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Tanzen im Zauberwald
Sommer in Berlin: Ein Kollektiv will mit illegalen Raves Freiraum für gesellschaftliche Utopien schaffen
Es ist dunkel, kurz nach 23 Uhr. Irgendwo an der Grenze zu Brandenburg bahnen sich Menschen von einem S-Bahnhof aus scharenweise ihren Weg durch den Wald. Von einem der Grüppchen aus zieht Cannabis-Geruch durch die Bäume. Eine Person spricht den jungen Mann mit dem Joint an. Ob er nicht mitbekommen habe, dass Waldbrandgefahr herrsche? Hat er nicht, aber er macht den Joint aus. Die meisten derjenigen, die sich an diesem hochsommerlichen Freitagabend auf den Weg in den Wald gemacht haben, sind über eine Telegram-Gruppe zu dem Rave mit dem Titel »Enchanted Forest« (Zauberwald) eingeladen worden, in der neben Zeit und Ort auch Verhaltensregeln wie die, unterwegs nicht zu rauchen, bekanntgegeben wurden.
Ein Rave ist eine Tanzveranstaltung zu elektronischer Musik, oft im Freien und in diesem Fall auch nicht legal. Organisiert wurde er vom Berliner Sublime-Kollektiv. Das ist, als die ersten Feierwütigen eintreffen, noch am Aufbauen. Jede*r packt ein bisschen mit an. Über das zwischen zwei Bäumen aufgebaute DJ-Pult und den Boxen wird eine Plane gespannt und eine Disco-Kugel aufgehängt. An anderen Bäumen werden Lichterketten und Müllsäcke befestigt. Um kurz vor Mitternacht geht es endlich los. Die DJs Gemo und Coco legen auf, laute Techno-Musik schallt durch den Wald, bald schon tanzen etwa 350 Menschen ausgelassen auf der Lichtung.
Es ist der vierte Rave des Sublime-Kollektivs, das sich vor einem Jahr gegründet hat. »Ich habe angefangen, den Corona-Lockdown zu hinterfragen und es nicht mehr eingesehen. Ich hatte gerade erst angefangen, in Berlin ein Sozialleben zu entwickeln«, sagt Tamme von Sublime zu »nd«. Der 22-Jährige kommt aus der Uckermark und kam vor drei Jahren für sein Medieninformatik-Studium in die Hauptstadt. Zusammen mit befreundeten DJs begann er, auf dem Tempelhofer Feld eigene Partys zu machen, zu denen immer mehr Menschen kamen. Dann beschlossen sie, als Kollektiv richtige Raves im Wald zu organisieren.
Dabei soll es laut Sublime aber nicht nur ums Feiern gehen. »Wir bauen uns unseren Freiraum mit unserer Musik und unseren Freund*innen. Wir jagen damit unsere Utopie einer Gesellschaft frei von kommerzieller Last und Autorität«, erklärt Tamme. Sublime hat auch schon Partys im Berliner Kulturhaus Kili organisiert, aufgrund der hohen Miete kann sich das kleine Kollektiv Clubs aber nur selten leisten. Ein Rave sei zudem niedrigschwelliger, weil er keinen Eintritt kostet und junge Menschen in Clubs gar nicht erst reinkommen. Tatsächlich sind viele Gäste noch sehr jung, zum Teil minderjährig. Manche machen hier ihre ersten Partyerfahrungen.
Der Rave gefalle ihm gut, sagt André Rubljer. Hier könne er »den Alltag wegsperren und das Gehirn ausschalten«. Außerdem sorge die Musik dafür, »die Umwelt und andere um einen herum anders wahrzunehmen«, findet er. Auch für Emma Gutsche spielt die Natur eine Rolle. »Man fühlt sich freier«, sagt die 22-jährige Berliner Studentin. Dass der Rave nicht legal ist, findet sie »aufregend«, schließlich könne die Party jeden Moment vorbei sein.
Zwar trifft Sublime jede Menge Vorsichtsmaßnahmen: Einzelne fahren mit Rädern zu den nächstgelegenen Siedlungen, um die Lautstärke zu prüfen, und immer, wenn jemand ein Auto in der Nähe sichtet, wird die Musik ausgeschaltet. Um halb 6 Uhr am Morgen ist es dann aber trotzdem soweit: Zwei Polizisten betreten die Lichtung, der Rave ist beendet. Tamme gibt sich als Verantwortlicher zu erkennen und erklärt, er würde privat eine Prüfung feiern – inzwischen sind nur noch um die 50 Menschen da, die sofort anfangen, aufzuräumen und Mülltüten zu verteilen.
Tatsächlich ist die Polizei jedoch nicht wegen einer Lärmbeschwerde gekommen, sondern weil Einzelpersonen bei einer nahegelegenen Brücke randaliert hätten. Ein Glück für Sublime, denn andernfalls würde dem Kollektiv wohl eine deutlich höhere Strafe drohen. Nach vorherigen Raves haben die Organisator*innen bereits Geldstrafen zahlen müssen. Das Risiko gehen sie bewusst ein und stemmen die Finanzierung über ihren Freundeskreis.
Wesentlich ernster nimmt Sublime die Warnungen des Jägers Jan Franze, der für das Waldgelände zuständig ist und gegen Morgen ebenfalls vorbeikommt. Er macht Tamme darauf aufmerksam, welchen Stress die Musik und die vielen Menschen für die im Wald lebenden Tiere bedeutet. »Das ist akustischer Umweltschmutz. Tiere brauchen ihre Ruhephase«, sagt er einige Tage später zu »nd«. In diesem Jahr sei das schon der vierte Rave in dem Gebiet gewesen, »wenn auch der bislang ordentlichste«, sagt er. Die Feiernden hätten ihren Müll, bis auf Kleinigkeiten, mitgenommen, nach vorherigen Partys habe es schon deutlich schlimmer ausgesehen. Ein weiteres Problem sei jedoch, dass die Leute überall hinpinkeln würden, was schädlich für den Boden ist, ganz zu schweigen von Häufchen mit Toilettenpapier.
Außerdem dürfe die Waldbrandgefahr auf keinen Fall unterschätzt werden. Zwar hatte Sublime zwei Feuerlöscher dabei und eine Brandschutz-Gummimatte unter den Generator gelegt. »Das reicht aber nicht aus«, betont Franze. Er verstehe das Bedürfnis nach Party und »dass man sich in der Natur frei fühlt«, sagt er. Er nehme auch zur Kenntnis, dass das Kollektiv sich viele Gedanken um Müllentsorgung und Brandgefahr gemacht habe, trotzdem sei der Wald »einfach ein schlechter Ort zum Feiern«, so der Jäger. Das habe auch etwas mit Respekt der Natur gegenüber zu tun.
Tamme gibt dem Jäger zwar recht, trotzdem ist seiner Ansicht nach nicht das Kollektiv der Schuldige: »Wir würden unsere Raves ja gerne im legalen Raum machen, aber es gibt nicht genügend Freiflächen. Wir werden in den Wald verdrängt und dadurch entsteht der Schaden«, sagt er. Die Stadt Berlin müsse Party-Kollektiven mehr Freiraum geben, um ohne zu hohe Auflagen, also mit einer gewissen Lautstärke und ohne bürokratische Genehmigungsverfahren zu feiern, so die Forderung. Es gebe zum Beispiel passende Industriebrachen in Marzahn und Lichtenberg, die nun aber zum Teil bebaut würden. »Der politische Wille ist nicht da«, kritisiert Tamme. Sublime werde seine Raves trotzdem weitermachen und nun eben einen neuen Ort suchen: »Wenn man uns verscheucht, gehen wir woandershin.«
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