Der lange Schatten des Unrechts

Indigene Gruppen in Kanada erwarten Entschuldigung des Papstes für Verbrechen der katholischen Kirche

  • Jan Tölva
  • Lesedauer: 4 Min.
Bereits unmittelbar nach seiner Ankunft auf dem Airport der Großstadt Edmonton traf Franziskus am Sonntag mit Vertreterinnen und Vertretern der First Nations Kanadas zusammen.
Bereits unmittelbar nach seiner Ankunft auf dem Airport der Großstadt Edmonton traf Franziskus am Sonntag mit Vertreterinnen und Vertretern der First Nations Kanadas zusammen.

Als »kultureller Genozid« wird das bezeichnet, was die Betreiber der sogenannten Residential Schools in Kanada im Auftrag des Staates an den Kindern der indigenen Bevölkerung verübten. Umerziehung und Auslöschung der Identität war die Agenda dieser Internate nicht nur in diesem Jahrhundert, sondern lange zuvor. Dass dort viele Kinder an Folter, Vernachlässigung und Hunger starben, war längst bekannt – schon bevor im vergangenen Jahr anonyme Gräber von mehr als 1300 Kindern auf den Grundstücken solcher Schulen gefunden wurden.

Das Leid der etwa 150 000 Mädchen und Jungen, die seit 1874 Demütigung, Vergewaltigungen, Schläge, Quälereien und faktische Isolationshaft in den Einrichtungen überlebt haben, ist ebenso wenig aufgearbeitet wie das der Eltern, denen ihre Kinder entrissen wurden. Auch wenn der kanadische Staat und die Bischöfe des Landes die Betroffenen mittlerweile um Verzeihung gebeten haben und eine Wahrheits- und Versöhnungskommission eingerichtet wurde.

Jetzt will Papst Franziskus sich auf einer sechstägigen »Pilgerreise der Buße« durch Kanada diesem Kapitel der Vergangenheit seiner Kirche stellen. Er will Vertreter der indigenen Völker des Landes und Betroffene treffen und es wird erwartet, dass er öffentlich für die Verbrechen, die Vertreter seiner Organisation begangen haben, um Vergebung bitten wird. Als Büßer werde er zu den Menschen reisen, um zu einem »Weg der Heilung und Versöhnung beizutragen«, hatte Franziskus vor einer Woche in Rom angekündigt. Der Besuch des 85-Jährigen ist der erste Besuch eines Papstes in dem Land seit 20 Jahren,

Sein Programm hat am Sonntagabend mit ersten Gesprächen in Edmonton begonnen, der Hauptstadt der Provinz Alberta. Zwei geplante Reisen hatte Franziskus in diesem Jahr aufgrund gesundheitlicher Probleme bereits absagen müssen. Bei seiner Ankunft in Edmonton saß er wie fast immer dieser Tage im Rollstuhl. Dass er dennoch nach Kanada gereist ist, kann als Zeichen dafür gewertet werden, wie wichtig ihm diese Visite ist.

Mehr als 40 Prozent der 37 Millionen Kanadier sind Katholiken. Die römisch-katholische Kirche ist damit die größte Glaubensgemeinschaft des Landes. Vor allem im französischsprachigen Landesteil Quebec, wo ihr fast drei Viertel der Menschen angehören, ist ihr Einfluss noch immer groß. Dort, in der Provinzhauptstadt Ville de Québec, und in Edmonton wird Franziskus in dieser Woche die meiste Zeit verbringen und auch jeweils eine Messe abhalten. Der wichtigere Teil seiner Reise wird jedoch abseits des Altars und vielfach nicht öffentlich stattfinden. In beiden Städten wird der Papst in »Begegnungen«, wie der Vatikan es nennt, mit Angehörigen der First Nations, Métis und Inuit, zusammentreffen. Von Edmonton aus wird er zudem die Cree-Community Maskwacis besuchen und für den Rückweg nach Rom ist ein dreistündiger Zwischenstopp in Iqaluit, der Hautstadt des überwiegend von Inuit bewohnten Territoriums Nunavut, geplant.

Fast drei Viertel der 139 über das Land verteilten Residential Schools wurden von der katholischen Kirche betrieben. Die letzte in Rankin Inlet in Nunavut schloss erst 1997. Im Abschlussbericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission von 2015 ist von schweren Menschenrechtsverletzungen, von Gewalt und medizinischen Experimenten, zum Beispiel in Form gezielter Mangelernährung, die Rede. Von 3000 Kindern weiß man, dass sie in den Einrichtungen ums Leben gekommen sind. Murray Sinclair, Vorsitzender der Kommission, geht davon aus, dass bis zu 10 000 Kinder in den Schulen starben.

Auch sexualisierte Gewalt war offenbar fester Bestandteil des Alltags in den Schulen. Über 30 000 Fälle hat die Kommission dokumentiert. Dabei handelt es sich um jene, bei denen die Opfer während der Nachforschungen noch lebten. Die Dunkelziffer dürfte daher erheblich höher liegen. 2014 wurde der belgische Priester Eric Dejaeger zu 19 Jahren Haft verurteilt. Ein Gericht hatte ihn in 32 Fällen sexuellen Missbrauchs für schuldig befunden, begangen von 1978 bis 1982 in Igloolik in Nunavut. Dejaeger war als Mitglied des Ordens »Oblaten der Unbefleckten Jungfrau Maria« nach Kanada gekommen – wie der Franzose Johannes Rivoire, dem sexueller Missbrauch in drei Fällen vorgeworfen wird. Rivoire war ebenfalls in Nunavut tätig, in Rankin Island und Naujaat. Er lebt in Strasbourg in einem Haus des Ordens. Die Ermittlungen gegen ihn liegen auf Eis.

Bei privaten Audienzen im März in Rom hat Franziskus sich bereits persönlich bei Opfern entschuldigt. Er hat dabei jedoch von den Taten »verschiedener Katholiken« gesprochen, nicht aber von einer Schuld der katholischen Kirche. Aus Sicht der Betroffenen, ihrer Nachkommen, aber auch der indigenen Communitys insgesamt ist das ein erheblicher Unterschied. Sie werden sehr genau auf die Worte des Papstes hören.

2015 hatte Franziskus in Bolivien von »schweren Sünden« der katholischen Kirche im Zuge der Kolonialisierung gesprochen. Sollte er in Kanada nicht mindestens ebenso starke Worte finden, die über die Schuld einzelner hinausweisen, wird das wohl nicht ausreichen. Erst recht nicht, wenn das Schuldbekenntnis nicht von tätiger Buße in Form von Entschädigungen begleitet ist.

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