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Schutz der Kinder hat Vorrang

Bundesverfassungsgericht billigt Masernimpfpflicht für Kitakinder

Eltern dürfen ihre kleinen Kinder auch in Zukunft nur in eine Kita geben, wenn diese gegen Masern geimpft oder immun sind. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die vor rund zweieinhalb Jahren eingeführte Nachweispflicht und wies vier Klagen betroffener Familien ab. Die Grundrechtseingriffe seien nicht unerheblich, aber derzeit zumutbar, teilten die Karlsruher
Richterinnen und Richter am Donnerstag mit. Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass der Schutz besonders gefährdeter Menschen vorgeht, ist in ihren Augen gerechtfertigt.

Nach dem Masernschutzgesetz müssen Eltern seit dem 1. März 2020 nachweisen, dass ihre Kinder ab einem Alter von einem Jahr vor Eintritt in Kindergarten oder Schule die von der Ständigen Impfkommission (Stiko) empfohlenen Impfungen gegen Masern erhalten haben oder die Krankheit schon hatten. Dies gilt auch für Menschen, die bereits vier Wochen in einem Kinderheim betreut werden oder in einer Unterkunft für Geflüchtete untergebracht sind. Für Eltern bereits betreuter Kinder war noch bis 31. Juli 2022 Zeit, den Nachweis vorzulegen. Andernfalls droht der Ausschluss oder ein Bußgeld.

Die Eltern könnten sich dennoch gegen eine Impfung entscheiden, was aber mit Nachteilen verbunden ist. Die Verfassungsrichter geben hier dem Anliegen des Gesetzgebers Vorrang, ein besonders gewichtiges und dringliches Rechtsgut zu wahren: den Schutz vieler Menschen, die selbst nicht geimpft werden können. Das sind vor allem Säuglinge, Schwangere und Kranke mit Immunschwäche. Sie könnten laut Experten mitgeschützt werden, wenn flächendeckend mindestens 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Das ist in Deutschland noch nicht erreicht. Die Richter wiesen darauf hin, dass gerade Kitakinder besonders oft Kontakt zu Schwangeren und Babys hätten. Andererseits seien auch ungeimpfte Kinder nicht von jeglicher »vorschulischer Förderung außerhalb der Familie« ausgeschlossen. Hierfür könnten sich gleichgesinnte Familien privat zusammentun und etwa eine Tagesmutter beschäftigen.

Zu der Einführung dieser Impfpflicht, die auch für Beschäftigte in Schulen, Kitas, Krankenhäusern und Arztpraxen gilt, kam es auch deshalb, weil es in Deutschland in den letzten 20 Jahren immer wieder – im Mindestabstand von mindestens zwei Jahren – größere Ausbrüche gegeben hatte. So wurden 2002 genau 4656 Erkrankungen gemeldet, 2006 waren es 2308, 2011 wurden 1608 Fälle registriert. Die letzte derartige Häufung von Erkrankungen wurde 2015 mit insgesamt 2465 Erkrankungen beobachtet. In den anderen Jahren lag die Fallzahl im dreistelligen Bereich – bis auf die beiden Corona-Jahre: 2020 lag die Zahl bei 76, 2021 wurden nur noch zehn Erkrankungen gemeldet. Eine Meldepflicht für Masern gibt es in Deutschland erst seit 2001.

Für die Einführung der Impfpflicht dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben, dass sich in der WHO-Europaregion 2018 die Masernfälle verdreifacht hatten, bei damals gegenläufigem Trend in Deutschland. Am schwersten betroffen war in dem Jahr die Ukraine mit 53 000 Fällen, es folgten Serbien, Israel, Frankreich und Italien.

Fast alle der in der jüngeren Vergangenheit in Deutschland Erkrankten waren ungeimpft, zudem waren immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene betroffen. Deshalb empfahl die Stiko 2010 eine Impfung für nicht oder in der Kindheit nur einmal geimpfte, nach 1970 geborene Erwachsene. So sollten Immunitätslücken geschlossen werden.

Von der Impfpflicht ausgenommen sind alle, die vor 1971 geboren sind. Bei den Älteren geht man davon aus, dass sie höchstwahrscheinlich einmal die Masern hatten. Die Impfung wird in der Bundesrepublik seit 1974 empfohlen, in der DDR war sie seit 1970 für Kinder Pflicht.

Masern gehören zu den ansteckendsten Infektionskrankheiten beim Menschen: Ohne entsprechenden Immunschutz – also eine Impfung oder eine bereits durchgemachte Infektion – erkranken fast alle Menschen nach einem Kontakt mit dem Virus. Übertragen werden Masern von Mensch zu Mensch über eine Tröpfcheninfektion, etwa beim Niesen oder Sprechen. Masern sind bereits mehrere Tage vor Auftreten der ersten Krankheitszeichen ansteckend.

Insbesondere bei Kindern unter fünf Jahren und Erwachsenen über 20 Jahren können Masern zu schweren Komplikationen führen. Dazu gehören Mittelohrentzündungen, Lungenentzündungen und Durchfälle – sie werden meist durch zusätzliche Erreger ausgelöst. Seltener kommt es zu einer Gehirnentzündung oder Spätfolgen.

Selbst wenn Komplikationen und Spätfolgen in den meisten Fällen ausbleiben, ist der übliche Krankheitsverlauf nicht harmlos: Zehn bis zwölf Tage nach der Ansteckung stellen sich starke grippeähnliche Symptome ein, darunter hohes Fieber. An der Wangenschleimhaut entsteht ein weißlicher Belag, die sogenannten Koplik-Flecken. Einige Tage später kommt der typische Masernausschlag dazu und das Fieber steigt noch einmal. In der Regel beginnt der Ausschlag im Gesicht und hinter den Ohren und dehnt sich dann auf dem ganzen Körper aus. Nach drei bis vier Tagen ist die Plage vorbei, auch das Fieber geht zurück.

Eine lange nur vermutete Folge einer Maserninfektion wurde 2019 von US-Forschern bestätigt. Durch die Erkrankung sterben Teile des Immunsystems regelrecht ab, darunter B-Gedächtniszellen. Nachweisen ließ sich das in Blutproben nicht geimpfter Vier- bis 17-Jähriger vor und nach einer Infektion. Vor der Infektion gefundene Antikörper gegen verschiedene Erreger waren zwei Monate danach nicht mehr zu finden. Die Diversität des gesamten Antikörperbestands hatte zudem deutlich abgenommen. 2018 hatte eine britische Kohortenstudie bereits ergeben, dass fünf Jahre nach einer Maserninfektion noch zehn bis 15 Prozent der Kinder Zeichen einer Immunsupression zeigten.

In Deutschland stehen die Masern, unbenommen der Impfpflicht, auf dem Plan der empfohlenen Impfungen. Die erste sollte zwischen vollendetem elften und 14. Lebensmonat gegeben werden, aber frühestens mit neun Monaten. Die zweite Impfung erfolgt spätestens vor dem zweiten Geburtstag.

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