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NRW-Linke vor Umbruch
Landessprecher treten nicht zur Wiederwahl an: "Pluralismus unmöglich"
Nach nicht mal einem Jahr will Jules El-Khatib nicht mehr Sprecher der Linken in Nordrhein-Westfalen sein. Beim Parteitag am übernächsten Wochenende in Kamen tritt er nicht mehr für den Posten an. Das gleiche gilt auch für Landessprecherin Nina Eumann und mehrere weitere Mitglieder des Landesvorstands. 13 von ihnen, unter anderem alle vier stellvertretenden Landessprecher*innen und der Landesgeschäftsführer, haben eine Erklärung verfasst, in der sie der Bundesspitze vorwerfen, die Probleme der Partei nicht aufzuarbeiten. Der Partei insgesamt attestieren sie eine „selbstzerstörerische Streitkultur». Innerparteiliche Auseinandersetzungen würden durch mediale Denunziationen und öffentliche Vorverurteilungen geführt. Der Pluralismus in der Partei sei in Gefahr, die Linke drohe auseinanderzubrechen.
Der bisherige Landessprecher Jules El-Khatib erklärt im Gespräch mit dem „nd», dass er versucht habe, eine Landesspitze zu bilden, die „für Pluralismus und die Einheit der Partei steht.» Derzeit, auch das gehöre zu den Gründen, wieso er nicht wieder antrete, mache er sich „ernsthafte Sorgen, dass die Konflikte immer weiter zunehmen». Er selbst habe eine klare politische Haltung, trotzdem sei er immer bemüht gewesen, verschiedene Strömungen und Denkansätze miteinander zu vereinen. Dass es jetzt immer mehr Aufrufe zur Spaltung gibt, findet El-Khatib „sehr schockierend». In einer Situation, in der die AfD bei 15 Prozent liegt, sei es „fatal», wenn sich Die Linke in kleinere Teile aufspaltet. Die Linke müsse sich zusammenreißen und „gemeinsam kämpfen», dann habe sie ein großes Potenzial. Seinen Nachfolger*innen im Landesvorstand wünscht El-Khatib ein „glückliches Händchen», wenn es darum geht, Menschen zusammenzuführen.
Der aussichtsreichste Kandidat für die Nachfolge von El-Khatibs Posten als Landessprecher ist Sascha H. Wagner. Der 42-Jährige war von 2012 bis 2020 Landesgeschäftsführer der NRW-Linken. Als Wahlkampfleiter verantwortete er den Landtagswahlkampf 2017, bei dem der Partei nur wenige tausend Stimmen für den Einzug in den Landtag fehlten. Die 2,1 Prozent bei der Landtagswahl in diesem Frühjahr bezeichnet Wagner als „desaströs». Der Absturz sei nicht wirklich aufgearbeitet worden; die Schuld nur im Bundestrend zu suchen, greife zu kurz. Die nordrhein-westfälische Linke müsse als mitgliederstärkster Landesverband „selbst schauen, welche Entscheidungen wir fällen, und was wir dazu beitragen können, wieder stärker zu werden».
Eine Möglichkeit für die Stärkung der Partei sieht Wagner in der Verstärkung der lokalen Arbeit. Man müsse als Landesverband „gemeinsame Kampagnenschwerpunkte herausarbeiten» und sich dann vor Ort „massiver einbringen» als je zuvor. Politische Leerstellen für Die Linke sieht Wagner genug. So plädiert er dafür, „gemeinsam mit der Klimagerechtigkeitsbewegung für den Erhalt von Lützerath zu kämpfen». Auch die klassischen Themen der Partei sind für Wagner wichtig. Im Zuge der Krise nehme die Armut zu: „Die Schlangen bei den Tafeln werden immer länger», erklärt Wagner. Von der Ampel im Bund und Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen gebe es keine ausreichenden Antworten auf die wachsende Armut.
Innerparteilich will Wagner, der Mitglied der Antikapitalistischen Linken und der Bewegungslinken ist, sich dafür einsetzen, dass Debatten zukünftig konstruktiver und nicht als reiner Strömungsstreit geführt werden. Gemeinsam mit Genoss*innen, die teilweise auch für den Landesvorstand kandidieren, hat er ein Zehn-Punkte-Papier verfasst. Kernaussage: Es ist nicht die Zeit, die Partei aufzugeben. Mit mehr Transparenz, Dialog und Zusammenarbeit hat die Partei eine Chance. Wagner ist wichtig, dass „der Erneuerungsprozess auf allen Ebenen diskutiert wird und nicht als Projekt von oben wahrgenommen wird».
Mit wem zusammen Wagner die NRW-Linke führen könnte, ist unterdessen noch unklar. Eine Kandidatin für die Doppelspitze gibt es noch nicht. Allgemein ist auffällig: Während der Landesvorstand derzeit 22 Mitglieder hat, gibt es bisher nur wenige Kandidaturen für den Landesvorstand. Viele Linke in Nordrhein-Westfalen erzählen, dass es ihnen derzeit an Motivation fehlt, sich stark für die Partei zu engagieren. Besonders augenfällig: Unter den Kandidierenden finden sich bislang lediglich fünf Frauen.
Das könnte auch mit Sexismus in der Partei zu tun haben. In den vergangenen Jahren haben sich aus der nordrhein-westfälischen Linken mehrere Frauen zurückgezogen und ihren Rückzug auch mit dem Umgang mit ihnen begründet. In gleich zwei Anträgen wollen Parteimitglieder dafür sorgen, dass sich das ändert. Ein langer Antrag mit dem Titel „Für einen antisexistischen Konsens» umreißt den Zustand in der Partei und macht Vorschläge, wie dieser geändert werden kann. Ein jährlicher Gleichstellungsbericht, Reflexion und ein umfassender Werkzeugkasten sollen dabei helfen, den Sexismus zurückzudrängen. In einem Antrag des Frauennetzwerks Lisa wird gefordert, die Parteimitglieder mit einer Antisexismus-Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung auszustatten und Mandatsträger*innen sowie Vorstände zu Seminaren zu verpflichten, die zum Thema Sexismus sensibilisieren. Dieser Antrag wird von mehreren Delegierten abgelehnt. Die Verpflichtung sei satzungswidrig und würde auch Menschen betreffen, die für aussichtslose Mandate kandidieren. Ein Pflichtseminar könne die Gewinnung solcher Kandidat*innen „massiv erschweren».
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