- Wirtschaft und Umwelt
- Krankenhäuser
Zurück zur ursprünglichen Berufung
Rezepte gegen Personalnot in Kliniken: Schneller voran mit der Digitalisierung und verbindliche Entlastung
Der Fachkräftemangel hat sich zu einer der größten Herausforderungen für das deutsche Gesundheitssystem entwickelt. Im Jahr 2035 können knapp 1,8 Millionen Stellen nicht mehr besetzt werden, weil geeignetes Personal fehlt, so eine aktuelle Studie. Was können speziell Krankenhäuser tun? Ein Fachgespräch dazu initiierte Ende letzter Woche die Apo-Bank. Hinter dem Kürzel steckt die Deutsche Apotheker- und Ärztebank eG, eine Genossenschaftsbank mit Sitz in Düsseldorf.
Ein wichtiger Ansatzpunkt in der Debatte war die Frage, ob der Fachkräftemangel bei Ärzten oder Pflegekräften ein Gesamtproblem des Sektors ist oder nicht auch hausgemacht. Für mehr Vielfalt und interdisziplinäre Zusammenarbeit votierte gleich zu Beginn die Grünen-Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta. Die Fachärztin für Radiologie meint, dass sich medizinische Fachkräfte effizienter einsetzen lassen und nennt als Beispiele das Impfen in Apotheken oder das Vorhalten des Corona-Medikaments Paxlovid in Arztpraxen, wo es laut Sonderreglung direkt an geeignete Patienten abgegeben werden kann. Der Mangel bei Nachwuchsärzten führt aus Sicht der Politikerin dazu, dass etwa Universitätskliniken statt der häufig vorgezogenenen männlichen Bewerber jetzt mehr Frauen und Bewerber mit Migrationshintergrund einstellen müssten.
Der medienaffine Klinik-Visionär und CEO David-Ruben Thies von den Waldkliniken Eisenberg in Thüringen sieht viele Hebel in den Krankenhäusern selbst. Patriarchalische Führungssysteme seien verantwortlich dafür, dass die Kräfte guter Mitarbeiter im Alltag »verpulvert« würden, etwa mit familienunfreundlichen Schichtzeiten.
Irmgard Wübbeling, Vorständin der Sana Kliniken AG, drittgrößter privater Klinkbetreiber in Deutschland, sieht übergreifende Probleme, darunter die noch nicht gelungene Digitalisierung. Auch dadurch sei der bürokratische Aufwand für viele Berufsgruppen zu hoch. Den »administrativen Müll« möchte auch Thies loswerden und die Beschäftigten im weißen Kittel zurück zum Kern ihrer Berufung bringen. Der Klinik-Geschäftsführer, der als Pfleger im Gesundheitswesen startete, erfuhr, dass viele Beschäftigte die größten Störungen bei ihrer Arbeit durch Kollegen erleben. »Jeder arbeitet im eigenen Silo, wird durch andere unter Stress gesetzt, wird auch krank – und kommt so weg von seiner eigentlichen Berufung.«
Eine der Diskussionen der Veranstaltung dreht sich um die anstehende »bedarfsgerechte Personalbemessung«. Laut Diplom-Kauffrau und Wirtschaftsprüferin Wübbeling machen die laufend neu regulierten Rahmenbedingungen den Kliniken zu schaffen. Die für Teilbereiche in Krankenhäusern aktuell gültigen Personaluntergrenzen bedeuteten aber mehr Aufwand vor Ort als die künftige Regel der PPR 2.0. Der so benannten neuen Pflegepersonalregel haftet der Ruf des Bürokratiemonsters jedoch ebenfalls an. Grünen-Politikerin Piechotta hält verbindliche Regularien zu dem Thema für unverzichtbar: »Teilweise gibt es in den Einrichtungen einen Vertrauensverlust zwischen Pflegenden und Leitungen.« Zu diesem Schluss kann jeder kommen, der sich die Praxis der Entlastungstarifverträge anschaut, die etwa an Berliner Krankenhäusern ausgehandelt wurden. Hier nutzen Klinikleitungen jedes Schlupfloch, um den Vertrag doch noch zu umgehen.
Für Piechotta, Mitglied des Haushaltsausschusses des Bundestages und hier zuständig für den Gesundheitsetat, gibt es Grund zur Annahme, dass in der Branche noch etliche schwarze Schafe unterwegs sind: »Das betrifft nicht nur die Testzentren, sondern auch die Vergabe der Intensivbettenförderung in der Pandemie.« Dokumentations- und Nachweispflichten sind also nötig – und sie wären einfacher zu erfüllen, wenn die Digitalisierung schon weiter vorangekommen wäre.
Ein Zwischenschritt in die Zukunft könnten sogenannte Magnetkrankenhäuser sein, die für die Beschäftigten ein so gutes Arbeitsumfeld anbieten, dass sie anziehend auf Pflegekräfte wie Ärzte wirken. Für Klinikmanager Thies lässt sich ein guter Pflege-Personalschlüssel finanzieren, indem woanders gespart wird, Stichwort »schlanke Verwaltungsprozesse«. Zufriedene Patienten, für die jederzeit eine Pflegekraft da ist, würden mehr bewirken als Sparvorschläge aus dem Controlling.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.