Konflikt um knappes Wasser

In Deutschland gibt es regionale Engpässe. Die Anpassungsstrategie lässt auf sich warten

Die Nidda ist ein Flüsschen in Hessen, das einem Hochmoor im Vogelsberg entspringt. Normalerweise plätschert sie fröhlich vor sich hin, bis sie nach 90 Kilometern in den Main mündet. Aktuell sieht es ganz anders aus: Wie der Zweckverband Naturpark Vulkanregion Vogelsberg vor wenigen Tagen mitteilte, ist die Nidda samt angrenzender Bäche zwischen Schotten und dem Niddastausee komplett ausgetrocknet. Die ökologischen Belastungen seien verheerend.

Eigentlich gehört der Vogelsberg zu den besonders wasserreichen Gegenden in Deutschland. Daher versorgt man auch Frankfurt am Main mit Trinkwasser. 1873 wurde erstmals das kostbare Nass über eine Quellwasserleitung in die Speicher der schnell wachsenden Metropole gepumpt. Seit den 1970er Jahren sorgt dies immer mal wieder für Protest von Bürgerinitiativen, die warnen, dass der Vogelsberg »totgepumpt« werde. Durch die Dürre in diesem Jahr hat sich der Wasserkonflikt deutlich zugespitzt, da auch der Grundwasserspiegel sinkt: Während zahlreiche Gemeinden am Vogelsberg bereits vor Wochen die Wasserentnahme stark reduziert haben, werden weiter große Mengen nach Frankfurt geliefert, wo dieses »in der Toilettenspülung landet«, so die Kritik. Mitte Juli transportierten Aktivisten bei einem Protestmarsch Trinkwasser aus Frankfurt in Flaschen zurück in den Vogelsberg.

Das Problem mit dem knappen Wasser ist auch anderswo spürbar. In vielen Gemeinden in Sachsen-Anhalt ist tagsüber das Abpumpen aus Brunnen untersagt, aus Thüringen melden Feuerwehren, sie hätten für den Fall von Flächenbränden kein Löschwasser, in Teilen Brandenburgs dürfen Gärten und Grünflächen nur noch zu bestimmten Tageszeiten gegossen werden. Pools sollen möglichst nicht mehr befüllt werden.

Das Problem beim Wasser ist die prozyklische Nutzung: Im Sommer, wenn durch Dürren und Hitze weniger vorhanden ist, steigt die Nachfrage von Privathaushalten, Landwirtschaft und Industrie an. Im Unterschied zu anderen Weltgegenden mit generellem Mangel geht es hierzulande eher um saisonale und regionale Versorgungsengpässe. Die werden durch den Klimawandel absehbar weiter verschärft: Steigen die Temperaturen, kommt wegen der Verdunstung weniger Wasser in Böden und im Grundwasser an. Zudem fällt Niederschlag wie am Wochenende vermehrt als Starkregen, den Böden weniger gut aufnehmen können.

Die Folgen sind längst aus dem Weltall zu beobachten: Das Global Institute for Water Security, das Daten der Satellitenmission GRACE nutzt, schätzte im Frühjahr 2022, dass Deutschland aus Gewässern und Böden in den vergangenen 20 Jahren Wasser von der Menge des Bodensees verloren hat. »Der Wasserrückgang in Deutschland beträgt etwa 2,5 Gigatonnen oder Kubikkilometer im Jahr«, sagt der wissenschaftliche Leiter des Projekts, der Hydrologe Jay Famiglietti. Deutschland gehöre damit zu den Regionen mit den weltweit höchsten Verlusten.

Hierbei handelt es sich um eine grobe Schätzung. Wie es um das Grundwasser genau bestellt ist, aus dem etwa drei Viertel des hiesigen Trinkwassers gewonnen werden, ist aktuell unbekannt. Das Umweltbundesamt (UBA) erhob zuletzt 2016 umfangreiche Daten dazu, Ende dieses Jahres steht die nächste Auswertung an, die auch die Folgen der Dürren der vergangenen Jahre ermitteln soll. Das Grundwasser dürfte gelitten haben, denn es »stammt ganz überwiegend aus Regenwasser, das durch den Boden und den Untergrund bis in die Grundwasserleiter sickert«, wie das UBA erläutert. Es trete dann in Quellen zu Tage und speise Bäche und Flüsse. Experten vermuten, dass der Nordosten besonders betroffen ist. Das Problem der sinkenden Mengen wird noch dadurch verschärft, dass die Qualität vor allem durch die »diffusen Einträge von Stickstoff und Pestiziden aus der Landwirtschaft« sowie durch Einträge aus Industrie und Verkehr gelitten habe, so das UBA.

Klar ist auch, dass der Wassernachschub von oben in diesem Jahr zu wünschen übrig lässt: Zwar sei der Winter 2021/22 überdurchschnittlich nass gewesen, wie es beim Deutschen Wetterdienst heißt. Doch bereits ab März war es zu trocken und zu sonnig, sodass die »Bodenfeuchte deutlich unter das Mittel sank«. Nach einer kurzen Entspannung im April begann im Mai eine »zunehmend tieferreichende Austrocknung der Böden«, die sich über den Sommer fortsetzte. »Die Böden zeigen in weiten Teilen Deutschlands eine extreme Trockenheit, die nicht nur der Landwirtschaft große Probleme bereitet«, erläutert Udo Busch, Agrarmeteorologe bei der Wetterbehörde.

Solche Probleme waren lange vorhergesagt worden von Klimaforschern. Doch wie bei den Themen Dürre, Waldbrände oder Überschwemmungen wurde auch hier die Frage der notwendigen Anpassung von der Bundespolitik, von Ländern und Kommunen beiseitegeschoben. Die Ampel hat immerhin eine von Umweltverbänden seit vielen Jahren geforderte Nationale Wasserstrategie angekündigt, die Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) bis Ende 2022 ausarbeiten will. Darin soll es um die Sicherung der Trinkwasserversorgung, um saubere Gewässer, die Anpassung der Infrastruktur an die Klimakrise sowie die Förderung von Schwammstädten gehen, die Regen besser auffangen und speichern können. »Auch in 30 Jahren soll es in Deutschland jederzeit und überall hochwertiges und bezahlbares Trinkwasser geben«, so die Ministerin.

Expertenempfehlungen für eine bessere Wasserversorgung und einen deutlich reduzierten Verbrauch gibt es im großen Umfang. Sie reichen von besseren Bewässerungs- und Speichertechniken ohne Nutzung von Trinkwasser über Lernen von Erfahrungen aus dem Mittelmeerraum bis hin zu Maßnahmen wie dem Kohle- und Atomausstieg sowie der Reduzierung des Fleischkonsums, die nicht nur das Klima schützen, sondern auch die Wasserressourcen schonen.

Konflikte wie in Frankfurt könnten sich häufen. »Bereits heute gibt es eine große Zahl von Fernwasserleitungen, mit denen urbane Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte versorgt werden«, sagt Claudia Pahl-Wostl, Professorin für Ressourcenmanagement am Institut für Geographie der Universität Osnabrück. »Deren Bedeutung wird zunehmen.« Daher sei es »wichtig, dass eine solche Umverteilung in eine überregionale – am besten nationale –, vorausschauende Strategie eingebettet« werde. Dabei gehe es etwa um Fragen nach der Priorisierung von Nutzungen in Zeiten von akutem Wassermangel oder nach Maßnahmen, wenn »vermeintlich wasserreichen Gebieten in zehn Jahren doch weniger Wasser zur Verfügung steht als erwartet«. Generell brauche es wieder eine Einsicht: »Wasser ist ein knappes Gut, mit dem man sorgsam umgehen muss.«

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