Krankenschwester auf Abwegen

Zwischen Kulturkritik und Schmonzette – Yael Inokais neuer Roman will vieles bieten, nur der Funke springt nicht über

  • Björn Hayer
  • Lesedauer: 3 Min.

Als wäre die Welt so einfach: mit einer kleinen Operation in einen Kopf einzudringen und alles Schädliche mit wenigen Handgriffen auszumerzen. Zumindest in der Literatur ist das möglich, wie Yael Inokais neuer Roman belegt. Hierin bedienen sich Ärzte genauer jener skizzierten Methode, die letztlich allem Wahn, aller Angst, allem unpassenden Verhalten ein Ende bereiten soll. Der Protagonistin, Krankenschwester Meret, kommt dabei die Rolle zu, die nicht narkotisierten Patientinnen während des Eingriffs zu beruhigen und abzulenken. Doch gerade so manche Folgen dieser medizinischen Interventionen, die ungewollte im einen oder anderen Fall eine deutliche Verschlechterung des einstigen Zustandes hervorrufen, wecken ihre Skepsis. Die Folge: Die loyale Schwester beginnt, gegen die sogenannten Götter in Weiß aufzubegehren.

Was die 1989 in Basel geborene Schriftstellerin vorlegt, lässt sich wohl als eine Melange aus Coming-of-Age-Story und weiblicher Emanzipationsgeschichte lesen. Eingebettet ist das Buch überdies in einen gesellschaftskritischen Kontext, nämlich, ohne gezielt mit Zeitangaben unsere Gegenwart zu adressieren, in den Diskurs um Selbstoptimierung. »Wir können sie wieder zum Funktionieren bringen«, sagt ein Arzt über eine Patientin, »wir können ihr das Schlimmste ersparen.« Da der Kapitalismus die umfassende Verfügbarkeit jedes Einzelnen vorsieht, dienen die Alle-Probleme-lösen-Operationen nicht so sehr dem individuellen Wohlbefinden, sondern vor allem dem System. Als besonders neu erweisen sich diese Erkenntnisse leider nicht, zumal die gesellschaftskritischen Überlegungen lediglich sehr am Rande, man könnte auch sagen: oberflächlich behandelt werden.

Mehr Raum nimmt hingegen der amouröse Überschwang Merets ein. Von den Vorgängen in der Klinik zunehmend konsterniert, flüchtet sie sich in eine heimliche Beziehung mit ihrer Zimmernachbarin Sarah – eine verbotene Liebe, die anfangs nur auf den engen Wohnraum beschränkt bleiben muss. Aber die Widerständigkeit der Protagonistin wächst gegen eine überkommene Moral und ein heuchlerisches Gesundheitswesen. Am Ende schafft sie daher auch den Absprung und bricht mit Sarah in ein neues Leben auf.

Ein wenig Herzschmerz, ein wenig Kulturanalyse – vom Prinzip her scheinen das bewährte Mittel für ein lesenswertes und gehaltvolles Werk zu sein. Gelingen kann dieses kalkulierte Unterfangen jedoch nur, wenn die sprachliche Gestaltung die Leserinnen und Leser einzufangen weiß. Von einer solchen Wirkung ist allerdings der Roman »Ein simpler Eingriff« weit entfernt. Weder wartet er mit zündenden Metaphern noch mit rhetorischer Finesse auf. Viele Sätze klingen, als würden sie einem Protokoll entstammen: »Wir stiegen von den Rädern. An uns vorbei strömten die Menschen zum Gottesdienst hinein. Wir setzten uns, sahen den spät Kommenden dabei zu, wie sie hineineilten. Der Letzte schloss die schwere Tür hinter sich.« Derlei Beschreibungen bergen keinerlei erfrischende Lakonie, erst recht entstehen daraus keine inneren Bilder. Kurzum, diesem Buch mangelt es an jedwedem Esprit. Nur Langeweile hat es reichlich zu bieten.

Yael Inokai: Ein simpler Eingriff. Hanser Berlin. 192 S., geb., 22 €

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