mit dem sich vom Weltraum aus problemlos mit dem zurückgelassenen Ehemann im Wohnzimmer in Houston telefonieren lässt.
Die Weltraumfahrt ist in der Serie immer auch ein umstrittenes Politikum. So führen etwa die Förderung von Helium-3, seine Verarbeitung und die daraus entstehenden Ressourcen zu politischem Streit. Konservative Kräfte verteidigen die Pfründe der Erdöl- und Kohleindustrie und vermeintlich auch deren Arbeiterschaft. Dazu gesellen sich bald Anti-Nasa-Verschwörungstheoretiker.
Hin und wieder driftet «For All Mankind» ein wenig zu sehr in einen in die Weltraumfahrt verliebten Pathos ab. Zudem werden die Sowjets leider zu oft holzschnittartig dargestellt. Doch die Serie entwickelt über die Länge der drei Staffeln durchaus so etwas wie eine Herrschaftskritik. Die Raumfahrer handeln etwa immer wieder ganz entschieden gegen ihre Befehle und hebeln damit momentweise gefährliche Spannungen in der Weltpolitik aus.
Hatte die zweite Staffel vor allem den Wahnsinn der Militarisierung des Weltraums thematisiert, geht es in der aktuellen Staffel viel um Konkurrenzlogik, die in der fiktiven Welt der 90er Jahre im privatwirtschaftlichen Sektor noch stärker ausgeprägt ist als zwischen den beiden noch immer rivalisierenden Supermächten. Wie das Rennen zum Mars dann zwangsläufig eskaliert, die Raumschiffbesatzung dabei aber auch politisch widerständig handelt, wird überaus spannend in Szene gesetzt.
«For All Mankind», seit dem 10. Juni auf Apple TV+, wöchentlich eine neue Folge
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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