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Die Geschichte der Antifaschistischen Aktion reicht mittlerweile 90 Jahre zurück. Sie ist voller Brüche und Konflikte

  • Bernd Langer
  • Lesedauer: 7 Min.
90 Jahre Antifa, yay! Ein Grund zum Feiern ist das allemal. Wenn es aber weitergehen soll, muss es auch ein Anlass zur kritischen Bestandsaufnahme sein.
90 Jahre Antifa, yay! Ein Grund zum Feiern ist das allemal. Wenn es aber weitergehen soll, muss es auch ein Anlass zur kritischen Bestandsaufnahme sein.

International, in unzähligen Varianten, gehören die Doppelfahnen der Antifaschistischen Aktion zu den weitverbreitetsten politischen Symbolen. Diese vielseitige Aneignung ist möglich, weil das Antifa-Emblem eine universelle linke Idee widerspiegelt: undogmatisch, basisdemokratisch, mit allen nötigen Mitteln gegen den Faschismus.

Das Symbol steht dafür, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beenden zu wollen und ist zum Sinnbild einer unabhängigen antifaschistischen Linie geworden. Diese Entwicklung begann vor 90 Jahren. Sie ist keineswegs nur eine Erfolgsgeschichte, sondern hat Fehler und Brüche, die eine selbstkritische Auseinandersetzung notwendig machen.

Saalschlacht

Die Geschichte der Antifaschistischen Aktion begann im heutigen Berliner Abgeordnetenhaus, das damals noch der Preußische Landtag war. Für die Nationalsozialisten hatte die jüngste Wahl einen beispiellosen Sieg gebracht: von 1,8 Prozent im Jahr 1928 stieg ihr Stimmenanteil am 24. April 1932 auf 36,3 Prozent, statt sechs Mandatsträgern saßen mit einem Schlag 162 NSDAP-Abgeordnete im Landtag. Demgegenüber konnte die KPD lediglich einen Prozentpunkt zulegen und brachte es mit 12,8 Prozent auf 57 Abgeordnete.

Am 25. Mai 1932 fand die zweite Landtagssitzung statt. Ständige Zwischenrufe hatten für eine angeheizte Stimmung gesorgt, bis der KPD-Abgeordnete Wilhelm Pieck das Wort ergriff und die Nazi-Fraktion in Rage brachte. Dreifach überlegen starteten die Nazis einen Angriff. Sessel flogen durch die Luft, Lampen wurden zerschlagen und Möbelstücke in Schlagwerkzeuge umfunktioniert. Die Saalschlacht forderte drei Schwer- sowie etliche Leichtverletzte, der Sitzungssaal glich einem Trümmerfeld. Noch am selben Tag rief das Zentralkommitee der KPD die deutsche Arbeiterklasse zur »Antifaschistischen Aktion« auf.

Zu diesem Zweck wurde ein besonderes Emblem entworfen: zwei rote Fahnen, symbolisch für KPD und SPD, die in einem Rettungsring wehen. Der Wind kommt von links. Das neue Abzeichen wurde am 15. Juni 1932 zum ersten Mal in der Parteizeitzeitung »Rote Fahne« veröffentlicht. Für den offiziellen Auftakt der Antifaschistischen Aktion mobilisierte die KPD dann zu einem Kongress am 10. Juli 1932 in der Berliner Philharmonie, auf dem 1500 Delegierte verschiedener Organisationen eine »Antifaschistische Kampfwoche« ausriefen. Die Doppelfahnen fanden sich fortan auf jeder KPD-Publikation.

Die Linie der Sozialfaschismusthese

Was als schwungvolle Initiative erschien, war jedoch alter Wein in neuen Schläuchen. Bereits seit 1921 verfolgte die KPD die Einheitsfrontstrategie, mit der insbesondere SPD-Mitglieder gewonnen werden sollten. Die SPD an sich galt als politischer Gegner, denn Antifaschismus und Antikapitalismus unterschieden Kommunist*innen nicht. In ihrer Sichtweise galt jede Partei, die den Kapitalismus stützte, als faschistisch. Diese Sichtweise ging auf die 1924 vom Bolschewisten Grigori Sinowjew entworfenen Sozialfaschismusthese zurück, nach der die Sozialdemokratie der »linke Flügel des Faschismus« sei. Deshalb gelte es, die Sozialdemokratie vorrangig zu bekämpfen. Unter Josef Stalin wurde diese These ab 1928 zur Doktrin der Kommunistischen Internationale (KI). Seit ihrem Bestehen war die KPD Teil dieses Zusammenschlusses unter bolschewistischer Führung in Moskau. Allen der KI angeschlossenen Organisationen war es fortan verboten, mit sozialdemokratischen Gruppierungen Koalitionen einzugehen.

In der KPD setzte sich die Sozialfaschismusthese nach den Berliner Mai-Unruhen 1929 durch, die SPD-Polizeipräsident Karl Zörgiebel blutig hatte niederschlagen lassen. Maßgeblich für die Anti-SPD-Politik war jedoch ein geheimes Militärabkommen zwischen der Sowjetunion und dem Deutschen Reich, das Stalin gefährdet sah, weil die SPD eine Annäherung mit Frankreich anstrebte. Das ging sogar so weit, dass die KPD mit den Nazis paktierte, wenn es dazu diente, die SPD zu schwächen. Beispiele hierfür sind der gescheiterte Volksentscheid zur Auflösung des preußischen Landtags 1931 und der BVG-Streik 1932 in Berlin. Für die Nazis hingegen waren SPD wie KPD marxistische Parteien, welche sie bekämpften und praktisch in eine Reihe prügelten. So bildeten sich Anfang der 1930er Jahre »antifaschistische Häuser-Schutzstaffeln«, bei denen Parteizugehörigkeit keine Rolle spielte. Das waren Ansätze einer gleichberechtigten und basisbestimmten Aktionseinheit. Doch obwohl die KPD die Möglichkeit sah, weiteres Potential für ihre Politik zu gewinnen, blieb die Antifaschistische Aktion am Führungsanspruch der KPD und der Sozialfaschismusthese ausgerichtet.

Volksfront gegen den Faschismus

Erst 1934 entstand in Frankreich die Idee der Volksfront. Auslöser war ein »Marsch auf Paris« der Faschisten am 6. Februar. Dieser eskalierte in einer erbitterten Straßenschlacht und verhinderte die Neubildung einer Mitte-links-Regierung. Aufgerüttelt durch die Erfahrungen in Italien und Deutschland, war es im Frühjahr 1934 zur Gründung des parteiunabhängigen Wachsamkeitskomitees antifaschistischer Intellektueller gekommen. Seit geraumer Zeit hatten Intellektuelle verschiedener Strömungen – darunter auch einige Kommunist*innen – bei antifaschistischen Kundgebungen zusammengewirkt und inspirierten damit die Vorstellung einer Verbindung aller Kräfte gegen den Faschismus, auch im Bündnis mit der bürgerlichen Mittelschicht. Dieser Idee verhalf der Generalstreik am 12. Februar 1934 zum Durchbruch, unter dessen Druck die von den Faschisten erzwungene Regierung zurücktreten musste. Es folgte ein formeller antifaschistischer Aktionspakt.

Mit ihrem Vorgehen stellte sich die französische KP gegen die Führung der KI, die erst nach einem zähen Ringen den Volksfrontkurs im Dezember 1934 billigte. Schließlich löste dieser 1935 die Orientierung der KI an der Sozialfaschismusthese ab. Die Definition des bulgarischen Bolschewisten Georgi Dimitroff, nach der Faschismus »die terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals« sei, wurde zur Leitlinie erhoben.

Wenig später kam es in Spanien zum Bürgerkrieg. Von 1936 bis 1939 kämpfte eine republikanische Volksfront-Regierung gegen den faschistischen General Franco, der von Mussolini und Hitler Unterstützung erhielt. Auf der Seite der Republik standen die von der KI aufgestellten Internationalen Brigaden, die bis 1938 von der Sowjetunion materiell unterstützt wurden. Es zeigte sich jedoch, dass sich die Volksfront nicht bolschewistisch dominieren ließ. Auch begannen diplomatische Annäherungen mit Hitler-Deutschland, die am 23. August 1939 mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt besiegelt wurden.

Historischer Bruch

Durch die NS-Herrschaft war die antifaschistische Widerstandskultur in Deutschland zerschlagen. Erst mit dem gesellschaftlichen Aufbruch zum Ende der 1960er Jahre in der Bundesrepublik änderte sich dies und es entstanden wieder kommunistische und maoistische Gruppen bis hin zu antiautoritären Strömungen, zum Teil in vehementer Abgrenzung zur Sowjetunion. Dies markierte einen Bruch, der sich auch im Antifaschismus wiederfand.

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) war 1947 als eine der ersten antifaschistischen Organisationen gegründet worden und wurde in der Bundesrepublik nicht, wie KPD und FDJ, verboten. Doch blieb sie von der DDR finanziert und politisch gelenkt. Nach der Gründung der DKP 1968 zählte sie zu deren Vorfeldorganisationen. Eine Zusammenarbeit mit der sich aus der neuen Linken entwickelnden, militanten antifaschistischen Bewegung gestaltete sich deshalb schwierig.

So wurde das Emblem mit den Doppelfahnen ab 1977 zu einem Bezugspunkt für Antifaschist*innen der neuen Linken. Das Symbol unterschied sich deutlich vom roten Dreieck der VVN und verwies auf eine kämpferische Tradition, vor allem aber stand es nicht für eine Organisation. Der Kommunistische Bund grub das Zeichen aus, das dann zu den Autonomen wanderte, wo die Fahnen in den 1980er Jahren zu einer roten und schwarzen verändert wurden.

Für den neuen Antifaschismus war auch die Kritik an patriarchalen Verhältnissen und Rassismus von großer Bedeutung, ebenso wie die Gefahr eines Überwachungsstaats. Als Gegner galt das System, gegen das Antifaschismus als Teilbereichskampf verstanden wurde, bis hin zu der Parole: »Antifaschistische Aktion ist antiimperialistischer Widerstand«. In der klandestinen Organisierung mit dem Ziel direkter Aktionen blieb das Feld der aktiv Beteiligten aber übersichtlich und Demonstrationen mit mehr als 2000 Personen galten bereits als große Mobilisierung. Erst um das Jahr 1987/88 entwickelte sich mit der Bündnisdemo wieder ein Konzept, das verschiedene Kräfte einbinden sollte. Aus diesem Zusammenhang stammt der Entwurf der roten Fahne mit dem Antifa-Logo.

Aber auch weiterhin spielte der antifaschistische Kampf in der Bundesrepublik lediglich eine Nebenrolle. Zu einer größeren Bewegung wurde Antifa erst nach dem Anschluss der DDR an die BRD. Damit verbunden war auch der Siegeszug des Symbols, dessen Fahnen seit 1989 nicht mehr von links, sondern ausschließlich gegen rechts wehen. Der Erfolg des Symbols ist aber nicht gleichbedeutend mit erfolgreicher Organisierung. Es gab bundesweite Organisationsansätze aus der Antifa-Bewegung, die nach einigen erfolgreichen Jahren um die Jahrtausendwende verschwanden. Ob sie gescheitert sind, darüber lässt sich streiten. Notwendig bleibt die Antifaschistische Aktion unbedingt, denn Faschismus gehört nach wie vor zu den realen Machtoptionen.

Die Diskussions- und Informationsveranstaltung zu 90 Jahren Antifa findet am Samstag, 9. Juli 2022, 18 Uhr im Tommy-Weisbecker-Haus, Wilhelmstr. 9 in Berlin statt. Eine Kundgebung dazu wird am Sonntag, 10. Juli 2022, 14 Uhr am ehemaligen Standort der Alten Philharmonie, Bernburger Str. 22a/23 in Berlin, abgehalten.

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