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Streicheleinheiten für die Ostdeutschen
Im Bundestag wurde der Stand der deutschen Einheit erörtert
Fast ein Ritual ist die alljährliche Bundestagsdebatte zum Regierungsbericht zum »Stand der deutschen Einheit«. Nur hat sich in den letzten Jahren der Umgang mit dem Thema gewandelt. 25 Jahre wurden die Ost-West-Differenzen beim Einkommen, bei der Tarifbindung und die Folgen der Deindustrialisierung in Ostdeutschland von den jeweiligen Regierungen unter Verweis auf die gewonnene Freiheit gnadenlos schöngeredet. Doch mittlerweile üben auch Vertreter der jeweiligen Regierungsparteien deutliche Kritik an sozialen Verwerfungen im Osten und der fehlenden Repräsentanz Ostdeutscher. So auch am Freitag, als der aktuelle Report auf der Tagesordnung stand. Auffällig nur, dass die Regierungsbänke so gut wie leer waren.
Vielleicht liegt es daran, dass auch die Regierung eine »westdeutsche« ist, wie Dietmar Bartsch konstatierte? Der Kovorsitzende der Linksfraktion machte darauf aufmerksam, dass von 111 Abteilungsleitern in den Ministerien nur ganze vier ostdeutscher Herkunft sind. Zugleich erklärte sich Bartsch – wie vor ihm Unionsfraktionschef Friedrich Merz – bereit, in einem großen Bündnis der Demokraten daran mitzuwirken, gesellschaftliche wie politische Teilhabe und Wohlstand der Ostdeutschen zu verbessern.
Merz wurde von mehreren Abgeordneten der Regierungsparteien ausdrücklich für seinen konstruktiven und sachlich vorgetragenen Redebeitrag gelobt. Die Magdeburger SPD-Abgeordnete Katrin Budde meinte gar, es wäre gut gewesen, wenn er die gesamte Redezeit der Unionsfraktion ausgefüllt hätte. Damit spielte sie auf den Vortrag der Cottbuser CDU-Abgeordneten Jana Schimke an. Sie hatte anhand konkreter Beispiele gewaltige akute wirtschaftliche Probleme im Osten aufgezählt, für die es keine Lösung gebe – und damit fast tumultartigen Protest aus den Reihen von SPD, Grünen und FDP geerntet.
Ganz anders Merz, der sich in Hymnen auf die Leistungen der Ostdeutschen erging und dem Ostbeauftragten Anerkennung zollte für die neue Gestaltung seines Jahresberichts – nicht zu verwechseln mit dem üblichen zum Stand der Einheit. Der von Schneider bereits Ende September vorgelegte Report ist tatsächlich geschickt gemacht. Unter dem Titel »Ostdeutschland. Ein anderer Blick« versammelt er auf mehr als der Hälfte seiner 154 Seiten Erfahrungsberichte, Essays und Analysen von Ostdeutschen verschiedenster Generationen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen.
Merz schlug der Ampel eine gemeinsame Initiative vor, die Vermögensbildung in Ostdeutschland zu fördern, analog zu »erprobten Modellen«, die in der alten Bundesrepublik »erfolgreich angewandt« worden seien. Für den Osten müsse das nun »nachgeholt« werden, um auch hier zu erreichen, was im Westen Wirklichkeit sei: »Wohlstand für alle«.
Einen konkreten Vorschlag hat der Ostbeauftragte Carsten Schneider indes bereits gemacht. Im Mai hatte der SPD-Politiker ein sogenanntes Grunderbe von 20 000 Euro für den Osten ins Gespräch gebracht. Am Freitag erinnerte der 46-Jährige daran, dass der Anteil der Ostdeutschen bei 17 Prozent der Gesamtbevölkerung liege, während nur 3,5 Prozent der Führungsposten in der Wirtschaft durch Menschen mit ostdeutschen Wurzeln besetzt seien. Zugleich betonte er, dass gerade Ostdeutsche von der beschlossenen Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro profitieren würden. Allein im Thüringer Landkreis Sonneberg liege der Stundenlohn von 44 Prozent der Beschäftigen unter dieser Marke, sagte Schneider. Linksfraktionschef Bartsch hatte auf das im Vergleich zum Westen aktuell im Schnitt um 12 000 Euro geringere Jahreseinkommen Ost verwiesen. Schneider konstatierte, Benachteiligung und Ungleichheit seien Gründe für die »Akzeptanzlücke für die Demokratie«, die sich in Ostdeutschland auftue.
Im Bericht des Ostbeauftragten sind die Ergebnisse des »Deutschland Monitors« enthalten, für den in ganz Deutschland rund 4000 Menschen nach ihren Einstellungen befragt wurden. Ein Ergebnis war, dass das Vertrauen in Staat, Parlamente und Politiker allgemein in Ost wie West dramatisch geschwunden ist. In der Debatte am Freitag war es wiederum CDU-Frau Schimke, die die »Typologie«, die die Autoren für Bürgerinnen und Bürger entworfen haben, in Frage stellte. In der Studie wurden sie vier verschiedenen Schubladen zugeordnet, die da lauten: »offene und liberale Menschen«, »verdrossene Populisten«, »angepasste Skeptiker« und »kleinbürgerlich-konservative Menschen«. Die Problembürger sind demnach vor allem die Populisten (35 Prozent der Ostdeutschen, 18 Prozent der Westdeutschen), aber auch die Skeptiker (Ost: 26, West: 32 Prozent). Diejenigen, auf die die Gesellschaft bauen kann, sind laut Studie in erster Linie die Liberalen (Ost: 15, West: 26 Prozent). Schimke kritisierte diese Kategorisierung als von »oben herab«. Zugleich monierte sie, die sich dramatisch zuspitzende soziale und wirtschaftliche Lage in Ostdeutschland spiele im Bericht des Ostbeauftragten »weit unten« eine Rolle.
Derweil verbreitete Michael Kellner (Grüne), Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung, Optimismus. Die Ampel fördere die Schaffung einer »grünen Chemie und grüner Raffinerien« mit einem Sonderprogramm über die nächsten 15 Jahre. Weiter helfe man dem Osten mit drei Entlastungspaketen und der Gaspreisbremse: »So sichern wir viele Existenzen.«
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