Klimagerecht enteignen

Initiativen und Jugendverbände sehen die Vergesellschaftung als Bedingung für soziale Sanierungen

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.

Vergesellschaftung von Wohnraum gilt als eine Antwort auf die soziale Frage der Mieter*innenbewegung. Dagegen werden mit teuren Sanierungen eher Eigentümer*innen und Konzerne verbunden, die die Mieten erhöhen. Aber könnte beides auch sozial gerecht zusammengehen, die Vergesellschaftung gar als Mittel gegen Mieten- und Klimakrise dienen? So sehen das Vertreter*innen von Grüner Jugend und Jusos Berlin, von der Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen und der Plattform Movement Hub, die am Montagabend zur Podiumsdiskussion »Klimagerechtes, bezahlbares und selbstbestimmtes Wohnen für alle!« im Neuköllner Kiezhaus Refugio einluden. »Wir wollen, dass Mieter*innen mit darüber bestimmen können, was in dem Haus passiert, in dem sie wohnen«, erklärt die Jungsozialistin Zoe Anthea Kraft dem Publikum, das mit Applaus zustimmt.

Eigentlich sollte von Seiten der Regierungsparteien neben Mathias Schulz, Sprecher für Stadtentwicklung der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, auch Klimasenatorin Bettina Jarasch (Grüne) an der Diskussion teilnehmen. »Bettina Jarasch hat leider vor einer Stunde abgesagt, wir kennen die Gründe noch nicht«, teilt Tobias Gralke von Deutsche Wohnen und Co enteignen zu Beginn mit. Zusammen mit Emma Unser, der politischen Geschäftsführerin der Grünen Jugend, moderiert er die Veranstaltung. Anstelle von Jarasch sitzt nun der Grünen-Fraktionsvorsitzende Werner Graf mit auf dem Podium.

Zu Beginn erklärt Barbara Metz von der Deutschen Umwelthilfe das Problem: Der Gebäudesektor verbrauche aktuell ein Drittel der Endenergie, die Klimaziele in diesem Sektor seien schon zum zweiten Mal verfehlt worden. Gleichzeitig würden Mieter*innen mit niedrigem Einkommen zu 80 Prozent in schlechter sanierten Gebäuden leben als Eigentümer*innen und entsprechend mehr Geld fürs Heizen zahlen. Sören Weißermel, der an der Universität Kiel zu Bevölkerungsgeografie forscht, ergänzt, dass sich diese soziale Ungerechtigkeit nicht in einem privatisierten Wohnungsmarkt lösen lasse. Denn Eigentümer*innen können bei Sanierungen acht Prozent der Kosten auf die Mieter*innen umlegen – und das langfristig, also auch, wenn die Kosten längst amortisiert sind. »Studien belegen, dass Unternehmen gezielt versuchen, Mieter herauszumodernisieren«, sagt Weißermel.

Auch Neubau sei keine Lösung, da dafür häufig bestehende Gebäude abgerissen würden. Die seien aber immer die klimafreundlichsten, da dort bereits viele Ressourcen verbaut seien, Sand zum Beispiel, die in der Regel nicht wiederverwertet würden, kritisiert Barbara Metz. »Deswegen ist ›Bauen, Bauen, Bauen‹ zu kurz gegriffen und es ist populistisch, damit Wahlkampf zu machen«, erklärt sie mit Blick auf die Neubaupläne der Berliner Regierung.

»Spüren Sie Ihr grünes Herz noch schlagen, wenn Sie hören, wie schlimm der Neubau ist?«, will Moderator Tobias Gralke von Werner Graf wissen. Der erklärt, es müsse »deutlich härtere ökologische Regelungen« für den Neubau geben, und »für Abriss verhindern sind wir immer offen«. Mathias Schulz von der SPD findet, dass Neubauten aufgrund des Zuzugs trotzdem gebraucht würden und dies mit einer Solarpflicht und entsprechenden Förderungen des Staates verbunden werden sollte.

Lisa Vollmer, die für Deutsche Wohnen und Co enteignen auf dem Podium sitzt, hat einen anderen Vorschlag. »Wenn wir vergesellschaften, haben wir die Kontrolle über 250 000 Wohneinheiten und müssen nicht mehr Eigentümer anbetteln, was wir brauchen«, sagt sie. Die Enteignungsinitiaitve plädiert für eine Anstalt öffentlichen Rechts, in der Mieter*innen selbst über notwendige Sanierungen mitentscheiden können, ohne die Kosten dafür tragen zu müssen. »Deshalb ist die Vergesellschaftung nicht nur eine Antwort auf die soziale, sondern auch auf die ökologische Frage«, erklärt Vollmer. Wieder gibt es Applaus.

Werner Graf warnt davor, »die Vergesellschaftung als die eierlegende Wollmilchsau zu betrachten, die alle Probleme löst«. Es sei mit Klagen zu rechnen und könne noch Jahre dauern, bis es einen rechtssicheren Weg der Vergesellschaftung gibt, daher könne Berlin mit energetischen Sanierungen nicht darauf warten. Außerdem dürfe der Enteignungsparagraph nicht durch eine überstürzte Umsetzung gefährdet werden. »Wenn wir in Berlin damit scheitern, dann geht das in den nächsten zehn Jahren erst mal gar nicht mehr«, stellt er in den Raum. Mathias Schulz verweist bei dieser Frage immer wieder auf die Expert*innenkommission, die die Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände derzeit prüfen soll, da vertraue er drauf.

Sören Weißermel von der Uni Kiel betont, dass die Vergesellschaftung gar nicht als Allheilmittel gesehen werde, sondern als eine Voraussetzung für eine sozial-ökologische Transformation, die in der Profitlogik börsenorientierter Unternehmen gar nicht möglich sei. »Vergesellschaftung bietet die Möglichkeit, wieder Zugriff auf den Wohnungsmarkt zu kriegen«, erklärt er. Letztendlich sind Sanierungen natürlich eine Kostenfrage. »Da muss man sich ehrlich machen. Klimaschutz kostet Geld«, sagt Barbara Metz von der Umwelthilfe. Deshalb müsse die Politik auch deutlich höhere Fördermittel bereitstellen und die Umlage auf Mieter*innen ordnungsrechtlich verbieten. Sparen könne der Staat ja an anderer Stelle: zum Beispiel beim Dienstwagenprivileg, so ihre Idee, die auch dem Publikum gefällt. Mathias Schulz verweist da auf den Bund und auf die viel diskutierte Möglichkeit der Übergewinnsteuer.

Lisa Vollmer will die Berliner Politik jedoch nicht aus ihrer Verantwortung entlassen: »Wir fragen uns gerade, was wir davon haben, schon in der zweiten Legislaturperiode rot-rot-grün regiert zu werden. Die Berliner*innen haben Angst, ihr Zuhause zu verlieren«, erklärt sie den beiden Politikern. Natürlich solle die Enteignung rechtssicher gemacht werden, »aber jetzt ist Zeit zu handeln«, fordert sie. Emma Unser von der Grünen Jugend hält abschließend fest, dass sich Klimaschutz und Soziales nicht gegeneinander ausspielen lassen – dafür würden sich die Bewegungen und Jugendverbände weiter einsetzen.

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