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Vater, Sohn und der Faschismus
Die ambivalente Lebensgeschichte des Witzbildzeichners e. o. plauen. In Plauen wird sie aufgearbeitet
Namen tragen sie nicht, die Bezeichnung »Vater und Sohn« ist ausreichend. Der rundliche Mann mit dem markanten Schnauzbart und der gleich seinem Vater gewitzte Junge sind ein deutscher Klassiker der Witzbildgeschichten. Eher wenig bekannt ist aber die Biografie ihres Schöpfers, der sich zuerst gegen die Nazis und dann in ihren Dienst stellte. Im sächsischen Plauen wird das Andenken an den Zeichner, der sich nach seiner Heimatstadt benannte, hochgehalten.
Dabei ist die Ausgangslage etwas vertrackt, denn gerade im Osten ist der Zeichner e. o. plauen offenbar wenig bekannt. »In den alten Bundesländern waren ›Vater und Sohn‹ mehr oder weniger durchgängig bekannt und sogar Schulstoff«, sagt Iris Haist. »In den neuen Bundesländern eher nicht.« Haist ist »klassische Kunsthistorikerin«, wie sie selbst sagt, und seit 2021 Vorständin der Stiftung »Erich Ohser – e. o. plauen«, und damit auch Leiterin des Museums »Galerie e. o. plauen«.
Erich Ohser, der unter dem Pseudonym e. o. plauen berühmt wurde, war für Haist ein »Wegbereiter des Comics«. Seine Humorserie »Vater und Sohn« wies zwar noch keine Sprechblasen auf, aber hin und wieder formale Innovationen in der Bildsprache.
Der 1903 geborene Ohser fiel schon während seiner Schlosserlehre in der damals bedeutsamen Industriestadt Plauen mit seiner zeichnerischen Begabung auf, später studierte er in Leipzig Buch- und Presseillustration. Bald illustrierte er etwa Zeitungsartikel des befreundeten Schriftstellers Erich Kästner. Die beiden gingen dann nach Berlin, wo Ohser für »eher SPD-nahe Zeitungen«, wie Haist sagt, Karikaturen anfertigte. Die richteten sich mehrmals gegen die erstarkende NSDAP, auch gegen Hitler persönlich. In Haists Museum sind einige zu sehen.
1934 wurde Ohser die Aufnahme in die Reichspressekammer verweigert, was Berufsverbot bedeutete. Dann schrieb aber eine große Zeitung einen Wettbewerb für einen neuen Comicstrip aus, und Ohser bewarb sich mit den extra dafür erfundenen Figuren »Vater und Sohn«. »Das hat den Redakteur so umgehauen, dass er gesagt hat: Das will ich haben«, erzählt Iris Haist. »Dann wurde es der Reichspressekammer ohne Namen des Autors vorgelegt, und die mussten lachen.« Ohser bekam den Zuschlag für die neue Serie, musste sie aber unter Pseudonym veröffentlichen. Ab da hieß er e. o. plauen. Und wurde zu einer Berühmtheit.
»›Vater und Sohn‹ waren so bekannt, dass es schon in den 30er Jahren schauspielerische Umsetzungen ihrer Geschichten für Bühnen gab«, hält Iris Haist fest. »Und sie wurden natürlich auch auf Postkarten gedruckt. Auch für Werbung wurden die Figuren verwendet.« Sogar das staatliche Winterhilfswerk nutzte Vater und Sohn und deren Schöpfer für Spendenwerbung. Die Berühmtheit der Figuren wurde von Ohser selbst aufgespießt, berichtet Haist. »Die vorletzte erschienene Geschichte zeigt Vater und Sohn, wie sie auf der Straße laufen und überall Vater- und Sohn-Figuren begegnen oder Menschen mit Vater- und Sohn-Masken. Und es wird ihnen zu viel.« Es gab jedoch noch weitere Gründe, dass der Autor die wöchentliche Serie 1937 nach nur drei Jahren einstellte.
Ab 1941 zeichnete Ohser für die Wochenzeitung »Das Reich« und illustrierte Kriegspropaganda, obwohl er den Krieg ablehnte. »Was wir aber wissen, ist, dass er nie antisemitisch gezeichnet hat«, betont Haist. Nachdem der Künstler 1944 wegen regimekritischer Äußerungen denunziert worden war, beging er in der Untersuchungshaft Suizid, in der Befürchtung, von den Nazis zum Tode verurteilt zu werden.
Haist vermutet, dass Ohser aufgrund seiner Tätigkeit für die Nazis in der DDR nicht bekannt gemacht wurde. Erst 1993 gründete sich die e.o.plauen-Gesellschaft in Plauen, wo auch eine Kunstgalerie nach ihm benannt wurde. Die Stadt finanzierte den Kauf seines Nachlasses, der nun von der Stiftung gepflegt wird. Die Gesellschaft vergibt jährlich, ebenfalls mit Unterstützung der Stadt, einen auch überregional beachteten Karikaturpreis. Seit 2010 existiert die »Galerie e. o. plauen« mit regelmäßig wechselnden Ausstellungen zum Künstler. Heute wirbt die Stadt – die dieses Jahr übrigens ihren 900. Geburtstag feiert – mit dem Zeichner. In der Innenstadt stehen die Figuren von Vater und Sohn unterschiedlich gestaltet vor einigen Läden.
Wie kam es zu dieser Ambivalenz eines Karikaturisten, der für total gegensätzliche politische Medien arbeitete? »Dafür, dass er so viel für verschiedene politische Richtungen gezeichnet hat, war er selbst eher unpolitisch«, vermutet Haist. Er sei nie in einer Partei gewesen, nicht einmal in einer Gewerkschaft. »Ohser war in erster Linie Zeichner«, führt sie aus. Er habe viel getan, um seiner Leidenschaft nachgehen zu dürfen. Anforderungen des Nazi-Regimes erfüllte er nur widerwillig.
Zu den materiellen Zwängen, in einer Diktatur von Pressezeichnungen leben zu müssen, kam ein weiterer Grund für sein Mittun: »Erich Ohser konnte nur Deutsch.« Eine Auswanderung hätte also ökonomische Unwägbarkeiten mit sich gebracht, meint Haist. »Und Sie müssen bedenken, dass er auch schwerhörig war«, ergänzt die Stiftungsvorständin. »Es wäre also eine Doppelbelastung, in ein Land zu kommen, in dem er die Leute erst mal sprachlich und dann auch rein akustisch nicht richtig versteht.«
Haist beharrt aber auch darauf, dass man Ohser durchaus kritisch sehen kann und muss. Er habe nämlich mehr getan, als notwendig war: »Man kann ihn hauptsächlich dafür kritisieren, dass er sehr viel für ›Das Reich‹ gezeichnet hat. Er hat so viel für sie gezeichnet, dass er sich sogar ein Auto leisten konnte.« Der Schöpfer von »Vater und Sohn« kam unter den Nazis mit politischen Zeichnungen zu Wohlstand.
Das mindert nichts an der Qualität seiner Zeichnungen, die im Plauener Museum zu sehen sind. Die bis zum 9. Oktober laufende aktuelle Ausstellung widmet sich der Beziehung des Künstlers zu seiner Heimatstadt. Der Leipziger Cartoonist Philipp Sturm hat sie gesehen und Gefallen daran gefunden: »Die Bandbreite, die hier gezeigt wird, ist beeindruckend – von ganz naturalistischen Zeichnungen, Landschaftszeichnungen bis hin zu Cartoons mit einem sehr starken Strich und fast comicartigen Strips.«
Sturm hat die Ausstellung mit dem Hallenser Illustrator Thomas Leibe besucht, der auch für das Satiremagazin »Eulenspiegel« arbeitet. »Ohser hat einen wunderbar lebendigen Strich«, sagt Leibe. »Ich habe das nie gelernt, so einen lockeren Strich. Ich bewundere das.« Da in der Ausstellung auch Entwürfe zu sehen sind, kann ein Profi den Arbeitsprozess von Ohser hier nachvollziehen. Es gebe keinen großen Unterschied zwischen Skizze und fertigem Werk, bemerkt Leibe. »Gefühlt wohnt das bei ihm alles im Handgelenk.« Ohser habe die Bilder nicht mit detailliert konstruierten Vorzeichnungen vorbereitet.
Für die beiden Zeichner, die nicht allzu weit entfernt von Plauen leben, war die Ausstellung offenbar eine Entdeckung. Und es gibt noch viel zu erforschen. »Die Grundlagen wurden in den letzten zwölf Jahren von Elke Schulze gelegt, die hier das Ganze aufgebaut hat«, sagt Iris Haist. Ihre in diesem Jahr gestorbene Vorgängerin hat auch eine Biografie über den Zeichner verfasst. »Damals war das noch ein bisschen Neuland«, sagt Haist. Näher zu untersuchen wäre beispielsweise Ohsers Beziehung zu Erich Kästner. Immerhin: Unter anderem zu diesem Thema habe sie im ersten Jahr ihrer Amtszeit schon vier Rechercheanfragen von Filmprojekten erhalten.
Galerie e.o. plauen im Erich-Ohser-Haus,
Nobelstraße 7, 08523 Plauen,
geöffnet Di. bis So. und an Feiertagen 11–17 Uhr
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