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- Straftaten gegen Gedenkstätten
Ahnungslos und oft untätig
Linke fordert Daten zu Angriffen auf NS-Gedenkstätten
Nachdem – noch immer – Unbekannte im vergangenen Monat erst sieben und dann zwei weitere sogenannte Gedenkbäume für Opfer des Nazi-Konzentrationslagers Buchenwald abgesägt hatten, war das Entsetzen europaweit groß. Auch weil die Gedenkstätte bei Weimar bereits mehrfach attackiert worden war. Während die Polizei routiniert eine Anzeige aufnahm, forderte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow: »Auf einen zerstörten Baum zwei neue. Auf jede feige Tat doppeltes Hinsehen.« Denn, so der Linkspolitiker weiter: »Wer solche feigen Taten begeht, ist geistig genauso unterwegs wie die Mörder in allen Konzentrationslagern.« Via Twitter rief er zu Spenden für die neuen Bäume auf und teilte mit, bei einer Neupflanzung dabei sein zu wollen.
Die zerstörten Bäume sollten an die deutschen Kommunisten Emil Carlebach, Otto Kipp, Erich Loch, Reinhold Lochmann und August Stötzel, den französischen Flugzeugkonstrukteur und Unternehmer Marcel Dassault sowie an die 1600 Kinder und Jugendlichen erinnern, die das zwischen 1937 und 1945 auf dem Ettersberg bei Weimar betriebene KZ nicht überlebten. Die Bäume gehörten zum Projekt »1000 Buchen« der Lebenshilfe, das im Weimarer Kulturstadtjahr 1999 angestoßen worden war. Entlang einer Route, auf der KZ-Häftlinge im April 1945 von der SS in Richtung des KZ Flossenbürg getrieben wurden, pflanzen seitdem Menschen gemeinsam Bäume an Straßen oder landwirtschaftlichen Wegen.
Immer wieder erhält die Gedenkstätte Buchenwald unerwünschten »Besuch«, der etwa Selfies vor dem Krematorium macht, oder im Winter auf Massengräbern rodelt. Das lässt sich oft als geschichtsvergessenes, respektloses Verhalten werten, doch es gibt – siehe Baumfällungen – auch sehr gezielte Angriffe offenkundig aus dem rechtsextremistischen Spektrum. Der Chef der Gedenkstätte Christian Wagner berichtete unlängst davon, dass »Besucher« Hakenkreuze in Hinweistafeln ritzen, die Hand zum Hitlergruß strecken oder vorsätzlich Führungen stören. In sozialen Medien kursieren Hass und Drohungen. Zwar bringe man so etwas zur Anzeige, doch die Dunkelziffer ist hoch und »am Ende müssen die Behörden entscheiden«. Leider habe man sehr häufig die Erfahrung machen müssen, »dass die Verfahren eingestellt wurden. Weil der Täter nicht ermittelt werden konnte oder weil öffentliches Interesse seitens der Staatsanwaltschaft nicht gesehen wurde.«
Buchenwald ist kein Einzelfall. Daher bat Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestag-Linksfraktion, die Bundesregierung um eine republikweite Sicht und einen entsprechenden Überblick zu den vergangenen fünf Jahren.
Die Antwort: In dem abgefragten Zeitraum seien 1514 politisch motivierte Straftaten gegen Gedenkstätten registriert worden. Es seien (Stand 26. Juli) 856 Sachbeschädigungen und 393 Fälle des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemeldet worden. Zwei Fälle seien Gewaltdelikte gewesen. In einem Fall habe es sich um Landfriedensbruch und in einem um eine Brandstiftung gehandelt. 931 der 1514 Straftaten seien politisch motivierter Kriminalität des rechten Spektrums und 376 dem linken Spektrum zuzuordnen. 29 Delikte, so zitiert die Regierung Behördenstatistiken, seien im Spektrum »Ausländische Ideologie« zu verorten, sieben seien religiös motiviert gewesen.
Was wie eine Antwort klingt, ist aber keine, denn Korte fragte nach Angriffen auf Gedenkstätten für Opfer der Nazidiktatur. Der Begriff NS-Gedenkstätte sei im Katalog zur Meldung politisch motivierter Straftaten »kein bundesweit abgestimmtes Angriffsziel«, beschied die Regierung. »Entsprechend ist eine automatisierte Auswertung nicht möglich.«
Daran sollte sich, so Korte, schleunigst etwas ändern, um die Möglichkeiten zur Verfolgung solcher Straftaten zu verbessern, denn: »Wer antifaschistische Gedenkorte angreift und schändet, der vergeht sich quasi ein zweites Mal an den Opfern.«
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