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»Montags müssen die meisten von uns arbeiten«
Die Organisatoren des solidarischen Herbst grenzen sich von Montagsdemos und Sanktionsgegnern ab
Montag ist Demotag, das gilt zumindest für viele Städte in Ostdeutschland. Auch diesen Montag gingen wieder viele Menschen auf die Straße. In Thüringen sollen es 22 000 gewesen sein, in Brandenburg etwa 10 000, und auch in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen waren es Tausende. Einen besonderen Auftritt gab es in Bautzen. Dort zog der Auftritt des CDU-Oberbürgermeisters Karsten Vogt 2500 Demonstrant*innen an. Vogt sprach darüber, was die Stadt gegen die Energiekrise tut und über einen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz. Auf einer harmlosen Kundgebung sprach der CDU-Politiker allerdings nicht. Ein Plakat auf der Bühne wandte sich gegen den »Great Reset«. Dahinter steckt eine Verschwörungstheorie, die davon ausgeht, dass Wirtschaftseliten die Corona-Pandemie geplant hätten, um die globale politische und wirtschaftliche Macht an sich zu reißen. Auf Nachfrage von »Zeit-Online« sagte Vogt, dass er das Plakat nicht gesehen habe und es nicht sein Inhalt sei. Ein Zufall ist das Plakat sicher nicht. In Bautzen traten schon Stars der Verschwörungsszene wie Ken Jebsen auf. Auch andere Ideen der Demo-Organisator*innen in Bautzen können stutzig machen. So berichtet der Vertreter eines Unternehmernetzwerks, dass er in Verhandlungen mit Gazprom über direkte Gaslieferungen sei.
Das Beispiel vom letzten Montag aus Bautzen ist nur eines von unzähligen, das aufzeigt, wer derzeit bei den allermeisten Montagsdemos dominiert. Es ist eine diffuse Mischung aus Verschwörungstheoretiker*innen, Rechtspopulist*innen und Neonazis.
Es ist also nicht ganz verwunderlich, dass Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands und einer der Mitorganisatoren der Demonstrationen für einen solidarischen Herbst, auf die Frage, warum man denn nicht montags demonstriere, sagt: »Montags müssen die meisten von uns arbeiten.« Schneiders Antwort ist flapsig. Aber den Gruppen, die die Demos am Samstag organisieren, ist bewusst, dass es zahlreiche problematische Akteure bei den aktuellen Krisenprotesten gibt. Von diesen grenzen sie sich bewusst ab. Im Aufruf zu den Demonstrationen steht im ersten Satz, dass »die Folgen von Putins Angriffskrieg« nun mit »voller Wucht« die Menschen in Deutschland treffen. Trotz explodierender Energiepreise, Angst vor Wohnungslosigkeit und nicht mehr ausreichender Löhne und Transferleistungen sei es aber wichtig, in der Krise an der Seite der Ukraine zu stehen. Eine deutliche Positionierung, die so auch bei vielen linken Krisenprotesten bisher nicht vorkommt.
Scharf grenzen sich die Organisator*innen auch gegen Forderungen ab, die ein Ende der Sanktionen gegen Russland fordern. Ulrich Schneider erklärte, wer gegen die Sanktionen protestieren wolle, der solle am Samstag am besten »zu Hause bleiben«. Die Ablehnung der Russland-Sanktionen käme einer Aufkündigung der Solidarität mit der angegriffenen Ukraine gleich. Die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis sagte, dass sie die Sanktionen unterstütze. Es sei allerdings gleichzeitig wichtig, dass deren negative Folgen für die Bevölkerung in Deutschland ausgeglichen werden.
Verbal hat das Bündnis für einen solidarischen Herbst also viel getan, um sich von Verschwörungstheoretiker*innen, Rechten und Putin-Fans abzugrenzen. Trotzdem kursieren im Netz Aufrufe, sich den Demonstrationen anzuschließen. Es ginge doch allen um warme Wohnungen und bezahlbare Lebensmittel. Die Demo-Organisator*innen wissen um diese Aufrufe und entsprechende Unterwanderungsversuche. Mit Durchsagen und notfalls Ausschlüssen wollen sie am Samstag reagieren und dafür sorgen, dass nicht einmal der Eindruck einer Querfront entsteht.
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