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Der Gasverbrauch wird sinken
Ob die Versorgung im Winter gesichert ist, hat weiterhin viele Fragezeichen
Nach den mutmaßlichen Sabotageakten gegen die beiden doppelsträngigen Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 gibt es bisher keinerlei belastbare Hinweise auf die Hintergründe. Klar ist hingegen, welche Auswirkungen das auf die deutsche Energieversorgung hat: kurzfristig keine. »Über Nord Stream 1 wird seit Anfang September ohnehin kein Gas mehr geliefert und Nord Stream 2 wurde nie in Betrieb genommen«, hieß es am Donnerstag von der Bundesnetzagentur.
Die Frage ist aber, welche Auswirkungen das für die Wintermonate haben könnte, wenn in der Heizperiode insbesondere der Verbrauch in Privathaushalten deutlich ansteigen wird. Bisher bestanden gewisse Hoffnungen, dass Russland dann vielleicht doch wieder eine gewisse Menge durch Nord Stream 1 liefern werde. Diese dürften sich nun endgültig zerschlagen haben, denn eine eventuelle Reparatur wird sich angesichts der vermutlichen Beschädigungen und der komplizierten außenpolitischen Lage hinziehen. Da sich damit gleichzeitig jegliche Aussichten auf eine Entspannung bei den Großhandelspreisen verflüchtigt haben, führt kein Weg mehr an einem Gaspreisdeckel vorbei. Dies dürfte die am Donnerstag verkündete Einigung innerhalb der Koalition nach zuvor schier endlosen internen Verhandlungen befördert haben.
Die Preisfrage ist das eine, die absehbare Unterversorgung der Volkswirtschaft mit Erdgas im kommenden Winter das andere. Mittlerweile sind die Energiespeicher laut Angaben der Netzagentur zu 91,5 Prozent gefüllt. Selbst ganz gefüllte Speicher wären lediglich in der Lage, etwa ein Drittel des winterlichen Gasbedarfs zu decken. Da kaum anzunehmen ist, dass Russland über die anderen bestehenden Pipelines via Osteuropa nennenswerte Mengen Erdgas liefern wird, wird deutlich weniger von dem fossilen Brennstoff bereitstehen als in den Wintern der vergangenen Jahre. Das heißt, der Verbrauch wird sinken, da das Angebot geringer ist. Offizielles Ziel ist eine Reduktion um 20 Prozent, Energieexperten halten eher 25 Prozent für notwendig. Die Frage ist nur, wie dies letztlich erreicht werden wird.
Nachdem seit September Sparvorgaben für öffentliche Einrichtungen sowie den Einzelhandel und neue Regeln für Mindesttemperaturen in Mehrfamilienhäusern gelten, tritt jetzt am Wochenende eine für zwei Jahre gültige zweite Energiesparverordnung in Kraft. Diese trifft Unternehmen mit einem hohen Gasverbrauch und alle Gebäudeeigentümer. Letztere werden verpflichtet, regelmäßige Mängelprüfungen von Gasheizungen etwa durch hydraulischen Abgleich durchzuführen und ineffiziente Umwälzpumpen auszutauschen.
Der wichtigste Wohnungsunternehmensverband, GDW, reagierte sauer: »Aufwändig, teuer und wirkungslos« sei der hydraulische Abgleich bei Heizungen, schimpfte der Lobbyverband vor wenigen Tagen nach dem Beschluss durch den Bundesrat. Mindestens sieben Milliarden Euro müssten ausgegeben werden für eine Maßnahme, die am Ende maximal zwei bis drei Prozent Energieeinsparung bringe. Außerdem gebe es bei Weitem nicht genug Fachpersonal in der Sanitärbranche, um dies im vorgegebenen Zeitraum flächendeckend durchzuführen.
Allerdings hätte man dies schon längst durchführen können, ohne auf eine Verordnung zu warten. Der Verbraucherzentrale Bundesverband rät seit vielen Monaten Besitzern von Privathäusern, angesichts der hohen Gaspreise einen hydraulischen Abgleich durchzuführen, der dafür sorgt, dass durch alle Heizkörper die richtige Wassermenge fließen kann. Die Maßnahme »erhöht meist die Effizienz der Heizung und sorgt für niedrigere Energiekosten«, so die Verbraucherschützer. Energieexperten gehen davon aus, dass sich damit und mit weiteren kleineren Optimierungen zehn bis 15 Prozent des Verbrauchs einsparen lassen.
Ebenfalls zum 1. Oktober tritt ein Gasauktionsmodell in Kraft, das Unternehmen bei kurzfristigen Engpässen zum Verzicht anregen soll. »Industriekunden geben ein Gebot ab, zu welchem Preis sie bereit sind, ihren Gasverbrauch zu reduzieren«, wie Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, erläutert. Den Zuschlag bekämen die niedrigsten Gebote, bis das Verhältnis zwischen verfügbarer Gasmenge und Verbrauch wieder im Gleichgewicht sei.
Der Industrieverband BDI kritisierte, die sogenannte Load Reduction werde kaum zum Energiesparen beitragen. Und unbestätigten Berichten zufolge sollen die Auktionen von Unternehmen kaum angenommen werden. Unabhängig davon aber war der Verbrauch von Industriekunden schon zuletzt deutlich niedriger als im Vorjahr: im August um gut 15 Prozent, in den Monaten davor sogar um rund 20 Prozent.
Ob die Maßnahmen reichen werden, um einigermaßen über den Winter zu kommen, also ohne Verbrauchssenkung durch Zwangsstilllegungen größerer Industrieverbraucher, hat weiterhin viele Fragezeichen. Auch die Temperaturen werden dafür entscheidend sein. Und alle Prognosen von Experten gehen davon aus, dass zumindest der Winter 2023/24 ebenfalls noch kritisch werden könnte.
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