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Ex-Journalist zu langer Haft verurteilt
Moskauer Gerichte verhängen harte Strafe gegen den ehemaligen Journalisten Iwan Safronow und entziehen der »Nowaja Gaseta« die Zulassung
Einige Dutzend Unterstützer*innen waren am Montag in das Gebäude des Moskauer Stadtgerichts gekommen, um die Urteilsverkündung gegen den Journalisten Iwan Safronow zu verfolgen. Innerhalb weniger Minuten stand das Urteil fest. Safronow wurde wegen Hochverrats für schuldig befunden und zu 22 Jahren Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte vor wenigen Tagen noch 24 Jahre gefordert.
Kurz vor der Urteilsverkündung hatten mehrere unabhängige Medien unter dem Hashtag »Journalismus ist kein Verbrechen« in einem offenen Brief die sofortige Freilassung Safronows verlangt, auch die Europäische Union schloss sich der Forderung an. Zwei Jahre lang hatte der Fall des 32-Jährigen die russische Gesellschaft bewegt, insbesondere weil die Anschuldigungen und das Vorgehen der Behörden selbst für russische Verhältnisse absurde Ausmaße angenommen hatten.
Vorwürfe gegen Safronow scheinen absurd
Safronow war zwischen 2010 und 2019 in der Politikredaktion der angesehenen Tageszeitung »Kommersant« tätig und gehörte damals zum sogenannten Kreml-Pool, war also einer derjenigen, die der Regierung von Präsident Wladimir Putin nahestehen und Informationen aus erster Hand bekommen. Die verpflichtenden Überprüfungen durch den Inlandsgeheimdienst FSB überstand er jedes Jahr problemlos. Anschließend war Safronow bei der »Wedomosti« Militär-Korrespondent und Chefberater der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos unter dem umstrittenen Leiter Dmitrij Rogosin – bis er am 7. Juli 2020 auf dem Weg zur Arbeit festgenommen wurde. Der Vorwurf: Hochverrat. Der FSB beschuldigte Safronow, 2012 vom tschechischen Geheimdienst angeworben worden zu sein und später vertrauliche Unterlagen geliefert zu haben, die auch an die USA weitergegeben worden seien. Safronow hatte bis zuletzt jegliche Schuld abgestritten. In einer aufwendigen Recherche hatten Journalist*innen der Plattform »Projekt« nachgewiesen, dass die angeblichen Geheimdukomente, die Safronow an den Westen weitergegeben haben soll, öffentlich zugänglich sind.
Während der zwei Jahre dauernden Untersuchungshaft im berüchtigten Lefortowo-Gefängnis durfte Safronow keinen Besuch empfangen und nicht einmal seine Mutter anrufen. Zwei seiner Anwälte verließen unter dem Druck der Ermittlungsbehörden Russland, ein dritter ist mittlerweile selbst inhaftiert. Während des Verfahrens, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, wurde keiner der 40 Zeugen der Verteidigung angehört. Nach der Urteilsverkündung sorgte vor allem die Höhe der Strafe für Entsetzen. Politische Kommentator*innen wie Jekaterina Schulman äußerten die Hoffnung, dass Safronow nicht die gesamten 22 Jahre absitzen müsse. Die Nachrichtenagentur Tass schrieb von 14 Jahren, nach denen die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden könnte.
»Nowaja Gaseta« wird Zulassung entzogen
Nur wenige Stunden vor dem Safronow-Urteil hatte ein Moskauer Bezirksgericht auf Antrag der Zensurbehörde Roskomnadsor der »Nowaja Gaseta« die Lizenz entzogen. Die Behörde begründete dies damit, dass die Zeitung trotz einer Verwarnung ihr Redaktionsstatut nicht vorgelegt habe. Aus der Zeitung hieß es, die Aufforderung stamme aus dem Jahr 2006, wurde aber 2018 erst zugestellt. Demnach sei die Forderung von Roskomnadsor bereits verjährt.
Chefredakteur Dmitrij Muratow, der im vergangenen Jahr für seine Arbeit den Friedensnobelpreis erhalten hatte, kritisierte den Richterspruch und versprach, Berufung einzulegen. »Das ist eine klägliche Entscheidung, eine bestellte, eine politische. Sie hat überhaupt keine rechtliche Grundlage«, sagte Muratow nach der Urteilsverkündung. Die »Nowaja Gaseta« hatte kurz nach Beginn des Kriegs gegen die Ukraine ihr Erscheinen eingestellt, nachdem sie zwei Mal verwarnt worden war. Die Zeitung hatte sich geweigert, die in Russland vorgeschriebene Bezeichnung »militärische Sonderoperation« zu verwenden und schrieb offen von Krieg.
»Heute wurde die Zeitung getötet. Sie haben den Mitarbeitern 30 Jahre ihres Lebens gestohlen. Sie haben den Lesern das Recht genommen, Informationen zu bekommen«, schrieb die Redaktion in einer Erklärung. Schon vor dem Urteil hatte ein Großteil der Redaktion Russland verlassen und mehrere Projekte, darunter die »Nowaja Gaseta Europa« gegründet.
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