Die Vögel singen mit

Sommeroperette in Schönebeck hat nach der Corona-Zwangspause zu kämpfen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 7 Min.
Lustig geht es zu beim Operettensommer in Schönebeck an der Elbe, unter anderem mit "Die lustige Witwe" von Franz Lehár.
Lustig geht es zu beim Operettensommer in Schönebeck an der Elbe, unter anderem mit "Die lustige Witwe" von Franz Lehár.

Wenn Alexander Klinger und seine Kollegen auf der Freilichtbühne auf dem Bierer Berg von Schönebeck/Elbe singen und die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie dazu spielt, begleiten die Vögel die Musik zuweilen mit ihrem Gezwitscher. »Die Vögel singen mit – und manchmal singen auch die Esel mit, die wohnen ja hier«, sagt Cornelia Ribbentrop. Die Sozialdemokratin ist Vorsitzende des Stadtrats. Aber mit der Kommunalpolitik erschöpft sich ihre ehrenamtliche Tätigkeit nicht. Sie ist auch Schatzmeisterin im Förderverein der hiesigen Kammerphilharmonie.

Auf dem Bierer Berg befindet sich neben der Freilichtbühne ein kleiner Tiergarten, in dem auch zwei Esel leben. In dieser Umgebung führen die Philharmoniker im diesjährigen Schönebecker Operettensommer »Die lustige Witwe« auf. Diese Operette von Franz Lehár sollte die Besucher eigentlich schon im Sommer 2020 erfreuen. Doch dann kam die Corona-Pandemie dazwischen. Nach dieser Zwangspause kann die Tradition des Operettensommers erst jetzt fortgesetzt werden. Es sei höchste Zeit, erklärt Cornelia Ribbentrop. »Noch ein Jahr hätten wir nicht überstanden.«

Denn inzwischen hängt die Existenz des Orchesters zu einem großen Teil an der Veranstaltungsreihe. Es erhält Fördermittel vom Land Sachsen-Anhalt (ein Drittel) und vom Salzlandkreis (zwei Drittel), muss aber als gemeinnützige GmbH auch eigene Einnahmen vorweisen. Diese Einnahmen kommen in guten Jahren mittlerweile zu drei Vierteln aus den Eintrittsgeldern des Operettensommers. Abgesehen von den Gehältern der 23 Musiker und dem Lohn für zweieinhalb Stellen in der Verwaltung, die einfach weiterlaufen, müssen aus den Ticketeinnahmen die Gagen der Sänger und Tänzer, das Bühnenbild, die Kostüme und alles andere beim Operettensommer bezahlt werden. Die Veranstaltungsreihe sollte dann auch noch Gewinn abwerfen, um das Orchester am Leben zu halten. Bevor das Coronavirus auch die Kultur krank machte, hat das geklappt.

Olaf Bartels spielt bei den Kammerphilharmonikern die Becken und das Schlagzeug. Seit dem 1. April 1989 – »ich bin der Aprilscherz des Orchesters« – ist der inzwischen 59-Jährige dabei. Nur wenige Musiker machen hier noch länger mit. Bartels erinnert sich an den ersten Schönebecker Operettensommer im Jahr 1997. Gegeben wurde »Der Vetter aus Dingsda«. Bartels sagt: »Wir spielten fünf Abende à 300 Zuschauer, und unserer damaliger Geschäftsführer war glücklich, dass wir eine D-Mark Gewinn gemacht haben.«

Das Plus war wichtig, auch wenn es nur eine Mark gewesen ist. Das Experiment lohnte sich also und konnte fortgesetzt werden. 2006 strömten insgesamt mehr als 20 000 Besucher zu 27 Aufführungen der Johann-Strauss-Operette »Die Fledermaus«. 2018 erreichte die Auslastung 94 Prozent, und Geschäftsführerin Anita Bader überlegte nach eigenem Bekunden schon, ob 865 Sitzplätze in der Freilichtbühne auf Dauer ausreichen oder nicht bald eine zusätzliche Tribüne errichtet werden sollte und wo noch Platz dafür wäre.

Doch nach Corona lässt sich an den Erfolg nicht so einfach wieder anknüpfen, als ob nichts gewesen wäre. Die Freilichtbühne dämmerte zweieinhalb Jahre vor sich hin. Das hinterließ Spuren. »Zwischen den Sitzen stand das Gras so hoch«, sagt Geschäftsführerin Bader und zeigt mit den Händen einen Abstand von etwa 40 Zentimetern. Auch an anderen Stellen sei alles zugewuchert gewesen. »Wir mussten das Gelände buchstäblich urbar machen.«

Stammgäste hatten sich daran gewöhnt, dass es keinen Operettensommer mehr gab. Sie müssen nun erst wieder angelockt werden. Bei der dritten Vorstellung der Ende Juni gestarteten Saison blieben etwa 300 Plätze frei. Bader wäre schon sehr zufrieden, wenn dieses Jahr eine Auslastung der Platzkapazitäten von 80 Prozent erreicht wird. Im Vorverkauf sind knapp 60 Prozent der Tickets an den Mann oder die Frau gebracht.

Besonders dankbar ist Bader den Musikfreunden, die nach der Absage 2020 für ihre damals bereits gekauften Eintrittskarten nicht das Geld zurückverlangt haben, sondern sich auf die Zusicherung verließen, dass die Tickets für den ersten Sommer nach der Pandemie ihre Gültigkeit behalten. Rund 6300 Karten sind seinerzeit nicht umgetauscht worden. »Das hat uns sehr geholfen.« Wenn Bader jetzt Gäste sieht, die ihre alten Tickets von 2020 vorzeigen, bedankt sie sich persönlich bei ihnen.

Über den Berg ist der Operettensommer auf dem Bierer Berg damit aber noch lange nicht. Zum Beispiel hat sich ja das Coronavirus noch nicht gänzlich verabschiedet. Ein infizierter Darsteller ist bereits ausgefallen, es gab darüber hinaus weitere Krankheitsfälle.

Bei der dritten Vorstellung kommt der zweite Regieassistent 35 Minuten vor Beginn auf den Chefdirigenten Jan Michael Horstmann zu, winkt ihn beiseite und flüstert ihm besorgt zu: »Jetzt haben wir ein ganz großes Problem.« Nachdem eine der Hauptrollen bereits zweimal neu besetzt werden musste, hat sich nun zu allem Überfluss kurzfristig ein weiterer Darsteller krankgemeldet. Schließlich schlüpft der zweite Regieassistent selbst in ein Kostüm und vertritt den Kollegen. Gar nicht dafür ausgebildet, tanzt er sogar tapfer in der großen Schlussszene mit, orientiert sich dabei aus dem Augenwinkel am Nebenmann, um jeweils die richtige Bewegung mitzumachen – und bekommt für seinen Einsatz einen Extra-Applaus.

Nach über zwei Stunden Vorstellung, eine Pause eingerechnet, applaudiert um 18.12 Uhr das Publikum, und in dem rechts hinter der Bühne platzierten Orchestergraben applaudiert Chefdirigent Horstmann seinen Musikern. Das Publikum ist begeistert. Es hat die Melodien schon bei der Overtüre mitgeklatscht und bei den lustigen Szenen viel gelacht. Auch Kommunalpolitikerin Ribbentrop strahlt – so wie auch die Sonne, die haargenau für die Aufführung hinter den Regenwolken hervorkam.

Ribbentrop hat nach der Premiere »Die lustige Witwe« nun bereits zum zweiten Mal gesehen und sich kein bisschen gelangweilt. Sie wird im Juli noch mindestens zweimal kommen. Einmal mit Gästen aus der niedersächsischen Partnerstadt Garbsen und einmal zum Abschluss am 24. Juli mit ihren Eltern. 22 Vorstellungen stehen auf dem Programm und dazu eine gekürzte und ermäßigte Version für Kinder.

Ebenfalls zur Eröffnung gekommen ist Landtagspräsident Gunnar Schellenberger (CDU). Vorsitzende des Fördervereins ist Sachsen-Anhalts Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD). Doch die politische Unterstützung der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie lässt dennoch zu wünschen übrig. Immer mal wieder hat der eine oder andere Kreistagsabgeordnete nachgefragt, ob sich der Salzlandkreis ein Orchester in dieser Größe leisten kann und sollte. Das ging bis hin zu der Vorstellung, es abzuwickeln. Dabei hat es eine sehr lange Tradition, wurde 1948 als Orchester des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) gegründet und war bis zum Ende der DDR eine staatliche Institution.

Die Mittel der Stadt Schönebeck, die einst für ihr Traktorenwerk VEB Fortschritt Landmaschinen mit mehr als 7000 Beschäftigten bekannt war, sind begrenzt. Das Innenministerium mahnt die Kommune, sie gäbe zu viel Geld für sogenannte freiwillige Aufgaben aus. Kultur gilt als eine der freiwilligen Aufgaben, die bei notwendigen Kürzungen zuerst dran glauben müssen. Der Kurpark des ältesten deutschen Soleheilbads mit dem denkmalgeschützten Gradierwerk ist ein Schmuckstück, dessen Unterhaltung aber einiges kostet. An so einem Gradierwerk tropft salzhaltige Sole an Reisig herab. Der Wind weht einen Teil der Flüssigkeit weg, der Salzgehalt der Sole steigt. Das sparte einstmals Brennmaterial beim Salzsieden, später linderte es die Beschwerden von Lungenkranken. Auch das ist Geschichte, so wie das Traktorenwerk.

Doch der Operettensommer hat sich zum größten seiner Art in Deutschland gemausert. Anderswo registriert Hauptdarsteller Alexander Klinger ein Umschwenken auf Musicals und »dass man der Qualität der Operetten nicht mehr vertraut«. Klinger sagt: »Wer gute Operette hören will, muss nach Schönebeck kommen.« Teilweise reisen die Fans mit Reisebussen an, aus Sachsen oder sogar aus den Niederlanden. Für fatal hält es Klinger, wenn die Kommunalpolitik zwischen Pest und Cholera wählen muss: ob sie beim Sport kürzt, bei der Sozialarbeit oder bei der Kultur. Klinger ist 50 Jahre alt, stammt aus Wien und lebt noch heute dort. Er hat aber inzwischen auch »eine Bude« in Schönebeck, wie er sagt.

Wie es einen Österreicher in die ostdeutsche Provinz verschlagen hat? »Ich war 2004 das erste Mal beim Operettensommer und bin nicht mehr davon losgekommen«, erzählt Klinger. Nur drei Saisons habe er in den Jahren seitdem auslassen müssen. »Das lernt man lieben hier«, schwärmt er. »Das ist ein ganz eigenes Flair da oben auf dem Berg. Die Freude überträgt sich von uns auf das Publikum und wieder zurück.« Besonders gefreut hat Klinger, was eine Besucherin nach der Corona-Pause sagte: Jetzt wisse sie, was ihr die vergangenen zwei Jahre gefehlt habe. »Das ist ein wesentlicher Punkt, dass die Leute lachen können, Freude haben«, bemerkt der Künstler. Es ist seine Berufung, diese Freude zu bereiten.

Schönebecker Operettensommer, bis 24. Juli, Mi bis So jeweils 16 Uhr; Eintritt: 27 €, ermäßigt 25 €.

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