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  • Film "Das Leben ein Tanz"

Die Sprache der Körper

Der Film »Das Leben ein Tanz« zeigt, dass Träume nie platzen, sondern nur ihre Form verändern

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Élise (Marion Barbeau) wartet auf ihren nächsten Auftritt
Élise (Marion Barbeau) wartet auf ihren nächsten Auftritt

Sprechen Körper? Ja, aber in einer Sprache, die ganz und gar elementar ist. Der Worte bedarf es dabei nicht. Die Sprache der Körper kommt aus ihrer Bewegung, aus Sprüngen, Drehungen und Biegungen, aus Gesten und einem plötzlichen Stillstehn, das vielleicht zum Ausrufezeichen im Alphabet des Tanzes wird. Es ist eine Sprache der Sinne, in der Sehen, Hören und Fühlen eins werden im gesteigerten Ausdruck des Körpers. Und doch ist, was so offenliegt, etwas Geheimnisvolles, das sich erst nach und nach erschließt.

Èlise hat als Tänzerin Erfolg. Sie tanzt bereits Soloparts im klassischen Ballett vor großem Publikum. Sie ist sechsundzwanzig Jahre alt und hat noch viel vor auf der Bühne. Cédric Klapisch lässt sein »Das Leben ein Tanz« mitten in einem dieser Ballettabende beginnen, die Kamera von Alexis Kavyrchine schweift umher, so zufällig wie der Blick von Èlise in den Pausen zwischen ihren Auftritten hinter der Bühne. Es ist ein Blick von jemandem, der sich entspannen will. Nichts ist anders als sonst. Doch plötzlich erstarrt sie, denn sie hat ihren Freund erblickt, auch er ein Tänzer, wie er gerade mit einer anderen Tänzerin in den Kulissen verschwindet, in ganz unzweifelhafter Absicht. Ein kurzer Augenblick, in dem sich alles ändert.

Und schon muss sie wieder auf die Bühne, ist verwirrt und unkonzentriert. Der Körper, eben noch geschmeidig und weich in den Bewegungen, scheint jetzt ihr Feind, gibt sich verhärtet und geradezu brüchig. So kann niemand tanzen, auch sie nicht, trotz aller Professionalität. Nach einem Sprung landet sie falsch, man hört es knacken – das Fußgelenk.

Ende der Eingangsszene, Ende einer vielversprechenden Karriere? Mit diesem gebrochenen Fußgelenk, so die ärztliche Diagnose, wird sie lange nicht tanzen können, mindestens ein oder zwei Jahre nicht, vielleicht nie mehr. Im Französischen lautet der Filmtitel »En Corps« – im Körper. Was sich da tut, darum geht es in diesem sehr poetischen Film mit Marion Barbeau als Èlise. Eine erstaunliche Doppelbegabung als Schauspielerin und Tänzerin. Denn der Tanz, so erfahren wir, hört nicht auf, wenn die Ballettkarriere, kaum begonnen, schon wieder vorbei ist. Aber bis zu dieser Einsicht wird es ein weiter Weg für Èlise: Der Verlust hochfliegender Träume wiegt schwer.

Für den Lyriker und Essayisten Paul Válery ist der Tanz »eine Kunst, die aus dem Leben selbst hervorgeht«. Das vollkommene Ideal des Tanzes sei darum nicht die Primadonna, sondern die Meduse, ihre fließend rhythmischen Bewegungen werden eins mit ihrem Leben. In diesem Geist ist auch »Das Leben ein Tanz« gedreht. Es geht nicht darum, ob und wie sich Èlise wieder nach vorn kämpft, ob es ein Comeback auf der Bühne geben wird oder nicht. Spitzentanz verbietet der lädierte Knöchel ohnehin; der Körper lässt sich nicht zwingen. Aber vielleicht zu einer anderen Sprache verführen?

Vielleicht, aber das dauert. Erst einmal fällt Èlise aus der Welt des professionellen Tanzes heraus. Alle Termine gecancelt, so als gäbe es sie als Mensch nicht mehr. Es ist brutal, wer nicht mehr funktioniert, wird aussortiert. Sie begleitet eine Freundin, die einen Catering-Service betreibt, in die Bretagne, schält Kartoffeln und weiß nicht mehr, wer sie ist. Eben noch umjubelte Solistin und nun? Die raue Landschaft der Bretagne passt zu ihrem inneren Chaos. Was hat ihr der Tanz wirklich bedeutet? Nur eine Aussicht auf Karriere und jetzt, wo sich diese zerschlagen hat, soll er keine Rolle mehr in ihrem Leben spielen? Und wovon soll sie nun leben? Ihr Vater hat als Trost für sie nur parat, dass er so etwas immer schon geahnt habe, der menschliche Körper sei für solche Belastungen nun mal nicht gemacht. Aber sie hätte immer noch die Chance, Jura zu studieren und Anwältin zu werden.

Regisseur Klapisch und seine Hauptdarstellerin Marion Barbeau nehmen sich Zeit für diesen Körper, der seine Sprache verloren hat. Sie wollen keinen weiteren beliebigen Tanzfilm drehen, sondern den inneren Ausnahmezustand einer jungen Frau, die glaubt, alles verloren zu haben, minutiös schildern. Das innere Chaos, die Verzweiflung, die krampfhafte Hoffnung auf ein Comeback, die lügt. Sie muss den Absturz aus ihrem bisherigen Leben akzeptieren, das weiß sie und das schmerzt – im ganzen Körper.

Und dann kommt es zu einer jener Begegnungen, für die man innerlich bereit sein muss. Der Landgasthof, in dem Èlise mit ihrem Catering beschäftigt ist, bekommt neue Gäste: ausgerechnet eine Tanz-Company. Das klingt nach dramaturgischer Nötigung, ist es aber nicht. Denn die Gruppe betreibt eine Art von freiem Ausdruckstanz, der Èlise fernliegt. Aber vielleicht birgt gerade der Abstand zum klassischen Tanz mit seiner perfektionierten Technik die Chance für einen neuen Anfang?

So kommt es zu einer unerwarteten Annäherung. Plötzlich spürt Èlise, dass all ihre Trauer und Wut hier eine Form finden können, dass diese Art Tanz eine viel intimere Ausdrucksform zu sein vermag, als jene, die sie zwangsweise zurücklassen musste.

Was nach Kolportage klingt, wird echte Wandlung und »Das Leben ein Tanz« zu mehr als bloßem Selbsterfahrungskino. Der israelische Choreograf und Tänzer Hofesh Shechter spielt sich selbst mit seiner Company – und das ist zuerst einmal ansehenswert, auch für Èlise. Und dann beginnt ihr Körper wieder zu sprechen, auf eine neue Art. Ist das nun doch eine Art Happy End? Etwas viel Besseres, eine neue Erfahrung, eine Chance, wieder den Tanz zu leben. Da öffnet sich aufs Neue ein für immer verschlossen geglaubter Horizont. Wenn man Glück definieren will, dann vielleicht so.

Dieser Film wird zur Parabel auf die vielen Stimmen, die ein Körper in sich birgt, der einmal angefangen hat, sich zu bewegen. Erst als sie wie taub und stumm war, als nichts mehr zu ihr sprach, hat Èlise dies erfahren. Nun aber ist da eine neue Energie, die zum Tanz drängt.

Noch einmal Paul Válery, von dem die Philosophie zu diesem den Sinn von Tanz suchenden Film stammen könnte. Er notiert, Tanz sei eine Art »künstlicher Schlafwandel«, eine »Erscheinungsform von Zeit«. Mit anderen Worten: Ein einzigartiger Moment des Hier und Jetzt, in dem sich Verschiedenstes in einer einzigen Körperbewegung zu zeigen vermag. Tanz ist Poesie, die lebt.

»Das Leben ein Tanz«: Frankreich 2022. Regie und Drehbuch: Cédric Klapisch. Mit: Marion Barbeau, Denis Podalydès, Hofesh Shechter, Muriel Robin. 118 Minuten, Start: 8.9.

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