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  • Straßensozialarbeit in Neukölln

Es fehlt an allen Ecken

Straßensozialarbeit in Neukölln muss ausgebaut werden

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 6 Min.

»Berlin hat ein gutes Hilfesystem im Vergleich zum Rest der Bundesrepublik. Aber für Berlin und die große Anzahl von Menschen mit multiplen Problemlagen beinhaltet es dann doch zu wenig, und es befindet sich nicht immer da, wo man es braucht«, erklärt Sasa Djekic. Djekic ist Streetworker bei Drop Out, dem Straßensozialarbeitsprojekt des Berliner Vereins Gangway Straßensozialarbeit. Seit 2021 ist er im Neuköllner Team mit drei Kolleg*innen einer der wenigen, die auf den Straßen im südöstlich gelegenen Bezirk mit erwachsenen Wohnungs- und Obdachlosen arbeitet. Augenscheinlich nimmt die Zahl derjenigen zu, die sich an U- und S-Bahnhöfen, unter Brücken, vor Einkaufscentern, aber auch in öffentlichen Parks aufhalten. Oder besser: aufhalten müssen, wenn es keine Hilfe gibt, die ihre oft komplexen Problemlagen angemessen berücksichtigen kann.

»Unsere Aufgabe ist sehr klar definiert«, sagt Tabea Lenk: Vertrauen aufbauen zu denjenigen, die oft ebenjenes Vertrauen in Staat und Gesellschaft verloren haben. Jeden Tag drehen die Sozialarbeiter*innen ihre Runden, ausgehend von ihrem Büro in der Lahnstraße – zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, in der Regel über mehrere Stunden. Die Kapazitäten reichen nur für den Bereich innerhalb des Rings, bedauern sie. Den Bedarf des gesamten Bezirks können sie nicht abdecken. 308 Personen sind in der vereinseigenen Statistik für 2021 festgehalten, mit denen die Neuköllner Streetworker*innen bisher Kontakt hatten. 258 davon waren Männer, 48 Frauen, zwei diverse Menschen. 191 von ihnen sind Deutsche, 116 sind anderer Herkunft, viele davon aus Osteuropa. Der Großteil (236) lebt unmittelbar auf der Straße, die anderen sind auf die eine oder andere Art untergebracht, erklärt Djekic, zum Beispiel in Einrichtungen für betreutes Wohnen. Aber auch Gartenlauben sind dabei. »Die Altersspanne im Bezirk reicht von 18 bis über 80 Jahre«, erklärt Sasa Djekic. Den Überblick zu behalten sei dabei gar nicht so leicht, denn viele obdachlose Menschen pendeln durch die Berliner Bezirke, oft vor dem Hintergrund von Verdrängung durch bezirkliche oder private Maßnahmen. Dieses Vorgehen übe nicht nur auf die Menschen großen Druck aus, es torpediere auch die sozialarbeiterischen Angebote, sind sich Lenk und Djekic sicher.

Die Streetworker*innen suchen sie gezielt an den ihnen bekannten Orten auf, fragen aber auch bei zufälligen Begegnungen nach Problemen und Bedürfnissen. Ein halbes Dutzend »Haupthotspots« haben sie ausgemacht, knapp zehn weitere »Zusatzhotspots« kommen zwischen dem Volkspark Hasenheide, dem Landwehrkanal und entlang der Ringbahn hinzu. Manche Menschen begleiten sie zum Teil über lange Zeit, vermitteln mehrfach eine Unterbringung, erklärt Sasa Djekic. »Am Ende landen manche doch wieder auf der Straße, das ist zuweilen dramatisch.«

»Wir müssen auch ständig überlegen: Was machen wir denn jetzt?«, sagt Tabea Lenk, die vor ihrem Job in Berlin im baden-württembergischen Freiburg gelebt und gearbeitet hat. Man müsse nicht nur die verschiedenen Einrichtungen, sondern auch gesetzliche Verordnungen kennen, in denen der Anspruch von Menschen auf Unterstützung festgelegt ist. Lenk und Djekic sind sich einig, dass die Corona-Pandemie nicht wenigen obdachlosen Menschen in der Hauptstadt – neben vielen bitteren Einschränkungen – auch eine gute Erfahrung beschert hat: die 24/7-Unterkünfte, die in den zwei vergangenen Jahren eingerichtet wurden.

Im letzten Winter waren es offiziell 1200 Plätze, an denen sich obdachlose Menschen dauerhaft aufhalten konnten. Aber nur 200 von ihnen standen schlussendlich auch ganztägig zur Verfügung. So mussten die anderen Gäste, wie bisher in der klassischen Kältehilfe die Notunterkünfte auch, am Morgen wieder verlassen, um den Tag mit wenigen Aufwärmmöglichkeiten bei niedrigen Temperaturen auf der Straße zu verbringen. Zumal Tagesstätten und öffentliche Gebäude pandemiebedingt nur beschränkt zu nutzen waren. »Die Situation hat sich bei vielen merklich verbessert, allein weil sie einfach mal eine Tür hinter sich schließen und Ruhe finden konnten«, sagt Djekic. Im Hinblick auf die derzeitige Energiekrise wird sich diese Situation im kommenden Winter deutlich verschärfen, befürchten die Gangway-Mitarbeiter*innen.

Weil Drop Out überbezirklich arbeitet, wissen die Sozialarbeiter*innen auch, dass in jedem Bezirk eine andere Problematik herrscht. So kämen EU-Bürger*innen aus Osteuropa oft wegen prekärer Jobs in die Hauptstadt und landen meist im Berliner Baugewerbe. In häufig ausbeuterischen Verhältnissen gibt man ihnen während des Jobs möglicherweise eine Unterkunft, aber ist der Job beendet, ist diese auch wieder weg. Sind es in Kreuzberg mehr Geflüchtete, die auf der Straße leben müssen, sind in Charlottenburg, vor allem rund um den Bahnhof Zoo diejenigen anzutreffen, die sich in multiplen, nur schwer aufzulösenden Problemlagen befinden. Hier wie in Gesamtberlin und damit auch in Neukölln nimmt die Zahl derjenigen zu, die mit Suchtproblematiken leben, auf die die vorhandenen Berliner Einrichtungen nicht eingerichtet sind. In jedem Fall fehlen mehr bedarfsgerechte Angebote. »Es gibt keine suchtakzeptierenden Einrichtungen, aber auch zu wenige für Menschen mit Haustieren, zu wenige für Menschen, die nicht allein auf der Straße leben«, zählt Tabea Lenk die Lücken auf, die ihrer Ansicht nach im System bestehen. Drop Out führt viele Rundgänge gemeinsam mit dem Verein Fixpunkt durch, bei denen der Fokus auf Suchtberatung und Gesundheitsversorgung liegt.

Lenk lobt auch die Soziale Wohnhilfe in Neukölln, die den Streetworker*innen oft schnell und gezielt zur Seite stehe, um Menschen unterzubringen. Das sei längst nicht in allen Bezirken so. Auch die Wärmestube in der Weisestraße, betrieben von der Diakonie, sei eine gute Sache, zumal das Angebot ausgebaut werden soll. Das Gesamtfazit fällt allerdings deutlich bescheidener aus. »Neukölln ist für die Zahl der obdachlosen Menschen, die sich hier aufhalten, miserabel aufgestellt«, fasst Tabea Lenk zusammen. Es müssten dringend mehr niedrigschwellige Beratungsangebote geschaffen werden – vor allem für jene, die keinen deutschen Pass haben und psychisch und körperlich nicht in der Lage sind, ihre Situation zu verändern. Und das werden aktuell immer mehr.

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