Schuldbekenntnis ohne Folgen

Jana Frielinghaus über betroffenes Reden und rassistisches Handeln deutscher Politik

Nun sind sie wieder vorbei, die Tage des Gedenkens. Und doch hält der rassistische Normalzustand mit Ausgrenzung von Migranten und Geflüchteten und Gewalt gegen sie auch 30 Jahre nach dem versuchten Mord an mindestens 120 Geflüchteten und Zuwanderern in Rostock-Lichtenhagen an. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei seinem Besuch in Rostock Ende vergangener Woche in bemerkenswerter Offenheit eine »große Mitverantwortung« der Politik für das Pogrom eingeräumt. Allerdings erwähnte er mit keinem Wort die geringen Strafen für nur einen Bruchteil der Täter von damals und die skandalöse Milde, die die deutsche Justiz damals und in zahllosen weiteren Fällen auch tödlicher rechter Gewalt walten ließ und lässt. Sie ist nichts anderes als eine Ermutigung für potenzielle Täter.

Auch die Verschärfungen des Asylrechts nach dem Rostocker Pogrom wie auch in den Jahrzehnten danach sprach Steinmeier nicht an. Die Abschiebungen betroffener Roma kamen in seiner Rede so wenig vor wie die zahlreichen Sinti und Roma, die in den Folgejahrzehnten nach Ex-Jugoslawien abgeschoben wurden, mit ihren hier geborenen und aufgewachsenen Kindern. Hätte er es mit dem Bekenntnis zur Verantwortung der Bundespolitik ernst gemeint, dann hätte er von der Schuld der Politik gegenüber diesen Menschen und so vielen anderen gesprochen, denen jegliche Integration verweigert wird, indem man ihnen nur den Status der Duldung gewährt, der sie in ständiger Angst vor dem Rauswurf aus diesem Land hält. Weil der Bundespräsident dies und so vieles andere nicht ansprach, ist sein allgemeines Eingeständnis einer »Mitverantwortung« so wohlfeil wie unehrlich.

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