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Zeitenwende für Ernährung
Martin Ling über den wachsenden Welthunger seit der Pandemie
Die Zahl der Hungernden weltweit steigt: Für 2022 und damit das Jahr des Beginns des Ukraine-Kriegs liegen noch keine belastbaren Zahlen vor – bis zu 50 Millionen Hungernde zusätzlich werden erwartet. 828 Millionen Hungernde vermeldete die Welternährungsorganisation FAO vor wenigen Tagen. Es ist die Hochrechnung für 2021.
Klar ist, der Ukraine-Krieg befeuert eine Tendenz, die es längst vorher gab: Die Zahl der Hungernden geht nach oben – von 690 Millionen 2019 um fast 150 Millionen allein seit Beginn der Corona-Pandemie; um 17 Millionen gegenüber 2020, als 811 Millionen Hungernde ausgewiesen wurden.
Der große Ukraine-Krieg macht global alles schlimmer, die vielen regionalen Konflikte wie der ungelöste Konflikt in Äthiopiens Provinz Tigray verschärfen die Probleme auf lokaler Ebene. Jemen, Südsudan, Syrien und viele andere stehen in dieser traurigen Reihe. Der Ukraine-Krieg führt global zu steigenden Lebensmittel-, Treibstoff und Düngemittelpreisen. Das hat unter anderem zur Folge, dass die Nothilfe teurer wird, dass mit dem vorhandenen Geld weniger Nahrungsmittel gekauft und somit verteilt werden können. Das Welternährungsprogramm hat seine Nahrungsmittelrationen beispielsweise in den Elendsvierteln von Nairobi bereits halbieren müssen.
2011, als hohe Lebensmittelpreise die Arabellion befeuerten, wurde nicht mit einer Neujustierung der internationalen Agrarordnung reagiert. Deshalb offenbart sich im Ukraine-Krieg erneut die Verletzlichkeit von Staaten, die von Nahrungsimporten abhängig sind. Die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze fordert nun den erweiterten Anbau regionaler Sorten in Afrika, die Reduktion der Importabhängigkeit als strategisches Ziel. 1980 war Afrika noch Selbstversorger. Es waren die oktroyierten Anpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds, die einheimische Bauern der übermächtigen Konkurrenz der Großfarmer aus West und später Ost aussetzten. Eine Korrektur dieser tödlich fahrlässigen Liberalisierungspolitik in der Nahrungsmittelproduktion wurde seit Jahrzehnten in entwicklungspolitischen Kreisen angemahnt. Bisher blieb die Zeitenwende im Agrarsektor aus. Das muss sich ändern, Ukraine-Krieg hin oder her.
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