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Kriegsdividende beim Öl
Die größten Förderländer streiten über den richtigen Kurs bei Mengen und Preisen
Werden jetzt auch Ölpipelines sabotiert? Die Meldung von Mittwochmorgen, dass aus der Druschba-Leitung nahe der zentralpolnischen Stadt Plock Öl auslaufe, sorgte dann aber nur für einen kurzen Schrecken – anders als bei den mutmaßlichen Anschlägen auf die Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee. Die Beschädigung der teils oberirdisch, teils im Boden verlaufenden Druschba-Leitung war laut dem polnischen Betreiber Pern am späten Dienstagabend entdeckt worden. Einer von zwei Strängen des westlichen Abschnitts soll betroffen sein. Durch den anderen wird weiterhin Öl aus Russland Richtung Westen transportiert.
Über die Größe des Lecks war zunächst nichts bekannt. Solange dies unklar sei, ließen sich die Dauer der Reparatur und das Ausmaß der Folgen für die Raffinerien in Schwedt und Leuna nicht einschätzen, sagte ein Sprecher von Rosneft Deutschland. Beide werden über die Druschba-Leitung versorgt. Gerechnet wird indes mit einer Reparaturdauer von maximal zehn Tagen. In Brandenburg geht man von keinen Versorgungsproblemen aus, da viel Öl in Schwedt gelagert ist und es bereits alternative Lieferwege gibt. Gemäß eines EU-Embargos soll ab kommendem Jahr kein Öl mehr über die Druschba-Leitung importiert werden. Die möglichen Auswirkungen auf die globale Ölversorgung und den Rohölpreis werden daher ebenfalls als gering erachtet.
Das Ereignis kommt indes zu einer Zeit, in der ein Beschluss des Erdölkartells Opec+ von vergangener Woche, die Ölförderung zu reduzieren, für Unruhe sorgt. Ab November sollen täglich zwei Millionen Barrel (je 159 Liter) weniger aus dem Boden gepumpt werden als bisher, entschieden die 13 Mitglieder und mehrere andere Förderländer, die zusammen für rund 40 Prozent der weltweiten Ausbeutung sorgen. Der Rückgang entspricht zwar nur zwei Prozent der weltweiten Produktion, aber auch solche Änderungen haben üblicherweise Einfluss auf die internationalen Rohöl- und letztlich auch die Verbraucherpreise. Die USA kritisierten den Deal postwendend. Ganz niedrige Spritpreise sind gerade dort gewissermaßen ein politisches Muss – ein Anstieg käme für die regierenden Demokraten kurz vor wichtigen Zwischenzahlen zur Unzeit.
Die Entscheidung dürfte aber auch die vielen Importländer hart treffen, da fossile Energien derzeit ohnehin extrem teuer sind und es einen generellen Inflationstrend gibt. Nicht wenige arme Länder haben Probleme, ihre Ölimportrechnungen zu bezahlen, zumal auch noch der Dollar zuletzt deutlich zugelegt hat. Der weltweite Handel mit dem schwarzen Gold wird in der US-Währung abgewickelt.
Aus Sicht der Verkäufer stellt sich die Lage natürlich anders da: Nachdem die Rohölpreise nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine zunächst spekulationsgetrieben in die Höhe geschossen sind, sind sie seit einigen Monaten deutlich im Sinken begriffen. Anders als beim Erdgas sind nämlich beim Öl auch regional keine Knappheiten in Sicht. So konstatierte das Hamburgische Weltwirtschaftsarchiv (HWWI) in seinem monatlichen Rohstoffindex allein für September einen Rückgang der Rohölpreise um 7,5 Prozent. Hier wie auch bei Industrierohstoffen werde die zunächst preistreibende Wirkung »durch trübere Wachstumsaussichten gebremst«, wie es HWWI-Expertin Marina Eurich ausdrückt. »Dies wirkt sich preisdämpfend aus.«
Die weltweite Rohölnachfrage hängt unmittelbar von der Konjunkturentwicklung ab. Da die Prognosen für die gesamte Weltwirtschaft derzeit nach unten gesenkt werden und wichtige Länder vor allem in Europa in eine Rezession zu schlittern drohen, kann weniger Rohöl gefördert werden, um den Bedarf zu decken. Die Förderkürzung wird daher als Präventivmaßnahme gegen eine Überproduktion samt Preissturz verstanden. Es gehe der Opec nicht nur um die eigenen Einnahmen, sondern um Versorgungssicherheit und Verlässlichkeit, wie der saudi-arabische Energieminister Abdulasis bin Salman sagte. Außerdem hatten einzelne Opec-Länder schon zuvor die Förderung mangels Nachfrage reduziert, man passe sich also den Gegebenheiten an.
Allerdings überlagern der Ukraine-Krieg und die zunehmenden außenpolitischen Spannungen solche rein ökonomischen Überlegungen. Vor der Ankündigung der Förderkürzung lag der Ölpreis laut HWWI im September trotz des vorherigen Rückgangs um 21,1 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Da die Gaspreise sich in dem Zeitraum verdoppelt haben, geht die Opec wohl davon aus, dass eine höhere Kriegsdividende auch beim Öl drin sein müsste. Gerade Saudi-Arabien braucht stabil hohe Einnahmen aus dem mit Abstand wichtigsten Exportgut, um die Umgestaltung seiner Energiewirtschaft in Richtung Erneuerbare und Wasserstoff zu stemmen.
Die USA hingegen wittern ein Bündnis der Saudis mit Russland hinter der Entscheidung. Riad unterstützt demnach Moskau bei dem Versuch, die Folgen des westlichen Ölembargos durch höhere Preise wettzumachen. Beleidigt reagierte jetzt auch Präsident Joe Biden in einem CIA-Interview mit den Worten: »Das wird Konsequenzen haben.« Was das bedeutet, ist unklar. Beobachter meinen, die USA könnten Waffenlieferungen reduzieren. Biden würde damit auf die Parteilinke der Demokraten zugehen, die dies schon lange fordert. Naheliegender wäre, wenn die USA ihre Ölförderung erhöhten, um die Opec-Kürzung auszugleichen. Das ist aber nicht so einfach, da hier keine staatlichen Unternehmen aktiv sind, die einfach auf Kommando hin mehr Öl fördern. Hier geht es um Rentabilitätserwägungen.
Wie die vergangenen Jahrzehnte gezeigt haben, spielen außenpolitische Erwägungen für Saudi-Arabien indes eine untergeordnete Rolle. Man verfolgt eigene Ziele als wichtigstes Opec-Land. In den Corona-Jahren hatte ein Streit mit Russland über die Frage, ob man lieber einen höheren Preis durch Verknappung herbeiführen oder den niedrigen Preis durch mehr Förderung kompensieren sollte, die Opec+ zeitweilig blockiert. Washington half gewissermaßen als Vermittler, eine Einigung herbeizuführen. Das ist auch kein Zufall: Die USA, Saudi-Arabien und Russland bilden das Trio der mit Abstand größten Ölförderländer weltweit.
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