Ankara und Damaskus im Gespräch

Die Nachbarländer scheinen auf eine Verständigung zuzusteuern. Zukunft der syrischen Kurden ungewiss

  • Karin Leukefeld, Damaskus
  • Lesedauer: 5 Min.

Lange herrschte nach außen Funkstille. Jetzt sprächen die Türkei und Syrien auf Geheimdienstebene wieder miteinander, enthüllte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am Dienstag in einem TV-Interview mit dem türkischen Nachrichtensender Haber Global TV. Ankara habe zwar keine Vorbedingungen für die Wiederaufnahme eines Dialogs formuliert, allerdings müssten zukünftige Gespräche »konkrete Ziele« haben. Bereits Mitte August hatte Çavuşoğlu bei einer Botschafterkonferenz in Ankara erklärt, er habe kurz mit seinem syrischen Amtskollegen Feisal Mekdad gesprochen, als beide sich im Oktober in Belgrad getroffen hätten.

»Die Unversehrtheit der Grenzen, die territoriale Integrität und Frieden in unserem Nachbarland betreffen uns direkt.« Nur eine »starke Regierung« werde Syrien vor dem Auseinanderfallen schützen. Ein Ende der Feinseligkeiten sei auch deshalb wichtig, weil der Wiederaufbau in dem verwüsteten Land vorangehen müsse. Die Türkei werde Anstrengungen unternehmen, um einen anhaltenden Waffenstillstand zu erreichen.

Daraufhin organisierten Islamisten in Idlib, im Nordwesten Syriens, Protestumzüge, konnten sie doch seit Jahren der Unterstützung der Türkei sicher sein. Auch unweit der syrisch-türkischen Grenze nördlich von Aleppo gingen die Menschen auf die Straße und riefen: »Keine Versöhnung, die Revolution geht weiter.«

Das Außenministerium sah sich zu einer Klarstellung gezwungen. Die Solidarität mit dem syrischen Volk sei unverändert, erklärte Sprecher Tanju Bilgiç. Die Türkei habe sich von Anfang an für eine Lösung in Syrien eingesetzt, die den legitimen Wünschen des Volkes entspreche. Man habe den Waffenstillstand unterstützt, zur Bildung des Verfassungskomitees beigetragen und den Genfer Verhandlungsprozess vorangetrieben. Dabei habe man immer die Opposition und die UN-Sicherheitsratsresolution 2254 unterstützt.

Dass der türkische Außenminister Çavuşoğlu so offen und konkret über die Wiederaufnahme eines türkisch-syrischen Dialogs sprach, hat vor allem innenpolitische Ursachen. Im kommenden Jahr 2023 jährt sich die Gründung der Türkischen Republik zum 100. Mal und im Juni finden Parlamentswahlen statt. Ursprünglich hatte Recep Tayyip Erdoğan für das Jubeljahr 2023 ehrgeizige Ziele formuliert. Der Ausbau von Wirtschaft, Tourismus, Transport, Energie und Militär sollte vorangetrieben werden, die Türkei wollte zu den zehn stärksten Wirtschaftskräften aufsteigen.

Die Realität sieht jedoch eher düster aus. Schwindelerregende Inflation, Arbeitslosigkeit und eine ungelöste Situation entlang der Grenze zu Syrien mit mehr als 3,7 Millionen syrischen Geflüchteten haben die Bevölkerung aufgebracht und nutzen der Opposition.

Um eine drohende Wahlniederlage zu vermeiden, ist Erdoğan in die Rolle eines Friedensboten geschlüpft. Unterstützung dafür gibt es von Russland, das die türkische Vermittlung unter Beteiligung der Uno mit der Ukraine in Sachen Getreide und Waffenstillstandsverhandlungen sowie das Versöhnungsangebot in Richtung Damaskus wirtschaftlich belohnt. Die Ölimporte aus Russland haben sich im Vergleich zu 2021 für das laufende Jahr 2022 bereits verdoppelt; gleichzeitig profitiert die Türkei davon, dass es die von EU und USA verhängten einseitigen Wirtschaftssanktionen nicht mitträgt und den Handel mit Russland ausbauen konnte.

Mit einem Versöhnungsabkommen mit Syrien könnte Erdoğan innenpolitisch mehrfach punkten. Eine zu vereinbarende Rücksiedlung von rund 3,7 Millionen syrischen Flüchtlingen könnte die angespannte innenpolitische Lage beruhigen. Einflussreiche Militärs drängen zudem seit langem darauf, sich mit Syrien zu verständigen und die türkische Besatzung von Teilen Nordsyriens aufzuheben. Gleichzeitig haben Militärs und nationalistische Kreise wiederholt darauf gedrängt, mit Damaskus gemeinsam das kurdische Selbstverwaltungsprojekt Rojava zu bekämpfen.

Dafür könnte, ähnlich wie 1998, ein Abkommen »Adana Zwei« vereinbart werden. Syrien würde Ankara das Recht einräumen, in einem noch festzulegenden Raum auch grenzüberschreitend gegen Kurden der SDF, YPG und PKK vorzugehen. Unwahrscheinlich ist, dass die Türkei eine Eingliederung kurdischer Volksverteidigungseinheiten in die syrischen Streitkräfte akzeptieren wird.

Für die Syrischen Demokratischen Kräfte zeichnen sich angesichts neuer Verhandlungen zwischen Ankara und Damaskus wichtige Entscheidungen ab. Militärisch werden sich die Kurdischen Volksverteidigungseinheiten nicht gegen die Türkei, Syrien, Russland und Iran durchsetzen können. Der Verhandlungsweg mit Damaskus könnte eine Möglichkeit bieten, den bisher erreichten Status in Teilen zu erhalten.

Sowohl der Iran als auch die syrische Regierung haben sich zu den neuen Entwicklungen bisher nicht geäußert. In Damaskus begrüßte der Vorsitzende der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, George Jabbour, einen Dialog zwischen der Türkei und Syrien als überfällig. Die Bevölkerung sei müde und erwarte von der Politik eine Entwicklung, mit der sie ihr Leben wieder aufbauen könne. Bisher hätten im Astana-Format lediglich Russland, Iran und die Türkei über Syrien verhandelt. Es sei an der Zeit, dass Syrien einen gleichberechtigten Platz bei den Gesprächen einnehme. Zukünftige Verhandlungen sollten auch in Damaskus stattfinden, sagte Jabbour »nd«. Er rechne mit einem Zeitraum von zwölf bis 24 Monaten, um zu Ergebnissen zu kommen.

Unklar ist, wie sich die US-Regierung verhalten wird, die mit 900 Soldaten die syrischen Öl- und Gasvorkommen im Nordosten des Landes besetzt hält. Syrien wirft den USA die Plünderung der Ressourcen vor und fordert den Truppenabzug. In Washington äußerte sich das Außenministerium am Dienstag lediglich mit einer kurzen Erklärung zu neuer Gewalt in Hasakeh und Al-Bab, bei der mehr als 50 Menschen ums Leben gekommen waren. Alle Seiten müssten die Waffenstillstandslinien einhalten, sagte Außenamtssprecher Ned Price. Die USA blieben »entschlossen, mit aller Kraft die dauerhafte Niederlage von Isis zu sichern und eine politische Lösung für den Syrienkonflikt« zu erreichen. Unterdessen hat die US-Luftwaffe zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden Stellungen angeblich Iran-treue Milizen im Osten Syriens bombardiert. Dabei seien drei Milizenkämpfer getötet worden, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Donnerstag.

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