Noch mehr benachteiligt

Bildung, Gesundheit, Kita-Plätze: Arme Kinder besonders negativ von Pandemie betroffen

Vor allem benachteiligte Kinder hatten in der Pandemie seltener die Möglichkeit, weiter zur Kita zu gehen. Malen, spielerisches Lernen und Sozialkontakt mussten hintenanstehen.
Vor allem benachteiligte Kinder hatten in der Pandemie seltener die Möglichkeit, weiter zur Kita zu gehen. Malen, spielerisches Lernen und Sozialkontakt mussten hintenanstehen.

Viele Kinder und Jugendliche leiden unter langfristigen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Zahlreiche Studien haben im Laufe der vergangenen zweieinhalb Jahre negative Effekte auf die Lebensqualität, Bildung und Gesundheit von Minderjährigen festgestellt. Doch entsprechendes politisches Gegensteuern ist bisher ausgeblieben. Von all den lang anhaltenden negativen Effekten der Coronakrise sind Kinder aus benachteiligten Familien besonders stark betroffen. Zu diesem Fazit kamen am Mittwoch Sachverständige, die in die Kinderkommission des Deutschen Bundestages eingeladen waren.

Ob psychische Auffälligkeiten, Angstsymptome oder die subjektiv wahrgenommene Gesundheit: Je höher der Bildungsgrad und das Einkommen der Eltern, desto geringer die Zahl der betroffenen Kinder. Zu diesem Ergebnis kommen vier Befragungen einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, die von Ulrike Ravens-Sieberer in der Kinderkommission vorgestellt wurden. Weitere Risikofaktoren seien durch Stress belastete oder erkrankte Eltern und eine enge Wohnung. Den Kindern, die schon vorher belastet waren, ging es besonders schlecht, so die Studienleiterin. In Kita und Schule brauche es ein dauerhaftes Alarm- oder Monitoringsystem, das den Zustand der allgemeinen mentalen Gesundheit überwache, sagte Ravens-Sieberer. So solle Eltern und Lehrern gezeigt werden, wenn etwas schieflaufe.

Aber nicht nur der Gesundheitszustand vieler Minderjähriger hat sich während der Pandemie verschlechtert. Auch Bildungslücken sind durch Wechselunterricht und Schulschließungen vergrößert worden. Susanne Kuger vom Deutschen Jugendinstitut München erläuterte am Mittwoch, dass Schließungen und Notbetreuung zwar alle Familien gleich getroffen hätten. In Bundesländern mit Wahlfreiheit hätten aber Eltern mit hohem Bildungsgrad ihr Recht auf einen Kitaplatz eher eingefordert als geringer qualifizierte. Zudem seien »Kitas mit ungünstigerer sozioökonomischer Komposition öfter geschlossen« gewesen, so Kuger. Sämtliche Kitas hätten einen höheren Förderbedarf angemeldet, aber die Kitas mit mehr Kindern aus benachteiligten Familien einen »eklatant höheren«. Dort habe es auch mehr Rückstellung von der Schule gegeben.

Wie schlecht es um die Kitas in Deutschland steht, hat einmal mehr auch eine am Donnerstag veröffentlichte Bertelsmann-Studie gezeigt. Demnach stehen im kommenden Jahr deutlich weniger Kita-Plätze zur Verfügung, als benötigt werden. Rund 384 000 Plätze fehlen, wobei im Westen Deutschlands eine größere Versorgungslücke besteht als im Osten Deutschlands. Um der Nachfrage gerecht zu werden, müssten im Westen 93 700 Fachkräfte und im Osten 4900 eingestellt werden, teilte die Bertelsmann-Stiftung mit. Eigentlich besteht seit dem Jahr 2013 ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, für Kinder ab drei Jahren besteht er bereits seit 1996.

Die Schulschließungen seien für Kinder aus benachteiligten Familien besonders dramatisch gewesen, sagte auch Karolin Kroggel vom Verein SOS-Kinderdorf Berlin am Mittwoch in der Kinderkommission. Vor allem an sogenannten Brennpunktschulen häuften sich nach den Lockdowns die Probleme. Bessergestellte Familien im Einzugsgebiet schickten ihre Kinder gar nicht mehr dorthin. An vielen Schulen hätten 90 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund, Eltern mit niedrigem Bildungsgrad und Einkommen lebten zudem auf beengtem Raum.

Zu diesem schwierigen Umfeld seien laut der Schulsozialarbeiterin dann die Umstände der Pandemie gekommen. Als die Schulen wieder öffneten, habe es neue Probleme gegeben, etwa Konzentrationsschwäche und massive Schulangst. Die Folgen von zwei Jahren Pandemie und Schulschließungen seien laut Kroggel noch immer an einem veränderten Sozialverhalten der Kinder sichtbar. Unter anderem habe die Gewaltbereitschaft zugenommen, viele klagten über Müdigkeit und Sprachdefizite. Kroggel sagte, es müsse zu einer Reduzierung der Klassenstärken kommen, um jeden besser fördern zu können. Zudem brauche es mehr Sprachförderung, Sonderpädagogen, aber auch Therapieplätze. »Immer weniger Kinder glauben, dass sie in ihrem Leben etwas bewirken können«, so Kroggel.

Um gegen die negativen Auswirkungen der Pandemie auf das Kindeswohl in den verschiedensten Bereichen vorzugehen, sei Hilfe für Familien sowie eine bessere Ausstattung von Kitas und Schulen besonders wichtig, waren sich die Expertinnen am Mittwoch in der Kinderkommission des Bundestags einig. Am Donnerstag haben auch mehrere Verbände und Gewerkschaften anlässlich der Veröffentlichung der Bertelsmann-Studie Handlungsbedarf bei der frühkindlichen Bildung angemahnt. »Es ist mehr als überfällig, dass die Politik die Erzieherinnen und Erzieher bei ihrer Aufgabe, das Grundrecht auf Bildung zu sichern und soziales Lernen zu vermitteln, nachhaltig unterstützt«, sagte etwa GEW-Vorstandsmitglied Doreen Siebernik.

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