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Ganz schön dunkel
In der Vierten Welt in Berlin widmete sich die Performerin Haruka Tomatsu tänzerisch der modernen Arbeitswelt
Es ist alles andere als ein Geheimnis: Die europäischen Theater-Avantgarden des 20. Jahrhunderts zehrten in hohem Maße von den Darstellungskünsten des alten Japan. Nō, Kabuki, Bunraku sind die klassischen Theaterformen aus Fernost, die Einfluss nahmen auf eine ganze Reihe von Künstlern – von Bertolt Brecht bis Wsewolod Meyerhold.
Aber auch in Japan steht die Zeit auf den Bühnen nicht still. Butoh – der »Tanz der Finsternis« – ist der Name einer jüngeren, in den 50er und 60er Jahren entwickelten freien Tanztheaterform. Sie knüpfte an japanische Traditionen an, funktionierte so auch als Widerstand gegen die um sich greifende Westorientierung auf allen Ebenen, aber stellte doch eine grundlegende Erneuerung dar. Diese Tanzform, die das Groteske der Gegenwart choreografisch abzubilden sucht, war die Antwort auf die Schrecken des 20. Jahrhunderts, in denen die Bombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki möglich wurden.
Mit der einstündigen Solo-Tanzperformance »Spirale – Wenn der Körper nicht streikt« bringt die aus Japan stammende Darstellerin und Choreografin Haruka Tomatsu, unterstützt von Ren Saibara (Regie) und Viola Köster (Text und Dramaturgie), Butoh nach Deutschland. Genauer gesagt: in die freie Berliner Spielstätte Vierte Welt. Dieser, gelinde gesagt, für Bühnendarbietungen sperrige Raum, in dem Säulen die Sichtachsen durchlaufen, stellt sich als für die Tänzerin scheinbar mühelos beherrschbar heraus.
Eine Frau sitzt mit dem Rücken zum Publikum hinter einem Schreibtisch. Business-Look. Doch zunächst ziehen im Raum verteilte Bildschirme die Aufmerksamkeit auf sich, ehe Haruka Tomatsu sich uns zuwendet. Der Wechsel von Video- und Live-Performance soll diesen Abend bestimmen. Dazu ein kurzer eingespielter Monolog, der uns in Variationen immer wieder zu Gehör kommt. Diese Elemente ergeben ein Ganzes und streben doch keine Synchronität an. Die neuen Verbindungen, die sich aus den sich parallel ereignenden Wiederholungen ergeben, lassen die Assoziationen weiter wuchern.
Sehr verdichtet konfrontiert uns der Text mit Botschaften wie aus dem Management-Lehrbuch. »Wenn du denkst, du kannst nicht mehr, dann setz noch einen drauf.« Nur dass der Ton, in dem sie uns entgegengebracht werden, so ganz und gar nicht managergemäß ist, sondern nüchtern, fast erschöpft.
Erschöpfung, das ist das große Thema des Abends. Burn-out lautet ein Schlagwort, das mittlerweile ausgesprochen wird, ohne dass man noch erstaunte Blicke dafür ernten würde. Es ist der Modus der modernen Arbeitswelt. Wie es im Titel heißt, wird gezeigt, was passiert, wenn der Körper nicht streikt. Es ist die schrittweise Selbstzerstörung, verursacht durch eine absurderweise so bezeichnete »Selbstoptimierung«.
Eindrücklich zeigt der Theaterabend, dass selbst eine Regeneration nur im Sinne einer Steigerung der eigenen Arbeitsfähigkeit erfolgt. »Denke daran, dass auch Erholung Leistung sein kann«, heißt es dazu. Es ist ein System, dem wir scheinbar nicht entkommen können. Auch das Bauchmuskeltraining wird beworben mit einem einsetzenden »Orgasmuseffekt«. Die endlose Schleife aus Effizienzsteigerung und Arbeit am Selbst dringt in das Privateste ein. Und wir sitzen dem Betrug auf, es handele sich dabei um etwas Positives.
Durchaus eindrucksvoll ist es, sich mit japanischem Tanz vertraut zu machen. Dem Thema, das hier der Ausgangspunkt ist, kann man sich kaum verschließen. Und doch fehlt der Performance etwas an Überraschung. Es fällt schwer, bei einem »Spirale« benannten Stück den selbstverstärkenden Effekt der Selbstoptimierungsversuche nicht schon zu Beginn zu erahnen. Die Verschränkung von Video, Tanz und Text sorgt hier zumindest für Spannungsmomente. Mut zu stärkeren Überzeichnungen und zu anderen spielerischen Formen hätte der Inszenierung sicher gutgetan.
Im Herbst wird am selben Ort eine Folgearbeit zu sehen sein. Bei diesem Spektakel wollen die Künstlerinnen mit Mitteln des Butoh über häusliche Pflege reflektieren. Eine Scheu vor virulenten Themen gibt es jedenfalls nicht!
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