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The Left can meme, sometimes
Die Youtuberin Natalie Wynn und der Künstler Joshua Citarella zeigen, wie digitale politische Praxis von links aussehen kann
Ob Verschwörungstheoretiker*innen, Corona-Verharmloser*innen oder Neu-Rechte, sie alle nutzen soziale Medien für ihre Propaganda. Immer wieder heißt es, dass diese Gruppen Medien wie Youtube, Twitter und Formate wie Memes besser zu nutzen wüssten als andere.
Was hat die Linke hier zu entgegnen? Wie sehen Strategien aus, um Einfluss auf kulturelle Bilder, Symbole und Narrative zu nehmen? Welche medialen Formate sind nötig, damit man digitale Räume wie soziale Medien und Videospielcommunities nicht der Rechten überlässt?
Exemplarische Antworten auf diese Fragen finden sich in der künstlerischen und politischen Praxis von Joshua Citarella und Nathalie Wynn. Die beiden haben in den letzten Jahren ihre hauptsächliche Wirkungsstätte im Internet gefunden und arbeiten dort auf Plattformen wie Youtube, Instagram und Discord daran, linke Positionen für das 21. Jahrhundert zu formulieren.
Joshua Citarella beschäftigt sich mit digitalen Subkulturen in sozialen Medien. Das Hauptanliegen seiner Arbeit besteht darin, zu erforschen, wie Jugendliche in sozialen Medien politisiert und radikalisiert werden. Eine Frage, die in den USA spätestens seit dem Präsidentschaftswahlkampf 2016 sehr drängend erscheint: Trump erhielt massive Unterstützung rechter Internet-Trolle, die nicht nur für ihn Wahlkampf im Internet machten, sondern durch ihren Sexismus und Rassismus auch zur Radikalisierung vieler junger Menschen beitrugen. Wieso ist die neue Rechte in diesen Milieus und auf diesen Plattformen so erfolgreich und weshalb kommen linke Perspektiven in digitalen Netzwerken kaum vor? Diese Fragen diskutiert Citarella mit Gästen in seinem Podcast oder publiziert Bücher, die Einblicke in politische Instagram-Subkulturen bieten (»Politigram & the Post-Left«, 2018 und »20 Interviews«, 2021). Dabei bleibt seine Arbeit nicht an dem Punkt der Analyse stehen, sondern er beschäftigt sich darüber hinaus mit der Frage, wie man das gewonnene Wissen in politische Praxis umsetzen kann.
So ist beispielsweise »How to Plant a Meme«, ein Text von Citarella, der auf dem Medienkunstblog »Do Not Research« zu lesen ist, gleichzeitig Erfahrungsbericht und Anleitung: Citarella beschreibt zunächst, wie er sich in eine bestimmte Internetsubkultur auf Instagram und Discord einschleicht. Diese Subkultur, »Politigram«genannt, dreht sich um Memes, also humoristische oder satirische Inhalte, die meist in Form von Bild-Text-Montagen auftreten. Hergestellt werden sie zumeist von Teenagern, die sich in ihnen auf eine ironische und desillusionierte Weise auf Politik beziehen.
Dabei vertreten viele der Jugendlichen nicht eindeutig rechte Positionen, sondern rufen in ihren Beiträgen verschiedenste politische Ideologien auf – von tatsächlich existierenden über Randerscheinungen wie »Anarcho-Primitivismus« bis hin zu komplett erfundenen. Stets zwischen Spiel und ernst schwankend entsteht bei den jungen Produzent*innen ein Überbietungswettbewerb: Wer hat die ironischeren, nihilistischeren, kryptischeren und grenzüberschreitenderen Memes?
Wie lässt sich ein solches Milieu für linke Politik begeistern? Citarella sieht als möglichen Einstiegspunkt die etwas düsteren, kapitalismuskritischen Analysen des Kulturwissenschaftlers Mark Fisher. Könnte man sie dazu bringen, Fisher zu lesen, so könnte dies ein Einstiegspunkt in weitere linke Theorie sein, so Citarellas Plan. Er beginnt, in den Gruppen langsam Memes über den Autor und das Buch »Capitalist Realism« zu verbreiten. Und tatsächlich geht sein Plan auf, beginnen seine Mark-Fisher-Memes ohne sein Zutun zunächst in diesen Gruppen und später im Mainstream sozialer Medien zu zirkulieren.
Ein ähnlicher Versuch, bestimmte digitale Räume nicht der Rechten zu überlassen, ist Citarellas Videoarbeit »DKP is Market Socialism«. Citarella zielt hier auf die Videospielcommunity, die politisch in großen Teilen konservativ, libertär oder sogar rechtsextrem zu verorten ist und immer wieder durch rassistische und sexistische Überschreitungen auffällt.
Das Video analysiert Verteilungsfragen in dem Computerspiel »World of Warcraft« und beschreibt verschiedene Strategien, wie Spieler*innen ihre dort gemeinsam erwirtschafteten digitalen Ressourcen untereinander aufteilen. Einer dieser Strategien, der sogenannten »DKP (Dragon Kill Points)«, attestiert er die Züge eines Marktsozialismus: Die Spieler*innen teilen ihre digitale Beute gleichmäßig untereinander auf. Die Pointe des Videos: Die ökonomischen Regeln, die die Spieler*innen selbstbestimmt innerhalb ihrer Spielgruppen in »World of Warcraft« aufstellen, sind wesentlich linker als ihre tatsächlichen politischen Haltungen außerhalb der Spielewelt.
Wie Citarella ist auch Natalie Wynn auf verschiedenen Kanälen aktiv, bekannt geworden ist die US-Amerikanerin jedoch durch ihre Youtube-Videos. Seit 2016 veröffentlicht sie auf ihrem Kanal »ContraPoints« Videoessays über Internetkultur, Politik und Philosophie. Ihre Videos tragen Titel wie »Canceling«, »Incels« oder »What’s wrong with Capitalism«. Ihren Themen widmet sie sich über eine Mischung aus konkreten Beispielen, philosophischen Exkursen und eigenen Erfahrungen. Dabei trägt sie glamouröse Outfits und trinkt wahlweise Champagner, Whiskey oder Tee mit Schuss. Die häufig wechselnden Sets der gut produzierten Videos erinnern mal an viktorianisches Wohnzimmer, mal mehr an die Internetästhetik Vaporwave; beim Sprechen springt sie zwischen selbstironischem Humor und ernsthafter Analyse hin und her.
Wynns Video »Canceling« (4,6 Millionen Aufrufe) beginnt mit einer Zusammenfassung des Phänomens: Unter anderem entstanden, um sich gegen Machtmissbrauch zu wehren, bezeichne Canceling das Beschämen, Verunglimpfen und Ächten von Prominenten im Internet. Eine Strategie also, um Personen der Öffentlichkeit, die bis dahin immun gegenüber Kritik schienen, für ihr Fehlverhalten zur Rechenschaft zu ziehen. »Ein bisschen wie eine Guillotine«, fügt Wynn scherzend hinzu. Nachdem sie Canceling zunächst als ein Instrument sozialen Widerstandes beschreibt, geht sie auf die Schattenseiten des Phänomens ein. Sie zeigt anhand von Beispielen, wie unverhältnismäßig die »Bestrafung« der gecancelten Person ausfallen kann. Anstatt Taten oder Aussagen zu kritisieren, geht es dann nur noch darum, eine Person als Ganzes zu ächten. Kritik, die sich auf diese Art verselbstständigt hat, so Wynn, kann in Form von Shitstorms zu einem sadistischen Unterhaltungsspektakel werden. Sie fragt auch nach der psychologischen Dimension von Cancel Culture. Was sind die inneren Antriebe für das Treten nach oben, woher kommt die Wut? Welche Rolle spielt die Anonymität der Nutzer? Bemerkenswert ist, dass Wynn es schafft, Nuancen und Widersprüche bei einem Thema zuzulassen, das im Internet, gerade auf Plattformen wie Youtube, sehr polarisiert.
Ein vergleichbares Feingefühl zeigt sie auch in einem ihrer älteren Video-Essays über Incels. Als Incels (Abkürzung für involuntary celibates) bezeichnet sich eine in den USA entstandene Internet-Subkultur von heterosexuellen Männern, die nach Eigenaussage unfreiwillig keinen Geschlechtsverkehr haben und der Ideologie einer hegemonialen Männlichkeit anhängen. Wynn beginnt ihr Video mit einer Bestandsaufnahme und analysiert die kruden Geschlechtertheorien und den Frauenhass innerhalb der Szene. Dann nimmt sie die unterliegende Psychostruktur der Incels in den Blick. In Online-Foren berichten Incels von ihrer Einsamkeit – daran Schuld seien wahlweise ihre eigene ungenügende Männlichkeit, der Feminismus oder gar Frauen im Allgemeinen. Wynn führt die Absurdität dieser Theorien vor, bleibt jedoch dem Leidensdruck der Incels gegenüber empathisch. Darin wirkt sie besonders glaubhaft, wenn sie erzählt, dass sie als Trans-Frau ähnliche Erfahrungen in Internetforen gemacht hat. Sie berichtet davon, wie sie nicht aufhören konnte, Zeit in Chaträumen zu verbringen, die ihr psychisch nicht guttaten und warum es für sie so schwer war, sich aus diesen Gesprächen zu lösen. Wynn versucht also, das selbstschädigende Verhalten der Incels aus ihrer Perspektive und anhand eigener Erfahrungen zu verstehen. Diese Art, Kritik zu formulieren – inhaltlich scharf, aber emotional empathisch – scheint ihre Videos auch zugänglich für Menschen zu machen, die nicht sowieso schon einer Meinung mit ihr sind. So häufen sich in der Kommentarspalte unter dem Video Posts von Usern, die sich als Incels oder Beinah-Incels bezeichnen. Viele von ihnen schreiben, das Video hätte sie ernsthaft zum Umdenken bewegt.
Was macht die Formate von Citarella und Wynn so erfolgreich? Wie schaffen sie es, Aufklärungsarbeit zu leisten, ohne dogmatisch oder belehrend zu sein? Vielleicht liegt es daran, dass sie sich wirklich für ihre Zielgruppen und deren Szene interessieren, deren Codes kennen und Humor treffen. Vielleicht ermöglicht ihnen gerade auch die Abwesenheit einer institutionellen Anbindung, frei und experimentell aufzutreten? Beide finanzieren sich über Follower, die monatliche Beiträge zahlen.
Klar ist, der Blick auf die englischsprachigen Nachbarn lohnt. Deutsche Youtuber*innen können sich hier eine große Scheibe in puncto Lässigkeit und Style abschneiden. Eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung aus dem Jahr 2019 mit dem Titel »Von Influencer*innen lernen« attestiert Ähnliches: Im Gegensatz zum englischsprachigen Raum seien »in der Bundesrepublik dezidiert linke YouTuber*innen eher selten«. Das Internet wird zunehmend zu einer der wichtigsten politischen Arenen der Gegenwart. Emanzipatorische Medienstrategien sind also so wichtig wie nie. In diesem Sinne: li(n)ke and subscribe.
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