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Einigung in Sicht
Verhandlungen über Irans Atomprogramm stehen kurz vor Abschluss – Israel bleibt strikt dagegen
Im Iran verschlechtert sich die Lage rasant: Erstmals seit Jahren wurde ein Verurteilter öffentlich an einem Baukran gehängt; rigoros gehen die Behörden gegen Kritiker und Demonstranten vor. Präsident Ebrahim Raisi, dessen harte Hand hinter all dem steckt, regiert in wirtschaftlichen Fragen vor allem hilflos: Die Inflation ist massiv, die Armut steigt weiter. Und bedingt durch Hitze und Dürre fehlt es in vielen Landesteilen an Wasser.
In dieser Situation haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, US-Präsident Joe Biden und Großbritanniens Premier Boris Johnson am Montag zu einer Telefonkonferenz zusammengeschaltet, um über den Stand der Atomverhandlungen mit der iranischen Führung zu sprechen. Geredet worden sei auch über die »Eindämmung der destabilisierenden Aktivitäten« des Irans in der Region und über die Stärkung der Partner in der Region, teilte das Weiße Haus in Washington mit. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell hofft auf ein rasches Treffen zur Wiederbelebung des Atomabkommens von 2015. Er sagte am Montag, die Verhandlungen könnten womöglich diese Woche stattfinden, allerdings liege noch keine offizielle Antwort der USA auf den EU-Kompromissvorschlag vor. Teheran warf Washington vor, die Gespräche zu verschleppen.
Doch unter dem Strich scheint man kurz vor der Unterzeichnung einer Neuauflage des Abkommens zu stehen, das verhindern soll, dass der Iran eine Atombombe bauen kann. Seit dem Frühjahr 2021 laufen die Verhandlungen nun schon. Der eigentliche Inhalt ist größtenteils seit März fertig; die Europäische Union (EU), die vor allem als Vermittlerin auftritt, hatte Anfang August den Vertragsparteien den Vertragstext samt einiger Kompromissvorschläge zugesandt. Haupthindernis ist Irans Forderung nach Garantien, dass ein kommender US-Präsident das Abkommen nicht einfach wieder aufkündigt. Außerdem verlangte der Iran bislang, dass die Revolutionsgarden von US-Terrorlisten gestrichen werden; eine Forderung, von der man mittlerweile wieder abgerückt ist.
Doch auch in den westlichen Verhandlungsteams ist man nicht von den Zauberkräften des Abkommens überzeugt. Am Rande der offiziell letzten Verhandlungsrunde Anfang August brachten Diplomaten wiederholt die Frage auf, was wohl passiere, wenn der 83-jährige Ajatollah Ali Khamenei abtrete oder sterbe und wie viel Durchsetzungsvermögen er wohl gegen die hochgerüsteten Revolutionsgarden habe. Sie bilden schon seit Jahren nicht nur die militärische, sondern auch die wirtschaftliche Macht im Land; ein Großteil der Industrie befindet sich in ihrem Besitz. Zudem sind die Revolutionsgarden in vielen Ländern der Region aktiv als Unterstützer von militanten Gruppen.
Dennoch ist die übereinstimmende Haltung, dass es keine echte Alternative zu einem Abkommen gibt. Bislang verläuft der Konflikt zwischen Israel, dessen Regierung die Verhandlungen strikt ablehnt, und dem Iran niederschwellig: Immer wieder werden hochrangige Mitarbeiter des Atomprogramms getötet. Doch ein militärischer Angriff auf die Anlagen, falls sie überhaupt vollständig bekannt sind, würde wohl zu einem offenen Krieg führen, an dem sich möglicherweise auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) beteiligen würden.
Vor allem aber herrscht das Bewusstsein, dass keine Einigung auch nicht der bessere Deal ist. Das 2015 unterschriebene Vorgänger-Abkommen war 2018 von US-Präsident Donald Trump einseitig aufgekündigt worden; umfangreiche Sanktionen der USA waren die Folge. Die EU und ihre Mitgliedstaaten hielten damals zwar offiziell am Abkommen fest – doch so gut wie alle Konzerne zogen sich aus den gerade erst in Fahrt gekommenen Iran-Geschäften zurück.
Die neuen Sanktionen sorgten aber nicht für ein Einlenken – im Gegenteil: Die iranische Atomenergiebehörde begann, Uran anzureichern, und ist nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde mittlerweile bei 60 Prozent angekommen, so viel wie nie zuvor. Auch die Angriffe auf Mitarbeiter des Programms konnten dies nicht aufhalten. Zudem sucht die Regierung Raisi die Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin, der auch Vertragspartner ist. Drei Mal trafen sich die beiden bereits in diesem Jahr, zuletzt erhielt Raisi umfangreiche Investitionszusagen. Dass der Iran allein durch Sanktionen zum Einlenken gezwungen werden kann, ist damit höchst unwahrscheinlich geworden.
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