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Politik der Bulldozer
Premierminister Modi setzt in Indien weiter auf Eskalation. Jetzt will er das Militär reformieren
Es ist ein früher Mittwochmorgen in einer muslimisch geprägten Nachbarschaft der Millionenstadt Delhi. Laut ist es, unheimlich laut. Das Gehupe des Berufsverkehrs wird nur noch übertönt vom Geschrei am Rand der Straße. Knirschend rollen ein Bagger und ein Bulldozer an, die Stadtteilverwaltung hat sie geschickt, um die Häuser am Straßenrand plattzumachen. Weil sie illegal errichtet seien, wie die Verwaltung sagt. Das Schreien der Anwohner*innen hilft nicht, Mauer für Mauer arbeiten sich die Baugeräte durch die Ziegelwände und das Wellblech.
»Es stimmt schon, dass die Häuser ohne Genehmigung gebaut wurden«, erklärt Dinesh Varshney, Sekretär der Kommunistischen Partei Indiens (CPI), der ältesten von mehreren linken Parteien, die in Indien gegen die Politik der Bulldozer mobilmachen. »Allerdings ist das bei den meisten Häusern in Delhi so.« In Wirklichkeit gehe es nicht darum, ob Häuser mit oder ohne Genehmigung errichtet worden seien, sondern wer darin wohnt, ergänzt er. »Es trifft immer arme Familien und meistens Muslime.« Die Bulldozer-Politik, wie das Vorgehen von Kritiker*innen genannt wird, ist mehr als Gentrifizierung, sie ist Teil der hindunationalistischen Mobilmachung der Regierung von Narendra Modi und seiner rechtsextremen Bharatiya Janata Partei (BJP).
»Modi versucht uns mit seinem Vorgehen zu spalten, in Hindus, Muslime und andere Gruppen«, erklärt Varshney. »Wir werden es nur schaffen, diese Politik zu stoppen, wenn wir die Spaltung überwinden und alle Arbeiter*innen zusammenbringen.« Und theoretisch gibt es dafür Potenzial, denn woran es in Indien nicht mangelt, ist sozialer Sprengstoff. In den letzten Jahren rollten mehrere große Streikwellen durchs Land. Es waren die zahlenmäßig größten Generalstreiks der Menschheitsgeschichte. Neben den Arbeiter*innen, von denen die Mehrheit nicht gewerkschaftlich organisiert ist, weil die Gewerkschaften nur Leute mit Arbeitsvertrag vertreten, protestierten immer wieder auch Bauern. Die Kisan-Bewegung (Kisan ist Hindi und bedeutet Bauer) schaffte es vor einigen Monaten, dass die Modi-Regierung ihre geplante Landwirtschaftsreform zurücknehmen musste.
Mit der Reform wollte die Regierung die Märkte, über die indische Bauern ihre Waren verkaufen, deregulieren. Die Preise für Reis, Weizen und andere Waren unterliegen in Indien staatlicher Kontrolle. Genau das wollte die Modi-Regierung aber ändern. Viele kleine Bauern hätten den ungebremsten Konkurrenzkampf mit den großen Agrarkonzernen wohl nicht überlebt, so wie das vor 15 Jahren bereits in Bihar der Fall war, einem Bundesstaat im Nordosten des Landes: Dort wurden die staatlichen Großmärkte abgeschafft, was die Existenzen zahlreicher Familien zerstörte.
Die Einzigen, die von der Liberalisierung profitieren, sind die großen Konzerne. Es sind Unternehmer wie Mukesh Ambani, der bereits Supermarktketten und Telekommunikationsunternehmen besitzt, die auf eine Liberalisierung der Vertragslandwirtschaft schielen. Ein weiterer Akteur ist der multinationale Adani-Konzern, der in den letzten Jahren immer wieder in der Kritik stand, weil er an der Kohleförderung – etwa in Australien – festhält.
Seitdem Modi die Landwirtschaftsreform zurückgenommen hat, ist es etwas ruhiger um die indischen Bauern geworden, die mit ihren Straßenblockaden immer wieder das Land lahmgelegt hatten. Doch kaum sind die Proteste abgeflacht, sorgt eine geplante Reform des Militärs für neuen Ärger. Mit der als Agnipath Scheme bezeichneten Reform versucht die Regierung Modi, das Militär zu modernisieren. Agnipath bedeutet übersetzt Feuerpfad, und vermutlich ist die Mischung aus militaristischer Rhetorik und Neoliberalismus, die in der Militärreform zum Tragen kommt, ein sehr gutes Sinnbild für Modis Vorgehen. Es ist eine Politik, die immer wieder auch massiven Widerstand hervorruft: Aus Protest gegen die Reform wurden in den letzten Wochen immer wieder Bahnwaggons in Brand gesteckt, laut indischem Verkehrsministerium fielen 2000 Züge aus, der Schaden wird von der Regierung auf mehr als 2,6 Milliarden Rupien geschätzt, das sind umgerechnet rund 30 Millionen Dollar.
»In Indien ist das Militär für viele junge Menschen die einzige Möglichkeit auf ein Einkommen«, erklärt Dhirendra Sharma, ein Genosse von Dinesh Varshney, ebenfalls Kader der Kommunistischen Partei Indiens in Delhi, die heftige Reaktion. Geht es nach der Regierung, dann sollen junge Rekrut*innen künftig nur noch für vier Jahre einen Vertrag in der Armee bekommen. Viele Menschen verlieren damit die Aussicht auf lebenslange Karrieren im Militär und damit auf kostenlose Krankenversicherung und Pensionen. Der Regierung geht es aber nicht etwa darum, weniger Geld auszugeben, sondern Geld für die Modernisierung des Militärs freizumachen. Denn was die Ausrüstung der Armee betrifft, hinkt Indien den Opponenten Pakistan und China hinterher.
Außerdem sollen die Streitkräfte durch die Maßnahme verjüngt werden. Der neue Plan sieht vor, dass von jedem Jahrgang in Zukunft nur noch 25 Prozent länger als vier Jahre im Militärdienst bleiben. Kritiker*innen befürchten dadurch eine steigende Arbeitslosigkeit vor allem unter jungen Leuten. Laut offiziellen Angaben liegt die Quote derzeit bei sieben Prozent, tatsächlich dürfte sie aber höher sein. In Zukunft sollten Rekrut*innen in der Regel nur noch bis zum 21. Lebensjahr dienen. Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste wurde die Altersgrenze jetzt auf 23 Jahre angehoben – allerdings nur für eine begrenzte Zeit von zwei Jahren. Auf die Proteste reagierte die Regierung wenig verständnisvoll, sie wurden von der Polizei mit Schlagstöcken und Tränengas auseinandergetrieben, Hunderte Menschen wurden verhaftet, eine Person starb.
»Es fehlt den Protesten oft an einer langfristigen Perspektive, weil viele junge Leute sich nicht organisieren wollen«, erklärt Kommunist Sharma. Dass dies so sei, liege auch an der Spaltung der Linken, die sich manchmal selbst im Weg stehe, fügt er hinzu und wirkt dabei ein wenig bedrückt, aber auch belustigt. Wie auch Varshney ist Sharma bereits seit Jahrzehnten in der Kommunistischen Partei aktiv und hat auch die Spaltungen miterlebt, die bis heute die indische Linke schwächen. Er streicht über seinen grauen Bart und sagt dann: »Eigentlich sind wir zu alt, die Jungen müssten ran.«
Die Spaltungen der Linken gehen vor allem auf einen Machtkampf zwischen der Sowjetunion und China zurück. Der Streit zwischen Moskau und Peking begann bereits in den späten 50er Jahren und erreichte rund zehn Jahre später seinen Höhepunkt. Die CPI orientierte sich stark an der Linie Moskaus. Deshalb mobilisierte sie 1969 nicht gegen den indisch-chinesischen Grenzkrieg, in dem die Sowjetunion Partei für Indien ergriff. Das machte viele CPI-Mitglieder wütend, und ein großer Teil der Basis, der sich im Gegensatz zur Parteiführung eher am sozialistischen China orientiert, verließ die Partei, um sich der CPI (M) anzuschließen – das M steht für marxistisch.
Einige Jahre später spaltete sich dann auch die CPI (M) an der Frage, ob man zu den Parlamentswahlen antreten solle oder nicht. Der explizit maoistische Teil der Partei wendete sich von ihr ab, um vor allem in den ländlichen Teilen im Osten Indiens den bewaffneten Kampf gegen die Regierung aufzunehmen. Die als Naxaliten bekannte Guerilla-Bewegung, die in den späten 60er Jahren entstand, ist im Osten des Landes auch heute noch im Untergrund aktiv. Sie verfügt in den Wäldern der östlichen Bundesstaaten über Tausende bewaffnete Kämpfer*innen und wird gerade von der armen Landbevölkerung unterstützt. Die zur Strömung der Naxaliten gehörende Partei CPI (ML) Liberation ist auch in den Städten Indiens aktiv.
Während die naxalitische Bewegung immer noch vor allem auf Aufstand und bewaffneten Kampf setzt, fokussieren sich CPI und CPI (M) neben der Unterstützung von Protesten und Streiks auch auf die Beteiligung an den Wahlen. Dabei arbeiten sie durchaus zusammen: Im Bundesstaat Kerala an der südwestlichen Küste Indiens führen die CPI und CPI (M) gemeinsam die Left Democratic Front an, die dort stärkste politische Kraft ist und die Regierung stellt. Dort konnte sie einige Verbesserungen im Arbeitsschutz und in der Gesundheitsversorgung durchsetzen, was nicht zuletzt dazu führte, dass der Bundesstaat die Coronakrise, der in Indien sehr viele Menschen zum Opfer fielen, besser durchstand als andere Bundesstaaten.
Trotzdem ist der Handlungsspielraum der linken Regierungskoalition Keralas begrenzt, sie wird immer wieder von der Modi-Regierung sabotiert. »Im ganzen Land müssen sich die Machtverhältnisse ändern«, kommentiert Dinesh Varshney. »Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.«
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