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Die Mühen nach dem Sieg
Italien steht vor der Bildung einer neuen Regierung, in der Rechtskoalition ist der Kampf um die Besetzung der Ministerposten entbrannt
Viel Zeit bleibt Giorgia Meloni, der Ende September noch strahlenden Wahlsiegerin, nicht, um eine funktionsfähige Regierung zu bilden. Am 13. Oktober tritt das neue Parlament in beiden Kammern zur ersten Sitzung zusammen. Dann sollte die wahrscheinliche Koalition aus Fratelli d’Italia (FdI), Lega und Forza Italia (FI) eine Ministerriege präsentieren, die von der Mehrheit der Abgeordneten akzeptiert wird. Dies allein dürfte nicht schwerfallen, da der rechte Block sowohl im Abgeordnetenhaus als auch im Senat über komfortable Mehrheiten verfügt.
Schwieriger dürfte eher werden, die Ressorts mit qualifizierten Personen zu besetzen. Die Fratelli zeichnen sich nicht gerade durch ein großes Reservoir an geeignetem Personal aus. Meloni, die anfangs kategorisch die Bestallung »technischer Minister« abgelehnt hatte, lenkt inzwischen ein: »Sollte sich kein geeigneter Kandidat aus dem politischen Umfeld finden, werden wir auch auf Fachleute zurückgreifen«, erklärte die FdI-Chefin in dieser Woche.
Matteo Salvinis Lega reklamierte bereits vier Ministerposten für sich, darunter das wichtige Innen-Ressort. Das würde der Lega-Chef am liebsten selbst wieder führen. Doch hier zeigt sich Meloni zurückhaltend: Die mögliche neue Ministerpräsidentin möchte nicht riskieren, dass Staatspräsident Sergio Mattarella Salvini von der Liste der Minister streicht. Dies könnte umso leichter passieren, als dem Lega-Chef noch Gerichtsverfahren aus seiner früheren Amtszeit als Innenminister anhängen, darunter Prozesse wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch. Salvini weiß, dass er hoch pokern kann. Denn ohne seine Lega hat das rechte Bündnis im Parlament keine Mehrheit. Andererseits haben die Wähler seiner restriktiven Politik auch eine Abfuhr erteilt und der Lega – die sich einmal an der Spitze der rechten Bewegung gesehen hatte – gerade einmal neun Prozent der Stimmen gegönnt. Schon deswegen dürfte die einstige Separatistenbewegung mehr Bescheidenheit zeigen. Jüngsten Meldungen zufolge soll sich Salvini auch mit einem anderen Ministerposten zufrieden geben. Meloni wiederum signalisiert Entgegenkommen, wenn sie erwägt, ihren Wahlkampfpartner Salvini zum stellvertretenden Regierungschef zu machen.
Jedoch auch der dritte Koalitionspartner, Silvio Berlusconis Forza Italia, will einen repräsentativen Posten im Kabinett erhalten. Hierfür ist Antonio Tajani im Gespräch. Der frühere Präsident des Europaparlaments ist in Brüssel gut vernetzt und könnte in Rom das Außenamt bekleiden. Damit würde Meloni zugleich ein Signal an die EU senden, dass eine Regierung unter ihrer Führung nicht alle Brücken zur Union abbrechen will. Auch in der Ukrainepolitik kündigt Meloni Kontinuität an. In ihrer Antwort auf die Glückwünsche Wolodymyr Selenskyjs zu ihrem Wahlsieg versicherte die FdI-Chefin in einem Telegramm, Italien werde am bisherigen Kurs – Unterstützung der Sanktionen gegen Moskau, Lieferung auch schwerer Waffen an Kiew – nichts ändern.
Nach anfänglich schwerer Kritik an der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Vorgängerregierung Mario Draghis lenkt Meloni inzwischen auch auf diesem Gebiet ein und erklärt, den eingeschlagenen Weg der Vertrauenswürdigkeit des Ex-EZB-Chefs erst einmal fortzusetzen. Denn um weitere EU-Mittel erhalten zu können, muss Italien Mitte Oktober einen Haushaltsplan in Brüssel vorlegen. Zu diesem Zeitpunkt dürfte eine Rechtsregierung – wenn überhaupt – erst wenige Tage im Amt und überhaupt nicht in der Lage sein, einen Budgetplan vorzulegen.
Im Wahlkampf hatten die Fratelli der amtierenden Regierung vorgeworfen, sich mit der Zustimmung zum EU-Wiederaufbauplan in weitere Abhängigkeiten von Brüssel zu begeben. Inzwischen rudert Meloni aber auch hier zurück und akzeptiert, dass die beschlossenen Maßnahmen die einzige Möglichkeit einer wirtschaftlichen Erholung nach der Covid-Pandemie und Ukraine-Krise darstellen. Dabei sind die Zahlen längst von der Realität eingeholt. Zwar versicherte Draghi, Italien habe »alle bislang gestellten Ziele erreicht«. Doch aus Sicht von Meloni sind beim nationalen Wiederaufbauplan »große Defizite zu verzeichnen«. Unfreiwillig bestätigt wurde das vom noch amtierenden Wirtschaftsminister Daniele Franco. Laut ursprünglichen Planungen waren 2020 und 2021 im Budget 13,8 Milliarden Euro an Investitionen vorgesehen, in diesem Jahr weitere 27,8 Milliarden Euro. Doch lediglich die Hälfte der Summe, nämlich 20,5 Milliarden Euro, taucht im diesjährigen Budget auf.
Draghis Erklärung dieser Lücke fällt lakonisch aus: Seine Regierung habe die qualitativen Ziele erreicht, um die quantitativen Ziele müsse sich die Nachfolgeregierung kümmern. Das bedeutet letztlich, dass die neue Regierung einen Nachtragshaushalt vorlegen muss, in dem alle von Brüssel geforderten Reformen – für die die EU Mittel bereitstellt – aufgelistet sind. Naheliegend ist, dass eine Meloni-Administration nicht in der Lage sein wird, einen solchen Haushaltsentwurf vorzulegen, ohne auf die Erfahrungen der Draghi-Regierung zurückzugreifen.
Die zahlenmäßig im Parlament stark vertretenen Oppositionsparteien Partito Democratico (PD) und Movimento 5 Stelle (M5S) beobachten sowohl die personellen als auch fachlichen Probleme der »Regierung in spe« mit Argusaugen. Nach Überzeugung eines der Führer des PD und Gouverneurs von Apulien, Michele Emiliano, hat die Rechtsregierung »keine großen Überlebenschancen«. Emiliano erklärte am Rande der Kongressvorbereitungen der Sozialdemokraten, man sehe jetzt schon Widersprüche zwischen den Wahlversprechen der rechten Parteien und ihren ersten Bemühungen, diese in der Realität umzusetzen. Er geht davon aus, dass es schon bald zu Neuwahlen kommen wird. Angesichts dessen regte der frühere Ministerpräsident Massimo D’Alema bereits ein Bündnis aus PD und M5S an, um den rechten Block bei Neuwahlen schlagen zu können. Auch der aus dem Amt geschiedene Kammerpräsident Roberto Fico (M5S) rief zu einem linken Bündnis auf. »Keinesfalls wieder mit der Rechten«, proklamierte Fico im Rückblick auf die Koalition der Regierung Conte I zwischen seiner eigenen Partei und der Lega.
Wie die Mehrheiten in der Realität aussehen und mit welchem Personaltableau Meloni zum Staatspräsidenten in den Quirinalspalast gehen wird, wird sich am kommenden Donnerstag erweisen.
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